Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

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Foto © Klaus Lefebvre

Aktuelle Aufführungen

Erotisches im Jugendzimmer

DIE HOCHZEIT DES FIGARO
(Wolfgang Amadeus Mozart)

Besuch am
1. Oktober 2016
(Premiere)

 

 

Theater Hagen

Es wird weitergehen mit dem Theater Hagen. Wie, das bleibt die Frage. Immerhin hat sich die derzeitige Leiterin der Eutiner Festspiele, Dominique Caron, bereit erklärt, die Nachfolge von Intendant Norbert Hilchenbach ab 2018 anzutreten. Die im Raum stehenden Kürzungen des auf 15 Mill. Euro geschrumpften Etats um weitere 1,5 Mill. wirft allerdings einen bedenklichen Schatten über den Erhalt der von Hilchenbach mit eiserner Konsequenz vertretenen Repertoirepolitik. Immerhin hat der scheidende Intendant gegen alle Widrigkeiten Jahr für Jahr so vielfältige und anspruchsvolle Programme durchsetzen können wie nur wenige andere Häuser der theaterreichen Region.

Allerdings sind auch Dominique Caron aus ihren verschiedenen früheren Funktionen in Dortmund, Düsseldorf und Krefeld finanzielle Probleme nicht fremd. Ob aber ein Rosenkavalier wie in der letzten Saison unter den neuen Voraussetzungen gestemmt werden könnte, wird die Zukunft zeigen.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Geschickt nutzt Hilchenbach die einzige Chance, mit der auch kleinere Häuser mit großen Aufgaben punkten können: die Förderung eines blutjungen, entwicklungsfähigen Ensembles. Damit gelang ihm ein mehr als achtbarer Rosenkavalier. Und diesen Trumpf spielt er zum Saisonauftakt mit einer Neuinszenierung der Mozart-Oper Die Hochzeit des Figaro noch radikaler aus. Denn ein so jung, geradezu jugendlich besetztes Ensemble wie in der insgesamt gelungenen Neuproduktion dürfte rekordverdächtig sein.

Foto © Klaus Lefebvre

Doch gerade dieser Tatsache hat der neue Figaro seinen Charme zu verdanken. Zwar ist noch nicht jede Stimme für die anspruchsvollen Partien ausgereift. Doch das Entwicklungspotenzial ist groß, und die Spielfreude und szenische Vitalität, die jeder Schauspielinszenierung zur Ehre gereichen würden, heben manches vokale Defizit auf. Regisseurin Annette Wolf, die sich vielfach im Kinder- und Jugendtheaterbereich hervorgetan hat, nutzt diese Chance und inszeniert das Stück als erotische Komödie, in der die Figuren mit beherztem Eifer, mitunter auch Übereifer, ihre Gefühle ausspielen. Euphorie, Geilheit Wehmut, Schadenfreude, Wutanfälle und Glücksgefühle: Dieser Inszenierung ist, wie auch Mozarts Oper, nichts Menschliches fremd.

Dass das Bett in der mit zarten Rokoko-Anleihen versehenen Ausstattung von Imme Kachel nicht nur als Dekor herhalten muss, sondern in etlichen Szenen zur zentralen Spielstätte avanciert, ist nachvollziehbar. Es knistert in allen Ecken und zwischen allen Ständen. Das alles führt Annette Wolf mit so lockerer und einfühlsamer Hand, dass der Verzicht auf die politische Brisanz des Stücks zu verschmerzen ist. Dass nicht nur in Beaumarchais‘ Vorlage, sondern auch in Mozarts Vertonung die betonierten Mauern des Absolutismus im Vorfeld der Revolution zu bröckeln beginnen, interessiert Wolf weit weniger.

Den Schwung, den die Akteure auf der Bühne entfachen, klingt auch im Orchestergraben auf. Dabei überdreht Generalmusikdirektor Florian Ludwig freilich bisweilen die Schraube, so dass gerade die Momente, in denen Mozart die Zeit anzuhalten scheint, zu kurz kommen. Dass angesichts des rasanten Grundtempos die Koordination zwischen Orchester und Bühne nicht immer gelingen will, mag dabei (noch) der Premieren-Nervosität anzulasten sein.

Das Ensemble prägen vor allem neue Kräfte. Dass die ebenfalls noch junge Sopranistin Veronika Haller zu den erfahrensten Kräften der Aufführung zählt, spricht für sich. Im Rosenkavalier begeisterte sie als Marschallin, als Gräfin im Figaro hat sie allerdings mit ihren scharfen Höhen zu kämpfen. Davon kann bei Kristine Piccardi als putzmuntere Susanna mit ihrem beweglichen, noch etwas soubrettenhaft timbrierten Sopran nicht die Rede sein. Kenneth Mattice steigert sich als Graf zu beeindruckender stimmlicher Größe und Andrew Finden hält sich mit seinem Bariton als Figaro noch etwas zurück. Kristine Larissa Funkhauser steuert einen rundum überzeugenden Cherubino bei. Die kleineren Partien ergänzen die vorzügliche Ensembleleistung auf gutem Niveau.

Begeisterter Beifall für eine Premiere, die sich hören und sehen lassen kann. Und der Beifall darf auch als Aufmunterung für den vorbildlichen Kurs gelten, mit dem Hilchenbach seinen Vorstellungen treu geblieben ist.

Pedro Obiera