Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Some alt text
Alle Fotos © Sabina Sabovic

Aktuelle Aufführungen

Bizarre Tragödie eines Ausgestoßenen

RIGOLETTO
(Giuseppe Verdi)

Besuch am
27. November 2015
(Premiere)

 

 

Theater & Philharmonie Thüringen, Gera

Generalintendant Kay Kuntze hat in Gera zum ersten Mal Verdis Rigoletto auf die Bühne gebracht und dabei für mächtigen Gesprächsstoff gesorgt. Sein Rigoletto ist die bizarre Tragödie eines Ausgestoßenen, dessen Vorstellungen von Moral und Ehre nur für seine im Versteck lebende Tochter Gilda gilt, aber nicht für sein übriges Handeln als willfähriger Komplize des Herzogs von Mantua. Rigoletto ist bei Kuntze ein schwarzes Nocturne, in dessen Mittelpunkt eine kranke Seele steckt. Ein Außenseiter, der seine Mitmenschen manipuliert und seine Welt inszeniert wie ein Regisseur. Gewalt und Vergewaltigung beherrschen die Szene am Hofe, während er seine bildhübsche Tochter Gilda vor dieser verkommenen Welt abschirmen und schützen will. Sein Privatleben versucht er zu verbergen, und seine Tochter stilisiert er zu einem überhöhten Engel, der nie erwachsen werden soll.

Rigoletto ist nicht der obligate buckelige Narr, sondern ein Ausgestoßener der Gesellschaft, der, von Minderwertigkeitskomplexen geplagt, um Anerkennung buhlt und sich so als willfähriger Helfershelfer des Herzogs anbiedert. Der Herzog wiederum ist ein Schönling, ein Frauenverführer und Despot, der sich nimmt, was er will, und vernichtet, was er nicht mehr braucht. Zwischen diesen polarisierenden Extremen ist die Figur der Gilda als einsame, das Leben nicht kennende junge Frau angelegt, die von Rigoletto gleich einer Ikone erhöht wird.

Unterstützt wird Kuntze in seiner Darstellung von Duncan Hayler, der für Bühnenbild und Kostüme verantwortlich ist. Wunderbar arbeitet er auf der Drehbühne die kalte Atmosphäre am Hofe des Herzogs von Mantua heraus, passend zu der kalten und verachtenden Gesellschaft. Der Palast erinnert an ein überdimensioniertes, futuristisches Chemielabor, indem sich die Höflinge zu blutrünstigen Zombies entwickelt haben. Dieser Raum ist wie eine Metamorphose, gibt dem Auftragsmörder Sparafucile seine Wirkstätte, und ist, durch eine Schleuse getrennt, der abgeschottete kleine Lebensraum für Gilda. Die Kostüme sind zeitlos futuristisch, eher postapokalyptisch und lassen sich in keine bestimmte Zeit pressen. So lassen Bühnenbild, Kostüme und Licht an diesem Abend dem Zuschauer sehr viel assoziativen Spielraum für eigene Interpretation. Kuntze selbst bezeichnet den Raum als „verwesenden Kadaver“.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Auch die musikalische und sängerische Leistung an diesem Abend ist beeindruckend. Laurent Wagner leitet die Thüringer Philharmonie sicher und begleitet die Sänger in ihren großen Arien. Insbesondere Akiho Tsujii in der Rolle der Gilda wird von ihm in ihren Piano-Stellen getragen. Schon die ersten Takte der Ouvertüre kündigen die Spannung und die Dramatik des Momentes an, und die Philharmoniker musizieren gewohnt präzise und erzeugen den besonderen Farbenklang Verdis. Holger Krause hat den Herrenchor der Oper Leipzig nicht nur stimmlich hervorragend eingestellt, er überzeugt auch durch ein sehr engagiertes Bühnenspiel.

Michael Mrosek in der Partie des Rigoletto besticht an diesem Abend sowohl durch seinen markanten Bariton als auch durch sein leidenschaftliches Spiel. Berührend seine Zärtlichkeit in der Stimme, wenn es um seine Tochter Gilda geht, gleichzeitig aber auch die Verachtung im Ausdruck gegenüber dem Herzog und seinen Höflingen. Rodrigo Porras Garulo als Herzog von Mantua interpretiert seine Rolle als unwiderstehlicher Frauenverführer par excellence. Seine Auftrittsarie Questa o quella singt er mit schlanker Stimmführung und glanzvoller Tessitura, während er in La donna è mobile dezente Schwierigkeiten mit der Höhe offenbart. Tsujii legt die Partie der Gilda zart und im Piano liegend an. Sicher ihre Höhen und ihre dramatischen Ausbrüche, verletzlich ihr Spiel und berührend die Duette mit Mrosek. Für ihre große Arie Caro nome erhält sie zu Recht großen Szenenapplaus.

Foto © Sabina Sabovic

Die Mezzosopranistin Claudia Müller singt die Partie der Giovanna mit solider Stimmführung, während Kai Wefer mit kräftigem Bariton einen hasserfüllten Graf von Monteronegibt. Mit dunklem Bass und brutaler Ausstrahlung ist Magnus Piontek eine Idealbesetzung für den Auftragsmörder Sparafucile. Dessen Schwester Maddalena wird von Christel Loetzsch gegeben. Ihre fortgeschrittene Schwangerschaft wird bewusst in die Szene mit dem Herzog eingearbeitet, so dass diese Beziehung fast schon obszön anmutet. Respekt vor dem darstellerischen Mut. Gleichzeitig hat sie aber auch die erotische Ausstrahlung im Timbre, das für diese Rolle der Verführerin unabdingbar ist. Andreas Veit lässt mit seinem sonoren Bass als Graf Ceprano aufhorchen, und alle weiteren Sänger fügen sich ohne Abstriche harmonisch in ein überzeugendes Sängerensemble ein.

Am Schluss der Vorstellung gibt es großen Jubel und standing ovations für alle Beteiligten und bemerkenswerter Weise keine Missfallenskundgebungen für das Regieteam, obwohl es dem Publikum in Gera doch einiges abverlangt. Kuntze und seinem Ensemble ist mit dieser Produktion ein bemerkenswerter und sicher nachhaltiger Erfolg gelungen, über die man noch lange reden wird.

Andreas H. Hölscher