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Alle Fotos © Pedro Malinowski

Aktuelle Aufführungen

Madonnenkitsch und Höllenspuk

TOSCA
(Giacomo Puccini)

Besuch am
12. Dezember 2015
(Premiere)

 

 

Musiktheater im Revier, Gelsenkirchen

Es ist schon erstaunlich, wie robust sich selbst ein dramaturgisch so ausgefeiltes Bühnenstück wie Puccinis Tosca gegen Werkdeutungen der abstrusesten Irrungen behaupten kann, ohne an effektvoller Schlagkraft zu verlieren. Dabei macht es Puccini gerade wegen seiner peniblen Anweisungen jedem Regisseur relativ leicht, wenn er sich an seine Vorgaben hält. Doch das verstößt offenbar gegen den Ehrenkodex einer Strömung des Regietheaters, deren Exponenten es besser wissen wollen als die Meister selbst. Das ist im Umgang mit den ebenso perfekten Libretti und Partituren der da-Ponte-Opern Mozarts, mit den besten Werken von Richard Strauss und Richard Wagner nicht anders.

Das Te deum als Chor-Finale des ersten Akts interpretiert Regisseur Tobias Heyder als Schlüsselszene. Das mächtige Gotteslob mutiert in der wahnhaften Vorstellung Scarpias zu einem Höllentrip mit Zombies und Ungeheuern aus der Bilderwelt von Hieronymus Bosch, vor denen er sich in den Schoß einer kitschigen Gottesmutter flüchtet. Scarpia als Opfer der rigiden Sexfeindlichkeit der Kirche, die ihn zu einem von Verfolgungswahn und von verdrängten homophilen Gefühlen geplagten Sadisten verbiegt, der, sichtlich heruntergekommen, in Bildern schöner Märtyrer-Jünglinge Trost sucht. Aris Argiris muss in abgewetzten Lumpen wie ein Bruder Rigolettos über die Bühne humpeln. Drastischer lässt sich die Figur kaum missverstehen. Für die klug berechnende Diplomatie, mit der Scarpia sein intrigantes Netz spannt, um Tosca, die Festung katholischer Moral, zu stürmen, bleibt da kein Platz.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

An der Titelrolle interessieren Heyder mehr die Eifersuchtsausbrüche als ihr blütenreiner Einsatz für Kirche und Kunst. Zu einem packenden Kampf zwischen zwei gleich starken Exponenten gegensätzlicher Moralvorstellungen kann es so nicht kommen. Da überrascht es nicht, dass er, wie so viele seiner Kollegen, das lange Orchesternachspiel am Ende zweiten Akts nicht nutzt, um die katholische Haltung Toscas zu unterstreichen, indem sie laut Libretto die Leiche Scarpias mit Kerzen und einem Kruzifix schmücken soll. Eine Verweigerung, die nicht nur dem genialen zweiten Akt schlecht bekommt, sondern angesichts der kirchenkritischen Stoßrichtung der Inszenierung auch recht inkonsequent wirkt.

Foto © Pedro Malinowski

In der kommt vor allem die sexuelle Verklemmtheit der Kirche plastisch zum Ausdruck.

Eine winzige Madonnenstatue verblasst im ersten Akt vor einer riesigen Fassade nackter, junger Damen, an denen sich der Mesner aufgeilt. Ein Bild, das er am Ende überstreichen muss, während Tosca ihren erschossenen Liebhaber in Pietà-Pose beweint und, streng katholisch, auf den Suizid verzichtet. Damit hebelt Heyder ihren Wunsch aus, sich mit Scarpia vor Gott verantworten zu wollen. Gericht halten werden jetzt die Schergen des brutalen Kirchenstaats. Einleuchtend ist das nicht. Bühnenwirksam noch weniger.

Tilo Steffens schafft recht neutrale Bühnenbilder, die durch dezente Zurückhaltung auffallen. Dunkle Räume, kloster- und gefängnisartig ummauert, die wenig Hoffnung und Lebensfreude ausstrahlen, aber die gedrückte Atmosphäre im totalitären Kirchenstaat spüren lassen. Ein Staat, der, nach den Kostümen von Verena Polkowski zu urteilen, in den 50-er Jahren des 20. Jahrhunderts angesiedelt scheint. Warum, das leuchtet nicht so ganz ein. Besser aber als eine der unzähligen Verlagerungen der Handlung in die Zeiten des italienischen Faschismo.

Das trifft auch auf Aris Argiris als Scarpia zu, den Sänger mit der mächtigsten Stimme und der ausgeprägtesten Bühnenpräsenz des Abends. Dass sein Rollenbild von der Regie entstellt wird, steht auf einem anderen Blatt. An Wucht und bestrickender Dämonie fehlt es seiner Darstellung weder szenisch noch gesanglich.

Petra Schmidt in der Titelpartie kann da durchaus mithalten, auch wenn die Rolle die Grenzen ihrer dramatischen Möglichkeiten markiert. Wenn sie nicht zu hysterisch auftrumpfen muss, kann sie, vor allem in den lyrischen Passagen, nicht zuletzt in ihrer exzellent erfüllten Arie, rundum überzeugen. Schade, dass Derek Taylor als Cavaradossi darstellerisch so harmlos-blass wirkt. Stimmlich steht er die Partie nur mit hörbarer Anstrengung durch, wodurch sich sein schönes Timbre nur begrenzt entfalten kann. Der Rest des Ensembles bewegt sich wie Joachim G. Maaß auf gutem bis unauffälligem – hier ist Dong-Won Seo zu nennen – und grässlichem Niveau wie William Saetre als Spoletta.

Der Chor unter Leitung von Christian Jeub und der Gelsenkirchener Kinder- und Jugendchor in der Einstudierung von Alfred Schulze-Aulenkamp geht druckvoll zu Werke.

Generalmusikdirektor Rasmus Baumann scheut sich am Pult der vorzüglich disponierten Neuen Philharmonie Westfalen nicht, die orchestralen Knalleffekte und emotionalen Orkane des Werks knallig auszuspielen, versteht es aber nicht minder, die Register differenziert zu nuancieren, wenn sensiblere oder hintergründige Töne angesagt sind.

Immerhin ist die Begeisterung trotz diffuser szenischer Verrenkungen überschwänglich. Besonders und nicht unberechtigt für das musikalische Team, während die szenische Crew einige wenige Buh-Rufe einstecken muss. Man muss auch zugestehen, dass die Tosca schon massivere Entstellungen erdulden musste und überlebt hat als jetzt in Gelsenkirchen. Für den Schlussapplaus muss die Titelheldin nicht einmal reanimiert werden. Denn Heyder erspart ihr sowohl den bühnenwirksamen Sprung von der Engelsburg als auch andere Methoden der selbstgewählten Lebenszeitverkürzung. Ein drastischer Eingriff in das Libretto, einer unter vielen, die zumeist wenig Sinn machen, zum Glück aber nicht die bezwingende Wirkung der Musik trüben können.

Pedro Obiera