Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

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Foto © Paul Leclaire

Aktuelle Aufführungen

Wenn das Ladekabel die Nabelschnur ersetzt

DIE EROBERUNG VON MEXICO
(Wolfgang Rihm)

Besuch am
5. Mai 2016
(Premiere)

 

 

Oper Köln, Staatenhaus

Die Uraufführung an der Hamburgischen Staatsoper liegt fast 25 Jahre zurück. Eine lange Zeit, in der sich Wolfgang Rihms Oper Die Eroberung von Mexico als Schlüsselwerk des modernen Musiktheaters mehrfach bewähren konnte. An der irritierenden, gleichermaßen Anerkennung und Widerspruch herausfordernden Wirkung des Werks hat sich seitdem nicht viel geändert. Auch nicht durch die im letzten Jahr bei den Salzburger Festspielen aus der Taufe gehobenen Produktion in der Inszenierung von Peter Konwitschny, die jetzt von der Kölner Oper auf die erheblich kleinere Bühne des Deutzer Staatenhauses gehievt wurde und in diesem Rahmen die Botschaft der Inszenierung noch schärfer ins Licht rückt als in der Felsenreitschule.

Es bleibt ein irritierendes Erlebnis, da bereits Artauds Vorlage in ihrer zersplitterten Szenenfolge jeder Eindeutigkeit ausweicht. Eine Handlung wird zwar angedeutet, das eigentliche Theaterereignis soll jedoch im Kopf der Zuschauer stattfinden, ausgelöst durch assoziationsreiche Bilder und Monologfetzen. Rihm verästelt Artauds Gedankengänge noch zusätzlich, indem er den kulturellen Zusammenstoß des Aztekenfürsten Montezuma mit dem spanischen Eroberer Cortez mit Artauds „Seraphim“-Theater verknüpft und den Kulturkampf zu einem Geschlechterkampf erweitert. Montezuma, einer Sopranistin zugeordnet, und „dessen Azteken“ verkörpern das ewig Weibliche, die brutalen Spanier das ebenso ewig Männliche.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Konwitschny eliminiert den kulturellen Konflikt völlig und rückt den Geschlechterkampf so eindeutig in den Fokus, dass sich eine dramaturgische Klarheit ergibt, die Rihm eigentlich nicht vorgeschwebt hat, auch wenn der sich nach der Kölner Premiere überschwänglich bei allen Akteuren bedankte. Konwitschny grenzt die Gegenwelten so scharf voneinander ab, dass sich ungewollt Klischees einschleichen. Und das mit krachender Vehemenz. Da werden Männerträume wahr, wenn Cortez im roten Porsche-Cabrio knackige Models aufgabelt oder der maskuline Blutrausch in wilden Cyber-Kriegs-Szenarien seine Befriedigung findet. Montezuma darf Mutter spielen und gebiert die Wohltaten unserer Zeit: Laptops, Smartphones und Tablets. Das Ladekabel wird zur Nabelschnur. Das Weibliche wirkt weich, das Männliche hart. So einfach ist das. Die „Neutralität“, die Artaud und Rihm als dritte Kategorie immer wieder proklamieren, bleibt unterbelichtet. Es wird Klarheit auch da geschaffen, wo Autor und Komponist manches im Dunkeln lassen wollen.

Foto © Paul Leclaire

In den Bühnenbildern von Johannes Leiacker schlägt sich ein Bezug zu Mexico nur in einem Teppich und einem Gemälde von Frida Kahlo nieder. Ansonsten treffen sich Montezuma und Cortez zunächst in einem von öder moderner Nüchternheit geprägten Appartement zum Stelldichein, das allmählich aus dem Ruder läuft. Eingebettet ist das Luxus-Etablissement in einen Autofriedhof. Eine recht vordergründige Chiffre unserer dekadenten Konsum-Kultur. „Wie Affen giert ihr nach Gold“. Das schleudert Montezuma in Köln nicht etwa dem spanischen Eroberer entgegen, sondern direkt dem Publikum ins Gesicht. Das Theater als moralische Anstalt in Brechts Fahrwasser. Ein wenig abgestanden wirkt das schon. Genauso wie der im Publikum postierte Bewegungschor, der immer wieder eingreift, rhythmisch trampelt, applaudiert und beim Auftritt der Luxusweibchen geifernd aus dem Häuschen gerät.

Trotz mancher Zweifel erstaunt, wie sehr Rihms Musik zu diesem Treiben passt. Das liegt an den Klang- und Rhythmus-Formeln, die sich als Klangkulisse für etliche  Zwecke einsetzen lassen. Dass die Video-unterstützte Bilderflut nicht allzu sehr von der Musik ablenkt, dafür hat Rihm mit der Aufstellung des Orchesters gesorgt, das, aufgeteilt in vier Gruppen, im ganzen Raum verteilt ist. Ob sich ein plastischer Raumklang einstellt, hängt freilich wesentlich von der Sitzposition des Zuschauers ab.

Musikalisch ist alles zum Besten bestellt. Die überwiegend gespenstisch leise, von komplexen und dezenten Schlagzeugrhythmen dominierte Musik Rihms setzt das Gürzenich-Orchester unter Leitung des werkkundigen Dirigenten Alejo Pérez recht präzise um, dem auch abrupte Stimmungswechsel keine Probleme bereiten.

Stimmlich leisten die Protagonisten Miljenko Turk als smarter Yuppie-Cortez mit seinem höhensicheren und scharf charakterisierenden Bariton sowie Ausrine Stundyte in der Sopranrolle der Montezuma Überragendes. Beide bewältigen die Tücken ihrer Partien mit Bravour und haben für das zarte, a cappella gesungene Schlussduett noch genügend Kondition für einen Vortrag von nahezu kulinarischem Wohllaut. Auch die vier vokalen „Assistenten“ der beiden, Stephan Rehm und Peter Pruchniewitz auf der Seite des Cortez und die höhenstarke Sopranistin Susanna Andersson und die Mezzosopranistin Kismara Pessatti als Beistand Montezumas tragen zum musikalischen Erfolg des Abends bei. Die komplexe Chorpartie wird in erstaunlich guter Klangqualität von einer früheren Madrider Produktion eingespielt.

Das Premieren-Publikum reagiert überwiegend mit großer Zustimmung, allerdings gibt es auch etliche Proteste, bei denen nicht ganz klar wird, ob sie dem Regisseur oder dem Komponisten gelten. Insgesamt ein interessanter, wenn auch recht plakativ inszenierter Betrag zum zeitgenössischen Musiktheater.

Pedro Obiera