Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

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Foto © Oliver Vogel

Aktuelle Aufführungen

Verdi in der Black Box

OBERTO
(Giuseppe Verdi)

Besuch am
4. August 2016
(Premiere)

 

Opernfestspiele Heidenheim,
Festspielhaus Congress Centrum

Die Überraschung ist perfekt: Was zunächst wie ein von Sparzwängen eingepferchter Appendix zur üppigen Bohème-Inszenierung auf dem Schlosshof der malerischen Burgruine Hellenstein aussieht, entpuppt sich als wahrer Knüller des diesjährigen Heidenheimer Opernfestivals. Marcus Bosch, derzeit Generalmusikdirektor in Nürnberg und seit 2010 überaus erfolgreicher künstlerischer Leiter des Festivals, begann in diesem Jahr mit einer Serie der frühen Opern Giuseppe Verdis, die mit spartanischer Ausstattung im Konzerthaus seiner Geburtsstadt präsentiert werden soll. Und zwar in strenger chronologischer Abfolge, so dass man den Versuchsballon mit Verdis allerstem Opernversuch, dem Oberto aus dem Jahre 1839, steigen ließ. Dass Verdi selbst von seinem Erstling in späteren Jahren nicht mehr allzu viel hielt, ist angesichts seiner gigantischen Entwicklung verständlich. Aber man tut dem Frühwerk Unrecht, wenn man es mit seinen späteren großen Würfen vergleicht. Die dramaturgische Anlage verbreitet in ihrer Brüchigkeit noch Werkstatt-Atmosphäre und übt gerade dadurch einen besonderen Reiz aus. Denn Verdis Gespür für menschliche Charaktere und psychische Konflikte zeigt sich hier bereits ebenso entwickelt wie die Fähigkeit, die Klaviatur emotionaler Schattierungen musikalisch auszudrücken. Nicht so raffiniert, tiefgründig und perfekt wie in seinen bekannten Meisterwerken, aber erheblich packender und individueller als in den Belcanto-Orgien seiner Zeitgenossen.

Dass Regisseur und „Bühnenbildner“ Tobias Heyder mit extrem schmalem Budget auskommen musste, erwies sich in diesem Fall sogar als Vorteil. Auf der leeren, allenfalls mit Stühlen verstellten Bühne konzentriert sich der Blick auf die Konstellationen der Figuren, ungetrübt von aufwändigen historischen Bezügen zur verwickelten Hintergrundgeschichte. Indem er gerade den Kontext um die Ghibellinen-Rebellion gegen die Herrschaft Friedrichs II. im südlichen Italien des 13. Jahrhunderts unberücksichtigt lässt, präsentieren sich die Protagonisten in ihrer menschlichen Blöße. Wir werden Zeuge von großen, letztlich enttäuschten Liebes-Illusionen, von einem Vater-Tochter-Konflikt und einem schamlosen Schürzenjäger. Attribute, die bereits an Rigoletto erinnern, die sich jedoch im Oberto in ihrer musikalischen Konsistenz noch härter und unempfindlicher gegenüber sentimentalen Entgleisungen zeigen als in dem berühmteren Geniestreich.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Die Handlung in Kürze: Graf Oberto wurde vom Ghibellinen Ezzelino, einem Vertrauten Friedrichs II., wegen seiner Rebellion gegen Friedrich verbannt und erfährt im Exil, dass seine Tochter Leonora Ezzelinos Vasallen Riccardo heiraten will. Er kehrt inkognito in seine Heimat zurück und wird Zeuge, wie Riccardo hinter Leonoras Rücken die Hochzeit mit Ezzelinos Schwester Cuniza vorbereitet. Beide Frauen verbünden sich gegen den Betrüger, und Oberto fordert ihn zum Duell auf. Oberto stirbt und Leonora, von Schuldgefühlen geplagt, beschließt, ins Kloster zu gehen.

Foto © Oliver Vogel

Mit der Abschieds-Arie der Leonora schließt das Werk recht unvermittelt ohne Chor-Pomp oder dramatische Zuspitzung. So wie ohnehin dramatische Entwicklungen rar gesät sind. Für Heyder kein Problem, der auf der offenen, von Hartmut Litzinger raffiniert ausgeleuchteten Bühne die Auseinandersetzungen und inneren Konflikte sehr intensiv ausarbeitet und die einzigen Requisiten, die Stuhl-Galerie, wirkungsvoll ins Geschehen integriert. Bestes Kompliment für alle Beteiligten, auch für die Kostümbildnerin Janine Werthmann, die den Chor in Einheits-Schwarz und die Protagonisten in historisch angehauchte, aber dennoch leichte Kostüme kleidet: Trotz der sparsamen Ausstattung vermisst man nichts.

Und die musikalische Qualität spricht für sich. Marcus Bosch bringt die melodisch reiche und gleichwohl immer auf den seelischen Zustand ausgerichtete Musik mit seinem Festivalorchester, den 55 Musikern der Cappella Aquilea klangschön, agil und sängerfreundlich zu Gehör. Die etwas konventioneller gestrickten Chöre bereiten dem versierten, auch in der Bohème aktiven Tschechischen Philharmonischen Chor Brünn keine Probleme.

Und die Solisten wachsen geradezu über sich hinaus. Vier große Rollen und drei Idealbesetzungen: Woong-jo Choi, ein Bassist, der in der letzten Spielzeit wieder ans Aachener Theater zurückgekehrt ist, gelingt mit seinem voluminösen, tragfähigen und perfekt geführten Bass ein überwältigendes Rollenprofil der Titelpartie. Anna Princeva als Leonora und Katerina Hebelkova als Cuniza überbieten sich gegenseitig an vokalem Wohllaut, Koloraturgeläufigkeit und darstellerischer Intensität. Ein wenig eingeengt wirkt der Tenor Adrian Dumitru in der, zugegeben, unsympathischen Rolle des Riccardo. Dass sie sich stimmlich allesamt ohne unangenehmes Forcieren durchsetzen können, ist nicht zuletzt der sängerfreundlichen musikalischen Leitung Boschs zu verdanken. Auch hier stimmt alles.

Das Premieren-Publikum im nicht ganz ausverkauften Konzerthaus zeigt sich rundum begeistert. Angesichts der Unbekanntheit des Werks können sich die Besucherzahlen der leider nur zwei Aufführungen dennoch sehen lassen. Das lässt sich im kommenden Jahr gewiss ändern, wenn neben dem Fliegenden Holländer auf der Burg-Bühne im Konzerthaus Verdis Il giorno di regno gezeigt wird. Vielleicht war es nicht ganz geschickt, im Vorfeld so ausführlich auf die sparsame Ausstattung hingewiesen zu haben. Weniger ist manchmal mehr.

Pedro Obiera