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Aktuelle Aufführungen

Ewige Suche nach dem Gesamtkunstwerk

WAGNERSUCHT
(Sebastian R. Richter)

Besuch am
15. Dezember 2015
(Premiere am 12. Dezember 2015)

 

Theaterakademie Hamburg,
TheaterQuartier im Jungen Forum

Die Londoner Band The Valkyries hat sich zusammen mit Sebastian R. Richter, der seine Abschlussarbeit als Absolvent im Bereich Musiktheaterregie an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg präsentiert, auf die Suche nach neuen Formen der Darstellung im Musiktheater gemacht.

Thema ist unter anderem das Werk Richard Wagners, das in diversen Ausschnitten, neben Zitaten aus dem Sacre von Strawinsky, in einer Mischung aus Neuer Musik, Elektro und eben Themenzitaten aus Wagners Werken erklingt. Wir hören Musik von Steven Tanoto, Dario Quinones und Richard Wagner.

Die ungewöhnliche Instrumentenkombination der Band umfasst Horn, Zither, Geige, Akkordeon und Schlagzeug. Es spielen Sonja Engelhardt, Elise Schobeß, Marius Zirngibl und Alexander Duane Reger.

Es wird mit ungewohnten, verwirrenden musikalischen und szenischen Brüchen gearbeitet, die nie ein tradiertes Sehverhalten bedienen. Es ist Ziel des Abends, unentwegt neue Formen, Widersprüche und Irritationen zu produzieren. Das gelingt auch wirkungsvoll, nicht zuletzt indem sich Darsteller und Regisseur selber dabei auch nicht zu ernst nehmen oder in den Duktus der traditionellen Hochkultur verfallen. Exaltiert wird jede Form ins Extrem ausgereizt.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Eine Szene widmet sich Wagners Parsifal. Amfortas‘ Klage wird bildlich in einem zuckersüßen Heiligenbildchen-Ambiente präsentiert und dabei von dem jungen Sänger Tim Maas mit Leidensmiene und zugleich noch so jugendlicher Unschuld dargestellt, dass man fast noch ein Kind sieht, welches die – späteren – Widersprüche und Verstrickungen der Existenz erst erahnt und sich neugierig und unausweichlich auf die ewige Suche nach der eigenen Identität macht. Die aktuelle Existenz ist aber vorrangig mit der unschuldigen Erkenntnis ausgefüllt, dass das andere Geschlecht genauso elektrisiert von der erotischen Begegnung ist wie sie in einem selbst erglüht. Pole, die möglicherweise lebenslang nicht aufgelöst werden. 

Was hier Bild für Bild und Effekt für Effekt durchgeknallt und verrückt wirken mag, kann ein veritabler Vorrat an Materialien und Formen für Richters zukünftige Arbeiten von Musiktheaterwerken darstellen. Der Untertitel Gesamtkunstwerk mag allerdings wohl eher auf ein Langfristziel hindeuten.

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Die Bühne von Malina Raßfeld und die Kostüme von Florian Parkitny und Anna Pelz beinhalten viele bildstarke Materialien, die die Konzeption wirkungsvoll ergänzen und vertiefen. 

Die Sopranistin Vera Alkemade schlüpft neben Tim Maas in eine Reihe von weiteren collagehaften Szenen und gestaltet den Abend mit großer Wandlungsfähigkeit. Die Schauspielerin Tanja Hirner moderiert, unterbricht oder protestiert gegen szenische Abläufe als zwielichtige Moderatorin und Zuschauerin über den gesamten Abend.  

Schade, dass die erste Vorstellung nach der Premiere so schwach besucht ist – der Dezember mit seinem Weihnachtsfeierterror ist da wohl ein schwieriger Monat. Beifall gibt es nicht, da die meisten Zuschauer von den Akteuren am Ende des Abends übergangslos zum Tanzen in die sich zu einer Disco wandelnden Bühne gezogen werden – das muss man sich mal in einem traditionellen Opernhaus vorstellen, am besten in einer so gemeinsam mit dem Publikum gefeierten Verklärungsszene – zum Beispiel am Ende des Fliegenden Holländers ...   

Alternativ kann man am Schluss auch einen geführten Besuch in die „Gralskammer“ machen, einer Rauminstallation mit Klang-, Musik- und Geräuscheffekten, die man durch unterschiedliche Aktionen als Besucher selbst in Gang setzt. Das bewirkt amüsierte Neugier und Unterhaltung der Teilnehmer der Gruppe untereinander.

Der Abend lässt jedenfalls erwarten, dass dem Musiktheater in Deutschland die Ideen für die zukünftige Gestaltungsformen nicht ausgehen werden – das ist vielversprechend.

Achim Dombrowski