Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

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Alle Fotos © Paul Leclaire

Aktuelle Aufführungen

Im Cinemascope-Format

BENVENUTO CELLINI
(Hector Berlioz)

Besuch am
15. November 2015
(Premiere)

 

 

Oper Köln, Staatenhaus

1953 kommt mit dem Bibelmonumentalfilm The Robe der erste im Cinemascope-Verfahren produzierte Streifen in die New Yorker Kinos. Die neue Technik erschließt der Filmkunst die Dimension der Breitbanddarbietung und den Effekt eines eminent plastischen Eindrucks beim Betrachter. Sie bleibt zwei Jahrzehnte populär, wird in der Folgezeit durch komplexe 3-D-Verfahren abgelöst. Wie eine Produktion in einem Kino der Superlative mutet auch die Kölner Realisierung von Benvenuto Cellini, des Operndebüts von Hector Berlioz, in der Pariser Urfassung von 1834 an. Mit ihr eröffnet die Oper als verspäteten Auftakt der aktuellen Spielzeit ihre Ausweichspielstätte im Staatenhaus in Deutz im Gebäudekarree von Messe und RTL-Zentrale. Riesig die Ausmaße von Saal I, der mit seinem Fabrikhallencharakter an die Industriedenkmäler zwischen Duisburg und Dortmund erinnert, wie sie insbesondere durch die Ruhrtriennale bekannt geworden sind. Er bietet rund 800 Zuschauern Platz, jedoch kein klassisches Bühnenpodest und – anders als im Saal II – dem Orchester keinen Graben. François-Xavier Roth, neuer GMD und Gürzenich-Kapellmeister der Stadt Köln, hat die Musiker hinter den Säulen der leicht gebogenen Zwischenwand platziert. Je nach Position auf der nach hinten ansteigenden Besuchertribüne sieht der Beobachter den Dirigenten ganz oder gar nicht, sondern nur seine Arme nach links oder rechts hinter den Säulen hervorschießen.

An die Spezifika dieses Interims-Szenarios wird man sich in der Kölner Opernszene für eine Weile gewöhnen müssen. Wird doch das Stammhaus am Offenbach-Platz nach jüngsten Presseberichten nicht 2017, sondern erst 2018 wieder betriebsbereit sein. Von der Abnahme der Konstruktion und der Vorkehrungen zum Brandschutz im Mai 2018 ist jetzt die Rede. Zwei Fragen dürften nun, da nach Mitteilung von Kölns Intendantin Birgit Meyer sieben der acht in der aktuellen Spielzeit geplanten Premieren und auch ein Teil der vorgesehenen Wiederaufnahmen gesichert sind, den Spielbetrieb im Staatenhaus überwölben. Eignet sich die mit hohem Aufwand und in bestechend kurzer Zeit hergerichtete Übergangsspielstätte wirklich als Interims-Domizil für die Kunst der Oper? Und klingt Oper in der ursprünglichen Kongress- und Messehalle eigentlich wie Oper?

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

So subjektiv Antworten auf solche Kardinalfragen immer ausfallen dürften – nach den Eindrücken der Spielzeit-Premiere und den Reaktionen des bestens temperierten Premierenpublikums könnte das Wagnis durchaus gut ausgehen. Das Staatenhaus mit seinem räumlich großzügig ausgelegten Foyer kommt all denen entgegen, die beim Musiktheater dem Werkstattfluidum vieles abgewinnen können. Einen beträchtlichen Aufwand an Bühnenarbeitern verlangt die Inszenierung des in jeder Beziehung monströsen Zweiakters, die die Kölner Oper dem Regisseur und Multimediakünstler Carlus Padrissa, Kopf der Theatergruppe La Fura dels Baus, und seinen Mitstreitern Roland Olbeter, zuständig für die Bühne, sowie Chu Uroz, verantwortlich für die Kostüme, anvertraut hat. Es ist die dritte Kooperation mit den Katalanen nach der Uraufführung von Karlheinz Stockhausens Sonntag aus dem Zyklus Licht und Richard Wagners Parsifal. Das Publikum erlebt die Werktätigen in ihrer beeindruckenden Professionalität nicht nur sichtbar während der Aufführung, sondern auch in der Pause im Umgang mit den gewaltigen Requisiten, die Padrissa für die Darstellung des Künstlerdramas um den florentinischen Bildhauer und Goldschmied aufgewendet sehen möchte. Dieser exzentrische Renaissance-Künstler gießt auf dem Höhepunkt des Karnevals zu Rom um 1529 im Auftrag des Papstes die Perseus-Statue und gerät dabei in lebensgefährliche Intrigen und Liebeshändel.

Foto © Paul Leclaire

Auch der akustische Eindruck in Saal I ist passabel. Das Publikum sitzt zwar dicht an der Bühne und ihren wechselnden Aufbauten, hingegen relativ weit vom Orchester entfernt. So entsteht ein Raum, in dem sich der satte Sound der ungestümen Partitur herauskristallisieren und in Balance bringen lassen kann. So plastisch, wie eben in den Klassikern des Cinemascope-Kinos. Zweifellos ist die Akustik besser als im Blauen Zelt am Dom, der Interimsspielstätte in der vergangenen Spielzeit, mit ihren teils unterhaltsamen, teils störenden Nebengeräuschen.

