Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

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Alle Fotos © Matthias Baus

Aktuelle Aufführungen

Des Pudels Freiheit

MY FAIR LADY
(Frederick Loewe)

Besuch am
14. November 2015
(Premiere)

 

 

Theater Koblenz

Die Geste des Abends findet vor der Aufführung bei geöffnetem Vorhang statt. Intendant Markus Dietze, das Ensemble der Sänger, Tänzer und der Statisterie geschlossen hinter sich, verurteilt die grausamen Anschläge von Paris: „Terroristen bedrohen die Freiheit, auch und insbesondere die der Kultur und der Kunst.“ Unter dem Eindruck des Schreckens, sagt Dietze, habe man „nicht einfach so weiter spielen können“. Um sich dann aber zu vergewissern, eben doch „einfach weiterspielen zu wollen“. Der Terror ziele darauf ab, das öffentliche Leben zu lähmen, Theater- und andere Veranstaltungen zu verhindern. Dem müssten wir alle entschieden entgegentreten. „Wir verteidigen unsere gemeinsamen Werte“, unterstreicht der Intendant und zitiert die Programmatik der französischen Revolution von 1789: „Liberté, fraternité, egalité“. Das Publikum reagiert auf die Botschaft unmittelbar und mit spontanem Beifall.

Wie die Begründung von Seiten des IS-Terrors für den Anschlag auf die Konzerthalle Bataclan deutlich belegt, streben die Vorstellungen eines Steinzeit-Fundamentalismus und die Prinzipien einer offenen Gesellschaft im Sinne des Philosophen Karl Raimund Popper diametral auseinander. Zu den westlichen Werten gehört die Freiheit der Kunst. Sie begreift sich prinzipiell grenzenlos, soweit nicht strafrechtliche Normen berührt sind. Maßstäbe des Geschmacks sind ihr nicht immanent, können niemals Mittel der Legitimation von Unterdrückung sein. Ob ein Theater Schiller oder Shakespeare, Wagners Musikdramen, Abrahams Operetten oder eben ein Musical aufführt – nur das Was korrespondiert der Freiheit der Kunst, nicht das Wie. Was auf den Spielplan kommt, ist einzig die autonome Entscheidung der Verantwortlichen des Kulturbetriebs. Dafür hat die Politik sie berufen. Das Wie ist dann allenfalls eine Frage von Qualität und Professionalität und so gesehen eine sui generis. Sich das noch einmal bewusst gemacht zu haben, ist eine willkommene Besonderheit dieses Theaterabends, so wenig spektakulär er eigentlich überhaupt angelegt ist.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Die Entscheidung, nach mehr als 20 Jahren wieder einmal My Fair Lady auf die Koblenzer Bühne zu bringen, ist eine durchaus vielversprechende. Nicht nur dann, wenn es gilt, ein Abo-Publikum in seiner Bindung an das Haus bestätigen zu wollen. Vor wenigen Tagen erst ist der Start in die neue Karnevalssaison erfolgt. Spaß darf, Freude soll sein, muss auch öffentlich gelebt sein. Exakt vor 200 Jahren sind die Rheinlande – im engeren Sinne die Gebiete oberhalb von Koblenz bis nach Düsseldorf und an den Niederrhein – von Preußen annektiert worden. Da muss ein Zeichen gesetzt werden, am besten mit einem Stoff, der der Leichtigkeit bis hin zur Frivolität des Seins die Tore öffnet und der preußischen Enge die Stirn bietet.

Foto © Matthias Baus

Ein solcher Stoff ist My Fair Lady mit seinen spielerisch ausgebreiteten Klassen- und Geschlechterkämpfen, seinen historischen, literarischen und sprachlichen Verästelungen auf jeden Fall. Auf immer noch anrührende Weise funktioniert die x-te Version des Aschenputtel-Märchens im Stil der britischen Unterhaltungskomödie. Old fashioned die bald 60 Jahre alte, ewig junge Musik von Frederick Loewe, die über ein Dutzend eingängiger Hits liefert. Wer, wenn nicht gerade Ü 30, wüsste nichts zu verbinden mit I Could Have Danced All Night/Ich hätt’ getanzt heut’ Nacht? Oder mit The Rain in Spain/Es grünt so grün? Womit wir auch schon bei einem Grundproblem jeder Neuinszenierung des Musicals mit dem Buch und den Liedtexten von Alan Jay Lerner wären. Im Englisch der Londoner Oberschicht oder eben nicht? Hat sich doch das Stück in einigen europäischen Ländern in Übersetzungen durchgesetzt, selbst in Frankreich.

