Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

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Foto © Paul Leclaire

Aktuelle Aufführungen

Bleischwere Banalitäten

TREE OF CODES
(Liza Lim)

Besuch am
12. April 2016
(Premiere am 9. April 2016)

 

 

Oper Köln, Staatenhaus

Es hätte ein surrealer Alptraum werden können. Vielleicht auch ein lockeres Spiel mit dadaistischen Akzenten. Stattdessen legt die australische Komponistin Liza Lim viel Gedankentiefe in ihre neue Oper Tree of Codes, die jetzt als Auftragswerk der Kölner Oper im Deutzer Staatenhaus uraufgeführt wurde. Freilich eine Tiefe ohne jede Bodenhaftung.

Die Komplexität des von der Komponistin mit viel Detailarbeit zusammengestückelten Librettos stellt jede noch so konfuse Inhaltsangabe einer barocken Oper in den Schatten. Lim stützt sich dabei auf die ohnehin schon verwirrende Erzähl-Sammlung Die Zimtläden von Bruno Schulz, aus der Jonathan Safran Foers für seine Text-Kreation Tree of Codes einzelne Wörter herausschnitt, so dass durch die entstandenen Lücken der Blick auf andere Seiten des Buches freigegeben wird. Damit wird natürlich jede logische Verknüpfung eliminiert. Damit ließe sich prächtig spielen, wenn man diese Wortsuppe nicht mit einer Handlung und, schlimmer noch, mit einer Botschaft belastete, die Tiefsinn verspricht, aber nur banale Denkblasen ausstreut.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Als roter Faden dient der Besuch eines gesundheitlich schwer angeschlagenen Vaters im Laboratorium seines Sohnes, der als Forschungsleiter diverse Projekte realisiert, bei denen die Menschen verschiedene Mutationen erfahren. Der Vater verwandelt sich in eine Kakerlake, der Sohn entwickelt sich zu einem Vogel und die Forscherin Adela zu einem Baum. Alles vergeht offenbar und ersteht neu. Um wenigstens eine kafkaeske Wirkung erzeugen zu können, fährt das Libretto auf zu vielen Gleisen.

Foto © Paul Leclaire

Tree of Codes gehört zu den unzähligen Uraufführungen, die Neugier erwecken, sich letztlich aber als Eintagsfliegen entpuppen. Und Liza Lim, aber auch das Produktionsteam der Kölner Oper haben nichts ausgelassen, um eine Verbreitung ihres jüngsten Werks im Keim zu ersticken. Ein bis zur Unverständlichkeit verquastes Libretto, eine überladene und konfuse Inszenierung, eine stilistisch konzeptlose Komposition und instrumentale Voraussetzungen, die allenfalls Spezialisten wie das Kölner Ensemble Musikfabrik erfüllen können: Eine Mischung, die das Schicksal jedes Werks besiegelt. Der Einsatz einer Subkontrabassflöte, eines Doppeltrichtereuphoniums, einer „Strohviola“, also einer Bratsche mit einem Trichter statt einem Resonanzkörper, und vieler anderer Spezialanfertigungen bringt außer Beschaffungsproblemen nicht den geringsten künstlerischen Ertrag. Erst recht motiviert er kein Haus zum Nachspielen.

Kurz gesagt: Das 100-minütige Werk verbreitet viel heiße Luft, täuscht ein hohes Reflexionsniveau vor, verliert sich aber in inhaltlicher und musikalischer Zufälligkeit bis hin zur Banalität.

Nicht einmal die theatralischen Chancen, die die bizarre Szenenfolge bietet, werden genutzt. Zur austauschbaren Geräuschkulisse der Musik wandeln die 16 Musiker der Musikfabrik in der Inszenierung von Massimo Furlan wie Zombies in weißen Kitteln über die stocknüchterne Bühne. Bierernst und ein wenig unbeholfen. Schließlich haben sie mit ihren Instrumenten genug zu tun. Die wenigen, durch überflüssige Doubles noch verwirrender agierenden Solisten zitieren Bruchstücke aus den Vorlagen, während sie sich in andere Lebewesen verwandeln. Das bliebe stinklangweilig, wenn nicht das bizarre Instrumentarium wenigstens ab und zu für Aufmerksamkeit sorgen würde. Und ein Lob verdienen immerhin Séverine Besson und Julie Monot, die mit ihren Kostümen und Masken eine Prise exotischen Kolorits verbreiten.

Der Sinn des Ganzen erschließt sich ebenso wenig wie die musikalische Qualität. Schade, hat man doch mit dem Ensemble Musikfabrik unter der Leitung des als Landstreicher agierenden Dirigenten Clement Power erstklassige Instrumentalisten engagiert. Und auch das kleine Solistenensemble besticht durch makellose Leistungen. So Christian Miedl als Sohn mit einem Bariton von außergewöhnlicher Stimmkultur. Oder Emily Hindrichs mit ihrem glockenklaren Sopran als Adela und die Sopranistin Diane Decker, die gleich in mehreren Rollen auftreten darf. Der Rest agiert schweigend.

Freundlicher Beifall für ein fragwürdiges Projekt, das in dieser überfrachteten Textur selbst in den experimentierfreudigen 1970-er Jahren gescheitert wäre.

Pedro Obiera