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Kulturmagazin mit Charakter

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Alle Fotos © Klaus Lefebvre

Aktuelle Aufführungen

Plädoyer für das Drei-Sparten-Theater

TANZQUARTETT
(Ricardo Fernando)

Besuch am
30. April 2016
(Premiere)

 

 

Theater Hagen

Auch wenn das Ballett, soweit überhaupt noch fest im städtischen Theaterangebot verankert, immer besonders stark und früh von Einsparungen oder Schließungen bedroht ist und eher ein Nischendasein fristet, ist der Wert seiner Leistungen gar nicht hoch genug einzuschätzen. Das gilt auch für das Theater Hagen, dessen Intendant Norbert Hilchenbach, wie gewohnt, der Wind aus Stadt und Teilen der Presse auch am Ende seiner vorletzten Spielzeit mächtig entgegenweht. Dabei gehört das Theater Hagen auch und gerade mit seinen drei Sparten zu den Bühnen, die mit ihrer interessanten Spielplangestaltung und ihrem künstlerischen Niveau trotz wachsender finanzieller Einschränkungen Jahr für Jahr mit Spitzenleistungen auf großes überregionales Interesse stoßen. Und dass den Bürgern ihr Theater am Herzen liegt, beweisen sie mit der der regen Teilnahme an einer Unterschriftenaktion, mit der die völlige finanzielle Ausblutung gestoppt werden soll.

Hilchenbach kann in seiner neunjährigen Amtszeit stolz sein, das Schiff unter denkbar ungünstigen Rahmenbedingungen auf dem gewohnten Kurs gehalten zu haben. Denn was das Hagener Ballett in seinem neuen Programm Tanzquartett zeigt, ist Tanzkunst auf der Höhe der Zeit, die sich nicht hinter der von Essen, Dortmund, Gelsenkirchen oder der Deutschen Oper am Rhein zu verstecken braucht. Und das mit einem kleinen, 13-köpfigen Ensemble nebst einigen Gästen, mit denen Ricardo Fernando kleine Wunder vollbringt. Dazu gehören die allesamt anspruchsvollen Arbeiten von vier renommierten Choreografen, die die Compagnie jetzt im voll besetzten Theater Hagen zum Erfolg führt. Darunter die schwarze, harte Choreografie Blushing von Marco Goecke, dessen internationale Karriere als Choreograf mit seiner ersten Arbeit am Theater Hagen vor 16 Jahren startete. Blushing aus dem Jahre 2003 lässt die einstige Brutalität der provozierend kompromisslosen Bewegungssprache Goeckes noch deutlich erkennen. Scharf gezirkelte Formationen, hektisch aufgedrehte, hochvirtuose Arabesken mit Armen und Händen, skurrile Bewegungsarten auf Händen, Hinterteilen, hüpfend und rollend in allen erdenklichen Fassetten: Alles das kennzeichnet Goeckes charakteristisches Vokabular. Auf der leeren schwarzen Bühne bieten lediglich die hellen, nackten Oberkörper der ebenfalls schwarz gekleideten Tänzer einen Kontrast zur dunklen Kulisse. Die Musik schweigt meistens, ab und zu unterbrochen durch aggressive Klänge mit hohem Geräuschanteil.

POINTS OF HONOR
Musik
Tanz
Choreografie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Ähnlich düster geht es auch im letzten Beitrag des Abends zu, einer eigenen Arbeit des Hagener Ballettdirektors Ricardo Fernando mit dem Titel Tangata, einer strengen Choreografie zu Tangos von Astor Piazzolla mit einer virtuosen Fuge als Abschluss. Bewegt sich Goeckes Arbeit in abstrakten Sphären, nutzt Fernando den Tango als Basis intensiver, alles andere als romantisch-verspielter Geschlechterkämpfe. Beide Arbeiten realisiert das Hagener Ensemble mit geradezu lupenreiner Präzision und großer Hingabe.

Foto © Klaus Lefebvre

Die dunklen Rahmenteile werden gefüllt durch freundlichere, jedoch keineswegs unverbindlichere Beiträge von Raimondo Rebeck und Cayetano Soto. Rebeck, der Ballettchef der Dortmunder Oper, setzt damit ein Zeichen für die enge Verbundenheit der Revier-Compagnien, die sich allesamt ein individuelles Profil erarbeiten konnten und dem Ruhrgebiet zu einer erfreulich schillernden Tanzlandschaft verholfen haben. Blind Dreams bezieht seinen Reiz aus den Erfahrungen eines blinden Menschen, der sich eine eigene Welt ertanzt, ohne die teilweise schroffen Einflüsse der Mitmenschen zur Kenntnis zur nehmen. Jiwon Kim Doede schlüpft mit großem Einfühlungsvermögen in die Wahrnehmungswelt einer Blinden. Das Ergebnis ist eine zarte, keineswegs verzuckerte Studie von anrührender Poesie, die die harte Realität nicht ausklammert. Und der von Rebeck gestaltete Lebensbaum, auf den Valeria Lampadova fantasievolle Visionen der blinden Protagonistin projiziert, verstärkt die sensible Wirkung des Stücks.

Vier krebskranke Frauen sehen sich in Cayetano Sotos Ballett Fugaz vom Tode bedroht und widersetzen sich mit unterschiedlichem Erfolg dem düsteren Schicksal. Ebenfalls filigrane Bewegungsstudien von großer Menschlichkeit, die die Hagener Tänzer ebenso weich umsetzen wie sie die Arbeiten von Goecke und Fernando mit voller Härte präsentieren. Unterstützt durch die exotisch gefärbte, introvertierte Musik von Georges I. Gurdjieff. Auch hier kann das Ensemble sowohl durch glänzende Einzelleistungen als auch im Kollektiv rundum überzeugen.

Das Premieren-Publikum reagiert begeistert auf alle vier Beiträge. Ein Abend, der erneut den Rang des Hagener Theaters und die Treue der Besucher unter Beweis stellt.

Pedro Obiera