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Kulturmagazin mit Charakter

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Alle Fotos © Klaus Lefebvre

Aktuelle Aufführungen

Liebevoller geht es nicht

HÄNSEL UND GRETEL
(Andreas Reukauf)

Besuch am
26. November 2015
(Vor-Premiere)

 

 

Theater Hagen

Dass sich ein Intendant persönlich eines Weihnachtsmärchens annimmt, ist nicht selbstverständlich. Norbert Hilchenbach, seit acht Jahren Chef des Theaters Hagen und geschickter Lotse durch ein dichtes Gestrüpp an Sparmaßnahmen und Einschränkungen, lässt es sich nicht nehmen, auch in schwierigen Zeiten die Regie für eine musikalische Neufassung des Grimmschen Märchens Hänsel und Gretel zu übernehmen. Und zwar nicht mit linker Hand, sondern mit so viel Liebe und Fantasie, wie man sie sich nur wünschen kann. Dabei geht es um eine Produktion, die 37-mal auf dem Spielplan steht und zu der 30.000 Kinder aus der Region erwartet werden. Mehr noch: In einer Vor-Premiere blieben 600 Plätze Flüchtlingskindern und Kindern aus bescheidenen sozialen Verhältnissen vorbehalten. Ein Umgang mit potenziellen Besucherschichten, der nahtlos das schillernde Bild eines Theaters ergänzt, das mit seiner ambitionierten und vielfältigen Programmpolitik das zaghafte Profil manches besser betuchten Hauses in den Schatten stellt.

Hilchenbachs hartnäckiges Beharren auf ein Mehr-Spartenprogramm, das Unterhaltung, Aufklärung und Experimentierfreude möglichst ausgewogen berücksichtigen soll, wurde ihm in den letzten Monaten allerdings schlecht gedankt. Mit unverständlicher Hilfe durch Teile der Lokalpresse, falschen Behauptungen und unseriösen Zahlenspielen wehte ihm aus verschiedenen Ecken ein öffentlicher Wind entgegen, als ob das Hagener Theater das Geld mit primadonnenhafter Pose aus dem Fenster würfe. Mittlerweile ist ein wenig Ruhe in die westfälische Stadt eingekehrt. Über weitere Einsparungen muss ohnehin sein Nachfolger mit der Stadt verhandeln. Denn Hilchenbach geht im Sommer 2017 in den wirklich wohlverdienten Ruhestand. Zu gleicher Zeit endet auch die Amtszeit von Generalmusikdirektor Florian Ludwig. Es wird nicht einfach sein, unter solchen Bedingungen gleichwertigen Ersatz für das erstklassige Team zu finden.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Da die unerfreulichen Diskussionen in der letzten Zeit viel Nerven und Zeit in Anspruch nahmen, ist Hilchenbachs Einsatz für das Weihnachtsmärchen umso höher zu loben. Die jungen Besucher der Vorpremiere hatten jedenfalls ihren Spaß an der 100-minütigen Vorstellung. Gezeigt wird nicht Humperdincks Dauerbrenner des beliebten Märchens, sondern eine Neufassung des Librettisten Werner Hahn mit der Musik von Andreas Reukauf. Geschickt orientiert sich das Autorenteam an der Grimmschen Vorlage, wobei es die Grausamkeit des Stücks und beruhigend-komische Elemente so ausgewogen vermischt, dass der Gruseleffekt auch für kleinere Kinder tolerierbar bleiben dürfte.

Foto © Klaus Lefebvre

Die Hexe – grandios Kristina Günther-Vieweg – macht zwar keinen Hehl aus ihren bösen Absichten, aber ein schriller Waldvogel rettet die Kinder, indem er die Hexe in den Ofen schiebt. Die überlebt aber und am Ende werden die beiden Kontrahenten sogar ein Paar und komplettieren das Happy End über das Grimmsche Finale hinaus.

Dass der trunksüchtige Vater die prekäre Situation der Familie mitverursacht, schafft einen realistischen Alltagsbezug. Ebenso wie das Selbstbewusstsein Gretels. Das Libretto ist heutigem Sprachgebrauch angepasst, aber ohne aufgesetzte oder drastische Modernismen. Reukauf hat für die Waldlandschaft unheimliche Klänge gezaubert, die durch etliche flotte Songs an Schrecken verlieren, wobei auch die Hexe gewisse Sympathien gewinnen kann. Hilchenbachs Regie besticht durch Sensibilität und Detailgenauigkeit, die in den pittoresken Bühnenbildern und Kostümen von Jan Bammes optisch vertieft werden. Dass Hexe und Waldvogel durch die Lüfte fliegen, dass es auch kracht und brennt, ist Ehrensache. An Bühnenzauber wird nicht gespart.

Der Komponist leitet mit Verve die munter aufspielende sechsköpfige „Märchenband“. Alle Akteure sind mit vollem Einsatz dabei. Die putzmuntere Angelika Linder als Gretel, der etwas schüchterne Emanuele Pazienza als Hänsel, das besorgte Elternpaar Jan Schuba und Annette Potempa, Robert Schertel als hilfreicher Waldvogel und natürlich die Hexe von Kristina Günther-Vieweg.

Begeisterter Beifall für ein prächtiges Weihnachtsmärchen mit nachdenklichem Touch.

Pedro Obiera