Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

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Foto © Horst Helmut Schmeck

Aktuelle Aufführungen

Verlogene Liebe

DIE SEHNSÜCHTE DER FRAU GARLAN
(Michael Gerihsen)

Besuch am
6. Mai 2016
(Uraufführung)

 

Literatur-Oper Köln,
Amelie-Thyssen-Auditorium

Nach L’Argent im vergangenen Jahr in einem Bankgebäude hat Andreas Durban in diesem Jahr das Amelie-Thyssen-Auditorium zum Spielort der neuen Literatur-Oper Die Sehnsüchte der Frau Garlan auserkoren. Ein architektonisch ansprechendes Gebäude, auch wenn sich ein direkter Bezug zwischen Veranstaltungsort und Oper nicht herstellen lässt. Wichtiger als ein solcher Bezug ist aber, dass Durban damit im Grunde die Aufgabe der Kölner Oper übernimmt, die sie standhaft ignoriert: Der Dozent der Musikhochschule trägt die Oper in die Stadt hinein, begeistert Kölner Bürger für heutige Oper und stellt ihnen den Nachwuchs von Morgen vor. Sicher. Das findet zahlenmäßig in eher bescheidenem Umfang statt. Ist aber vielleicht auch ein gutes Zeichen, sich vom Zahlenwahn in der Kultur zu verabschieden.

In seinem neuesten Werk widmet sich Librettist und Regisseur Durban gleich vier Geschichten von Arthur Schnitzler, Frank Wedekind, August Strindberg und Guy de Maupassant, die er miteinander verwoben hat. Über seine Arbeit stellt Durban das Zitat Wedekinds „Die Liebe ist eine unerhört verlogene Sache“ und spielt damit auf die Entzauberung und Versachlichung der Liebe zu Beginn des 19. Jahrhunderts an. Ohne Erklärungsansätze findet eine reichlich unübersichtliche Handlung auf einer schlichten, aber funktionalen Bühne statt. Einzig die Kostüme und Texte verweisen auf die verschiedenen Zugehörigkeiten und Geschichten. Auf der Hinterbühne ist das Orchester hinter einem Gaze-Vorhang untergebracht. Auf der Hauptbühne sind einige Kästen und Würfel aufgestellt. Der Hintergrund wird mit den Projektionen von Julia Suermond erfüllt. Durban hat sich im Vorfeld viel von diesen Projektionen versprochen. Die stellen sich nun – gebrochen auf verschiedene Flächen – als äußerst ungenügend bis gar nicht erkenntlich dar. Das ist ebenso unerfreulich wie der Umstand, dass Thomas Verfoorts ganz offenbar mit der Technik und dem Licht nicht zurechtkommt. Hier hat die Vorbereitungszeit am fremden Spielort nicht gereicht.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Anders bei den Protagonisten des Stücks. Wie gewohnt, treten hier elf Solisten an, um unzählige Rollen zu übernehmen. Wenn sich im Vergleich zu den Vorjahren etwas geändert hat, ist es in erster Linie wohl der Umstand, dass sich studentische Spielfreude mehr und mehr zu professionellem Auftritt wandelt. Und das im positiven Sinne. Andrea Graff, die bereits im vergangenen Jahr auffiel, spielt heuer die Titelrolle der Berta Garlan und beweist, dass das auch gerechtfertigt ist. Ihr Sopran wird allen Situationen spielerisch leicht gerecht, die schauspielerische Leistung rechtfertigt schon heute größere Rollen. Bariton Bo Shi überzeugt auch in diesem Jahr stimmlich, zeigt aber, dass er noch erheblich an seiner Sprache arbeiten muss. Die übrigen Stimmen sind mangels kurzer Auftritte kaum beurteilbar, ohne dass ein echter Mangel erkennbar wäre. Schauspielerisch zeigt sich hier aber ein hohes Niveau, das die Regisseure der Zukunft vor große Herausforderungen stellen wird. Von diesen jungen Leuten wird sich keiner mehr an der Rampe festnageln lassen.

Foto © Horst Helmut Schmeck

Für Michael Gerihsen war sein erster Einsatz bei der Literatur-Oper ein durchwachsener Einstand. Eigentlich hat der Jungkomponist ein ordentliches Material an der Hand. Mit Georg Leisse steht ein erfahrener musikalischer Leiter zur Verfügung, Cheng-Hung Tsai an der Violine, Valerie Rathmann am Cello und Tobias Gubresch mit Klarinette und Saxophon zeigen sich engagiert. Aber der Musik fehlt es an praktisch Allem. Eine dünne Rezitativ-Begleitung, wenige Höhepunkte, die mal einen Walzer, mal einen Tango andeuten, vor allem aber die Reduktion des Gesangs zugunsten eines hohen Wortanteils machen keine gute Oper aus.

Dass sich daraus dennoch in gut zwei Stunden ein veritables Werk entwickelt, ist den Akteuren auf der Bühne und den Kindern der Literatur-Oper AG Köln-Mülheim, aber auch der straffen Personenführung von Andreas Durban zu verdanken. In die Folgevorstellungen wird man nicht gehen, um sich an einem ausgefallenen Opus der Musik zu erfreuen – die untermalt das alles schön – sondern, um sich für die Leistungen der Sängerdarsteller in einer sehr komplexen Aufführung zu begeistern.

Das Publikum dankt den Beteiligten mit langanhaltendem Applaus.

Michael S. Zerban