Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

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Foto © Olaf Struck

Aktuelle Aufführungen

Wiederauferstehung der Hugenotten

DIE HUGENOTTEN
(Giacomo Meyerbeer)

Besuch am
24. September 2016
(Premiere)

 

 

Theater Kiel

Es ist ein Jahr der Wiederentdeckungen für die Hugenotten: nach Kiel werden in den nächsten Wochen auch Würzburg und Berlin Neuinszenierungen der Oper präsentieren. In Kiel wurde das Werk seit über 90 Jahren – teilweise bedingt durch das Aufführungsverbot durch die Nationalsozialisten im so genannten Dritten Reich – nicht mehr gegeben, nun aber gleich zum Spielzeitauftakt dieser Saison.

Auch für größere Häuser als Kiel stellt die Realisation dieses Werkes eine Herausforderung dar. Die Anforderungen an die Stimmen sind exorbitant, das vielschichtige Szenario der Handlung erfordert eine straffe Umsetzung, die immer auch umsichtige Kürzungen und Striche der Riesenpartitur bedingt. Die Gesamtaufführungsdauer überschritte ansonsten die fünf Stunden.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Das Leitungsteam um Lukas Hemleb mit Joanna O'Keefe als verantwortlicher Choreografin, Gianni Carluccio für Bühne und Licht sowie Falk Bauer für die Kostüme setzt auf eine die übergroße Geste der Grand opéra meidende, nur mit sparsamen Requisiten ausgestattete und umso mehr mit eindringlichen Lichteffekten im Hintergrund arbeitende Raumgestaltung. Dieser offene Raum dient als Labor-Plattform, um die Eigenarten und Qualität der nicht mehr allseits bekannten Musik Meyerbeers jenseits aller überdimensionierten, falsch verstandenen Gestik der Grand opéra zu hinterfragen. Die Sparsamkeit im Dekor fordert auch neben den schon anspruchsvollen Gesangspartien die Darstellungsfähigkeiten der Solisten und des Chores besonders heraus.

Foto © Olaf Struck

Die Solisten sind im Allgemeinen sinnvoll geführt, doch viele Szenen, auch mit dem personell stark durch den Extrachor erweiterten Chor des Theaters Kiel, erstarren wiederholt an der Rampe. Nicht alle Solisten entkommen gelegentlich stereotyper Posen und Gesten.

Die Handlung wird klar und deutlich erzählt, allerdings bleibt Valentines Verheiratung mit Nevers am Ende des dritten Aktes unverständlicherweise wie ein Stillleben eingefroren. Keiner zeigt eine Regung und verharrt im Stillstand, obwohl die aufgepeitschte Gefühlswelt und die machtpolitische Konfrontation genau an dieser Stelle am stärksten kollidieren und Auslöser des sich abzeichnenden Untergangs und der Bartholomäus-Nacht sind.

Anton Rositskiy verausgabt sich stimmlich und darstellerisch rückhaltlos und vermag die Person des Raoul de Nangis glaubhaft zu verkörpern. Angesichts der ungeheuren stimmlichen Anforderungen eine bewundernswürdige Leistung. Das teilweise statuarische Spiel mit vielen klassischen Operngesten kann in einer anderen Personenführung sicherlich optimiert werden. Timo Riihonen gibt seinen Diener Marcel, der in Kurwenal-ähnlicher Treue stets zur Seite ist und darstellerisch wie stimmlich durchweg überzeugt.

Großen Erfolg feiert Daniela Bruera als Marguerite de Valois, die die Herausforderungen der Rolle beeindruckend erfüllt und die stimmliche Linienführung der Gesangspartie so herausragend meistert, als ob sie schon immer in der Zeit Meyerbeers und seiner Gesangskultur zuhause wäre.  

Valentine de Saint-Bris wird von Agnieszka Hauzer verkörpert. Die zerbrechliche Aura ihrer Person im tragischen Mittelpunkt der tödlichen Auseinandersetzung wird von ihr mit jugendlicher Poesie und zarten stimmlichen Klangfarben geformt. Sie verkörpert das Opfer der religiös-politischen Auseinandersetzung stimmlich in überzeugender und bewegender Form. Auch Hauzer wird den speziellen stimmlichen Anforderungen in einem Maße gerecht, als gehöre die Meyerbeersche Opernästhetik zu ihrem täglichen Brot – eine eindrucksvolle Leistung.

Tomohiro Takeda bleibt der Partie des Grafen von Nevers nichts schuldig. Mit schneidiger Geste und sonorer Stimmkraft überzeugt er in der Rolle des zugleich zweifelnden Katholiken, der sich dem feigen Morden seiner Glaubensbrüder entziehen will und dadurch selbst zu Tode kommt.  Auch die Erkenntnis, dass er mit Valentine eine Frau vom Vater zugesprochen bekommt, die einen anderen tief und innig liebt, weiß Takada sensibel zur Darstellung zu bringen.

Das Ensemble des Theaters Kiel ist auch in allen anderen Rollen mehr als angemessen besetzt. Eine Leistung, die angesichts der Vielfalt der Charaktere nicht leicht zu erfüllen ist. Stellvertretend dafür seien hier Jörg Sabrowski als Graf von Saint-Bris, der Vater Valentines, Michael Müller als De Tavannes, Fred Hoffmann als De Cosse, Joao Trleira als De Thore, Mathias Tönges las De Retz und Matteo Maraia Ferretti als De Meru genannt. Aufhorchen lässt Karola Sophia Schmid mit einem quicklebendigen, schön geführten und durchsetzungsstarken Sopran.

Chor und Extrachor des Theaters Kiel mit seinen großen Aufgaben stehen unter der souveränen Leitung von Lam Tranh Dinh. Das Philharmonische Orchester Kiel mit Daniel Carlberg am Pult weiß die ganze Brandbreite der epischen musikalischen Entwicklung von feinster Begleitung verletzlicher Stimmen bis zum aufbrausenden Orchestertutti in den sich steigernden und aufwühlenden Chorszenen beim Gemetzel der Bartholomäus-Nacht grandios auszufüllen. Hervorzuheben sind auch viele solistische, wunderbar gespielte Instrumentalbegleitungen zu Gesangspartien an verschiedenen Stellen der Handlung aus dem Orchester. Es hätte gar nicht geschadet, einzelne Solisten namentlich auch im Programmheft zu benennen.

Das Kieler Publikum folgt der Handlung mit hoher Konzentration und weiß die anspruchsvollen Leistungen der Sängerdarsteller zu erkennen und zu würdigen. Viele Bravos für alle Sänger, insbesondere die Hauptdarsteller. Auch das Regieteam wird ohne Widerspruch gefeiert.   

Das Werk steht in nicht weniger als zwölf weiteren Reprisen bis April auf dem Spielplan des Hauses. Die Kieler und der interessierte Opernreisende sollten sich die Produktion nicht entgehen lassen – sie wird sich auch im Vergleich zu den weiteren angekündigten Inszenierungen gut schlagen.

Und wer weiß, wann es später wieder in Kiel gezeigt werden wird – vielleicht müssen wieder 90 Jahre auf eine Folgeproduktion warten ...

Achim Dombrowski