Die Chancen und Risiken von Aufführungen in der Kölner „Oper in der Werkshalle“ in Zukunft werden in den vier Stunden des Dramas inklusive Pause förmlich greifbar. Padrissa und sein Team erfüllen mit ihrem Theater der Akrobaten, der schwebenden Menschen, der phantastischen Kostümwelten und der Bildermagien alle in sie gesetzten Erwartungen. Wie in Matrix bewegen sich die Angels Aeriels, ein Tanzensemble von Flugartisten, an Seilen gehalten und bewegt, scheinbar schwerelos im Raum, schichten sie den Koloss der Statue hoch hinaus bis unter die Hallendecke. Allerlei kriechendes Personal windet sich am Boden, in durchsichtigen Bällen oder durch transparente Röhren, rutscht eine Schräge hinunter, dabei zur Wein-Sequenz von Video-Strömen von Cognac und Champagner umspielt. Schließlich ist ja Karneval. Ein illuminierter Kopf in der Halbansicht, der anfänglich als Maske erscheint, dient als Behausung Teresas, der Geliebten Cellinis, dann als Lichtmaschine, später als veritabler Schmelzofen, in dem es nur so an Flammen prasselt. Videoeinspielungen zaubern die Vision einer Okkupation von Tintenfischen, Nessel- und Glibbertieren aus dem Meer hervor.

Ein Panorama der Sinne und ein Spektakel zirzensischen Ausmaßes fürwahr. Nur – in welcher Beziehung steht das alles eigentlich zur Oper und ihrem Sujet? Der junge Berlioz ist, als er Leben und Figur des Cellini für seine erste Bühnenkomposition entdeckt, von dem Stoff beseelt, weil er in dieser wüsten Existenz auch Bezüge zu sich selbst zu entdecken glaubt. Und komponiert so mit dem Elan des jungen Wilden 1838 für Paris eine Karnevaleske im Stil der Opéra comique mit Elementen der Grand opéra, die dem Konflikt des Künstlers mit der Gesellschaft und den Autoritäten, speziell dem Papst, eine große Bühne baut. Diese innere Grammatik bleibt leider Padrissas Theater der Magie fremd. L’art pour l’art, wenn auch auf höchstem Level. Was Roth beseelt und seine Entscheidung für die Urfassung plausibel macht wird hingegen in der Art und Weise vital spürbar, wie er mit dem Gürzenich-Orchester diese überbordende Musik angeht. „Radikal, lustvoll, total“ – diese Assoziationen, sagt er, verbinde er mit Berlioz und seiner Musik. Und eben das wird in dem von ihm entfachten Klangrausch manifest. Dabei wird er zur Koordination von Orchester, Solisten und Chor im Großraum des Staatenhauses von seinem Ko- Dirigenten Adrien Perruchon unterstützt, der vorn am Bühnenrand agiert. All das funktioniert, bisweilen großartig. So wird die Leistung des von Andrew Ollivant geleiteten Chores und der beiden Extra-Chöre zum Ereignis.

Sängerisch ist die Performance nicht ganz überzeugend. Ferdinand von Bothmer in der Titelrolle versucht zwar mit großer Empathie, der Gestalt des Cellini heroische Größe zu verleihen. Probleme beim Aufstieg seines Tenors in die Höhe vereiteln das aber häufig. Emily Hindrichs als Teresa bleibt phasenweise merkwürdig reserviert, was dagegen die dunklen Männerstimmen, Vincent Le Texier als Giacomo Balducci und Nikolay Borchev als Cellini-Widersacher Fieramosca, vorzüglich ausgleichen. Imponierend ist der Bass Nikolay Didenko als Papst Clemens VII. In Goldfolie gewandet und auf einem hohen mobilen Podest die Bühne querend, gibt er der schillernden Instanz kirchlicher wie weltlicher Macht Glanz und Aura. Eine Offenbarung ist Katrin Wundsam in der Hosen- und Schürzenrolle des Ascanio. Ihr Mezzo hat ein schönes Timbre; ihre Spielfreude verbreitet Vergnügen pur, so in der Madonna-Persiflage, in der sie allein im Scheinwerferlicht vor dem Bühnenaufgang agiert und auch einige Stufen hinauf zum Publikum nimmt.

Vor zwei Wochen hat die Oper Bonn mit der späteren, unter dem Einfluss von Franz Liszt geglätteten Weimarer Fassung in Sachen Berlioz am Rhein beeindruckend vorgelegt. Noch im Spielplan bis Februar ist eine Präsentation des Erstlings, die konzeptionell besticht. Nun also Köln mit der Totalität der Kunst und der Show. Glücklich der, der sich beides gönnt und dann vergleicht.

Ralf Siepmann