Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

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Foto © Olaf Struck

Aktuelle Aufführungen

Globaler Rigoletto

RIGOLETTO
(Giuseppe Verdi)

Besuch am
20. Oktober 2016
(Premiere am 9. Oktober 2016)

 

 

Theater Kiel

Nachdem die Oper Kiel gerade erst erfolgreich eine Neuproduktion der Hugenotten gestemmt hatte, folgt mit Rigoletto ein Klassiker des Opernrepertoires. Als Regisseur gibt der junge Italiener Fabio Ceresa sein Deutschland-Debüt. Zusammen mit Domenico Franchi, der für das Bühnenbild verantwortlich zeichnet, und dem Kostümbildner Giuseppe Palella gelingt eine packende und in bester klassischer Erzähltradition geerdete Umsetzung dieses immer wieder ergreifenden Werks von Altmeister Verdi.

Ceresa hat als Spielleiter an der Mailänder Scala mit vielen bedeutenden Opernregisseuren wie Patrice Chereau, Luca Ronconi und Deborah Warner gearbeitet und war auch als Opernlibrettist bereits erfolgreich. In Italien hat er eine Reihe von Opernproduktionen an mittleren Bühnen des Landes inszeniert.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Ceresas Stil zeichnet sich nicht durch eine übermäßige Psychologisierung aus. Vielmehr basiert er seine Umsetzung und Personenführung auf empathischer Einfühlung in die Schicksale der Personen und sorgfältige spielerische und gestische Umsetzung des Handelns und Empfindens der Charaktere.  Gleichzeitig scheut er sich nicht, in Einzelfällen und in gebotenen Momenten die konkreten Handlungsabläufe in Abstraktionen zu überführen. Ein gutes Beispiel dafür ist das Quartett des dritten Aktes, in welchem er die Darsteller nicht getrennt singen lässt, wozu das intelligente und praktikable Bühnenbild während des Verlaufs der Oper immer die besten Voraussetzungen bietet. Stattdessen lässt er Gilda immer wieder physisch mehrfach vor die Augen des Herzogs treten, der jedoch gewissermaßen durch sie hindurchsieht. Die Verlorenheit und Verzweiflung der liebenden Frau wird so wieder und wieder plastisch und ergreifend sichtbar gemacht. Gilda kann die Situation nicht glauben und verweigert die Akzeptanz dieser Realität. Ihr eigenes Opfer entwickelt sich wie ein zwingender nächster Schritt.   

Foto © Olaf Struck

Das Bühnenbild arbeitet mit den Elementen eines in der Mitte der Bühne installierten, beweglichen Guckkastens, der Innen- und Außenwelten sichtbar machen und auch wieder verschließen kann. An den Seiten dieses zentralen Kastens können die wiederholt vorkommenden Szenenelemente mit Darstellern des verborgenen, von den anderen nicht hörbaren Singens sinnhaft platziert werden. Immer wieder werden Leitern bedrohlich sichtbar, die in eine unkontrollierbare Höhe führen und nicht nur zu Gildas Entführung genutzt werden, sondern als Wege in die Gefahr gegenwärtig bleiben.

Rigolettos Haus ist eine abgeschottete, rotglühend leuchtende Innenwelt, die ihren farblichen und emotionalen Überdruck erst aus ihrer Abgeschlossenheit und gewinnt. 

Die Kostüme entsprechen diesem Konzept in ihrer gleichfalls rot-fundierten, überbordenden, gestisch opulenten Gestaltung. Der Männerchor tritt mit ebenfalls rot-leuchtenden, unter den Roben getragenen Brustpanzern auf – eine Rotte, der man im höfischen Gestrüpp der Intrigen nicht im falschen Moment begegnen möchte. Rigoletto ist meist durch ein übergroßes Federkostüm ausgestattet, der Herzog mit überreich verzierten Pailletten unterwegs – nur Gilda sticht in ihrer Einfachheit hervor. Die sensible Lichtgestaltung von Martin Witzel rundet die Produktion einfühlsam ab.

Insgesamt eine Charakterisierung durch klassische Spiel- und Ausdruckselemente. Farben und Ausstattungsmerkmale stammen aus der bewährten Tradition des europäischen oder italienischen Theaters, ein wenig wie ein Gegenpol zum weitverbreiteten psychologisierenden Regietheater.  

Auf der Opernbühne in Kiel ist die multikulturelle Integration in Deutschland schon erfolgreich umgesetzt. Der Rigoletto stammt aus der Mongolei, Gilda und der Herzog sind Süd-Koreaner, Sparafucile ist türkischer Abstammung und die Maddalena kommt aus Georgien. Dazu sind alle Protagonisten der Hauptpartien noch außerordentlich jung. Amartuvshin Enkhbat zählt ganze 30 Jahre. Die Liste der internationalen Gesangswettbewerbe, an denen er erfolgreich teilgenommen hat, ist mehr als eindrucksvoll. Und das kommt auch in seiner stimmlich überwältigenden und ergreifenden Darstellung der Titelpartie glänzend zum Ausdruck. Seine stimmlichen Reserven sind groß und einfühlsam eingesetzt.

Glänzend auch die Gilda der Hye Jung Lee, Ensemblemintglied der Kieler Oper, mit ebenfalls vielfältigen internationalen Erfahrungen, wie der Olympia in Hoffmanns Erzählungen in San Francisco. Ihr silbrig-klarer, mit absoluter Sicherheit geführter Sopran kann die immensen Schwierigkeiten der Partie mit äußerlicher Leichtigkeit erfüllen. Ihr Spiel, insbesondere in den Szenen mit dem Vater, ist eindrucksvoll und bewegend. 

Auch der Herzog ist mit Yoonki Baek aus dem hauseigenen Ensemble besetzt. Er vermag den doppelgesichtigen Charakter der Figur durchgehend überzeugend zu verkörpern. Die hohen Anforderungen der Partie kann die Stimme weitgehend erfüllen, wenn auch nicht ganz ohne Anstrengung in den extremen Lagen.

Die musikalischen Höhepunkte der Aufführung sind die Soloszenen der Sänger, insbesondere von Gilda und Rigoletto. Trotz berührender schauspielerischer Leistungen sind die Begegnungen der drei tragenden Charaktere in den Duetten, sei es durch die individuelle Timbrierung der Stimmen oder eine ausbaufähige gemeinschaftliche Stimmführung noch nicht immer optimal.

Kemal Yasar vermag der Rolle des Auftragsmörders Sparafucile alle notwendigen, differenzierten Schattierungen der Partie zu geben. Die Maddalena der Tatia Jibladze überzeugte nicht nur durch ein samtenes und verführbares Timbre bei sicherer Stimmführung, sondern auch durch außerordentlich spielfreudiges Auftreten.  Eindrucksvoll Matteo Maria Ferretti als stimmgewaltiger Monterone.

Blendend aufgelegt ist der sehr aktiv geführte Männerchor des Opernchores Kiel unter der Leitung von Lam Tran Dinh.

Der Generalmusikdirektor des Hauses, Georg Fritzsch, puscht das Philharmonische Orchester Kiel immer wieder – so werden einerseits die grellen Dynamiken der Partitur mit Aplomb ausgespielt, andererseits die spezifische Rhythmik und Linienführung des mittleren Verdi berührend wiedergegeben. Hervorzuheben ist dabei das feine Spiel der äußerst engagierten Holzbläser.

Dem Publikum gefällt diese sorgfältige, traditionell erzählte Inszenierung ganz eindeutig, das gesamte Künstlerensemble wird mit langem Applaus gefeiert. Viele Bravorufe für Gilda und Rigoletto.

Achim Dombrowski