Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

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Alle Fotos © Paul Leclaire

Aktuelle Aufführungen

Für Genießer

LA BOHÈME
(Giacomo Puccini)

Besuch am
22. November 2015
(Premiere)

 

 

Oper Köln, Staatenhaus

Der erste Schneefall sucht Nordrhein-Westfalen ausgerechnet am Totensonntag im November heim, und ein eisiger Wind weht am Rhein. Nur zu gerne möchte man in die erste Konversation in Puccinis La Bohème mit einstimmen, wenn sich der Dichter Rodolfo und der Maler Marcello über die Kälte beschweren. Denn auch das neue Domizil der Kölner Oper, das Staatenhaus in Köln-Deutz, ist nicht unbedingt der wärmste Ort an diesem Tag und könnte gut einen Kamin vertragen. Ansonsten ist schon beeindruckend, wie schnell man aus dem großräumigen Staatenhaus das provisorische Theater geformt hat. Die aufgebaute Tribüne in Saal 2 steigt allerdings so flach an, dass kleinere Besucher Mühe haben werden, vor sich sitzende, große Besucher überblicken zu können. Optisch erinnert das Gesamtbild ein wenig an das Palladium, in das die Kölner Oper in den letzten Jahren ausgewichen ist. Die Akustik ist im Staatenhaus ein bisschen besser als dort, und klingt auch nicht so dumpf, wie im Musical-Dome gegenüber auf der anderen Rheinseite. Doch schon La Bohème macht deutlich, dass die Intendanz für die kommenden zwei Jahre besser Dirigenten engagiert, die auf die Sänger Rücksicht nehmen können.

Immerhin kann man nun wieder zum Wesentlichen zurückkehren, nachdem die Oper Köln und Intendantin Birgit Meyer genügend Spott und Ungläubigkeit für die nächsten zwei Jahre auf sich geladen haben. Dass ausgerechnet Michael Hampe die zweite Premiere der Saison anvertraut wurde, macht das Fragezeichen hinter der Intendantin nicht kleiner. Denn Hampe leitete 20 Jahre die Oper Köln sehr erfolgreich, und als er vom Premierenpublikum am Ende mehr als nur freundlich begrüßt und beklatscht wird, fragt man sich unwillkürlich: Wie wäre wohl dieses Kapitel unter seiner Aufsicht gelaufen?

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Inszenieren kann Hampe nach wie vor, und wer seine Arbeiten kennt, weiß, was ihn bei dieser Bohème erwarten wird. Eine traditionelle, werktreue Arbeit, ohne irgendwelche szenischen Mätzchen oder Aufreger. Ganz unbedenklich kann man mit der ganzen Familie in diese Oper hineingehen, weil man sie einfach nachvollziehen und verstehen kann. Das liegt auch an der optischen Umsetzung durch German Droghetti, der Bühne und Kostüme zu Puccinis Zeiten präsentiert. Seine detaillierten Bühnenbauten fügen sich mit den Videos von Thomas Reimer zu einer liebevollen Hommage auf Paris zusammen. Zugegeben ist die Aussicht aus der eigentlich ärmlichen Mansarde auf die Dächer der Metropole und den herausragenden Eifelturm etwas übertrieben und der Vollmond direkt daneben etwas kitschig, aber es ist schöner Kitsch. Für das Quartier Latin des zweiten Aktes gibt es zu Recht Szenenapplaus. Hier vermischen sich Bühne, Solisten, Statisten und Chor zu einer realistischen Masse im Sinne der Musik. Das ist eben die große Stärke von Michael Hampe: Er kann auf die Musik hören und die Bühnenaktionen perfekt darauf abstimmen. Das erkennt man zum Beispiel an der Kerze im vierten Akt, deren Schein die anscheinend schlafende Mimi blendet und abgeschirmt werden soll. Toll, wie sich Regie und Musik für diesen und andere Momente Zeit nehmen.

Foto © Paul Leclaire

Überhaupt nimmt Dirigent Francesco Angelico jegliche falsche Hektik aus dem Werk. Unter seiner Leitung wird die Oper zur stressfreien Zone. Das hervorragende Gürzenich-Orchester Köln darf sich wunderbar sensibel durch die Partitur arbeiten, wo sich Melodiefäden entfalten können, wo kleine Details herausgearbeitet werden. Bei seinem Hausdebüt beachtet der Chefdirigent des Tiroler Landestheaters genau die akustischen Bedingungen des Raumes und legt Wert darauf, nie die Sänger akustisch in den Hintergrund zu treiben, was optisch schon der Fall ist. Da das komplette Orchester vor der Bühne platziert ist, ist die Distanz zum Publikum eh schon groß genug. Aber Angelico passt auf, und die Sänger gehen nur selten in der Orchesterdichte unter.

So erlebt man ein spielfreudiges Ensemble mit lyrischer Grundfärbung, das archetypisch zum Werk in Erscheinung tritt. Deutlich deklamierend und engagiert singend, eröffnet Miljenko Turk als Marcello die Oper. Er bleib auch in Folge schön präsent, so dass er die anderen tiefstimmigen, nicht minder erfolgreichen Kollegen anführen kann: Aus Frankfurt ist mit Kihwan Sim ein würdevoller Collin zu Gast. Da Luke Stoker erkrankt ist, kommt aus dem Internationalen Opernstudio der Oper Köln Zweitbesetzung Wolfgang Stefan Schwaiger kurzfristig zu Premierenehren. Der hochgewachsene Bariton nutzt als Schaunard die Gunst der Stunde, sich hinreichend zu empfehlen. Reinhard Dorn kehrt als Benoît an seine langjährige Wirkungsstätte zurück und Alexander Fedin singt einen pointierten Alcindoro. Jeongki Cho gibt den poetischen Sätzen des Rodolfo wunderschönen Klang, drückt nur die Spitzentöne etwas zu sehr nach oben. Für seine hochgewachsene Mimì ändert der etwas kleinere Cho das „piccina“ in „carina“ ab. Darstellerisch könnte Jacquelyn Wagner noch eine Spur intensiver agieren. Gesanglich bleibt sie absolut auf der Linie: Bruchlos, unforciert und kitschfrei lässt sie ihren Sopran seine Wirkung entfalten. Wie Wagner ist auch die Musetta von Aoife Miskelly ein Rollendebüt. Fern jeglicher albern zwitschernder Übertreibung singt sie die Partie pointiert, sicher und vor allem sauber. Sehr gut! Lob gebührt auch den vereinigten Chören. Wie eigentlich immer ist der Chor der Oper Köln in der Einstudierung von Andrew Ollivant eine sichere Bank. Auch über die Mädchen und Knaben des Kölner Domchores, vorbereitet durch Oliver Sperling und Eberhard Metternich, gibt es nur Gutes zu berichten.

Nach einer berührenden Aufführung fällt der Applaus herzlich, aber auch kurz aus. Alle Beteiligten bekommen vereinzelte bis vereinigte Bravo-Rufe ab. Aufregung hatte die Oper Köln in den letzten Wochen genug, nun ist mit La Bohème mal etwas Ruhe eingekehrt. Allerdings ist zu befürchten, dass bei einer Wiederaufnahme, wenn sie nicht durch Hampe selber betreut wird, diese Inszenierung viel von ihrer Ausstrahlung verlieren wird. Wenn schon traditionelle Oper, dann bitte so.

Christoph Broermann