Das Koblenzer Team um Regisseurin Anja Nicklich und den musikalischen Leiter Karsten Huschke hat sich für die deutsche Fassung von Robert Gilbert entschieden, Grundlage der deutschsprachigen Erstaufführung 1961 im Theater des Westens in West-Berlin. Diese ist geprägt mit allerlei Adaptionen aus jenem Quasi-Dialekt, der sich als Berlinerisch bezeichnen lässt. Kristine Larissa Funkhauser in der Titelrolle des Blumenmädchens Eliza Doolittle und André Wittlich als ihr Vater Alfred P. Doolittle bringen ihn mit ersichtlichem Spaß hervor. Nicht jedoch das übrige Ensemble. So bleibt die preußische Komponente im Haus unweit des Deutschen Ecks seltsam erratisch, ohne aber letztlich als Fremdkörper ins Gewicht zu fallen.

Die Geschichte des Musicals wie der diversen Verfilmungen nach George Bernard Shaws Gesellschaftskomödie Pygmalion ist eigentlich ein Entwicklungsroman. An dessen Ende hat Eliza manierliche Umgangsformen gelernt und ein Selbstbewusstsein gewonnen, das Voraussetzung jeglicher Emanzipation ist. Der Phonetik-Professor Henry Higgins ist soweit gereift, menschliche Gefühle zuzulassen und Respekt gegenüber jedermann aufzubringen, unabhängig von allen Klassen- und Sprachgrenzen. Nicklichs Inszenierung im Verein mit Janina Thiels Bühnenbild und Kostümen hat durchaus ein Gespür für diesen psychischen Wandlungsprozess, öffnet sich aber erkennbar stärker den Vorzügen der Milieuschilderung, die das Musical mit seiner satten Deftigkeit parat hält. Bühne frei somit für eine Ausstattungsrevue, auf die sich das sängerisch wie spielerisch bestens aufgelegte Ensemble blendend versteht. Der in Koblenz nicht gerade üppige Bühnenraum wird durch Einzug einer zweiten, kreisförmig in die Höhe weisenden Ebene hervorragend genutzt. Das Mobiliar ist stilecht, und der Aufwand an technischen Apparaturen, die der Sprachforscher für seine wissenschaftliche Praxis benötigt, ergötzlich. Vor allem hat die Kostümwerkstatt hervorragend gearbeitet und speziell die degenerierte Londoner Aristokratie adäquat eingekleidet. So wird die Ascot-Szenerie, in der das Feld der imaginären Galopppferde an der Besuchertribüne vorbeifliegt, zum Vergnügen pur. Chapeau!

Karneval hin, Komödie her – des Klamauks, den die Inszenierung in ihrer Milieuverliebtheit freisetzt, wird es dann doch zu viel. Reizt das Heer an pinkfarbenen mobilen Pudelattrappen, die sich, ausgehend vom Accessoire der Ms. Higgins, nach und nach in ihrem Domizil ausbreiten, immer wieder zum Lachen, so überzieht das von Steffen Fuchs choreografierte Ballett häufig in die Richtung des Platten. Etwa dann, wenn die als Buckingham-Wache kostümierten Tänzer gleich zweimal offenbaren, was sie unter ihrer schmucken Uniform tragen. Musikalisch überzeugt die Aufführung hingegen uneingeschränkt. Die Funkhauser sowie Markus Schneider als Higgins und Wittlich als Elizas Vater meistern ihre Rollen bravourös und mit schauspielerischer Energie. Ebenso Wolfram Boelzle, der aber praktisch nichts zu singen hat. Juraj Holly ist ein stürmischer Freddy. Ihm dabei zu folgen, wie er die Straße anhimmelt, in der seine Eliza lebt, ist ein Vergnügen für sich. Als wundervoll getroffene Typen werden wohl Christoph Maria Kaiser als überdrehter ungarischer Galan Zoltan Karpathy, Anne Catherine Wagner als Mrs. Pearce mit prachtvoll gespielter Contenance sowie Claudia Felke als Mrs. Higgins in Erinnerung bleiben. Das Staatsorchester Rheinische Philharmonie unter Huschkes energischem Dirigat scheint die Partitur wie am Ende die Reaktion des Publikums förmlich zu genießen. Da hat der volle Saal seine My Fair Lady längst hörbar in sein Herz geschlossen.

Apropos Finale: Zwei der Pink-Pudel haben es bis in die Schlussszene geschafft. Die anderen hat das Dienstmädchen nach und nach von der Bühne geräumt. Eine besondere Symbolik. Ist doch des Pudels Kern diesmal die Freiheit, die der Kunst zumal, in deren Namen alles bewusst werden kann. Alles bis hin zum Respekt vor dem Anderen und seinen Werten.

Ralf Siepmann