Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

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Alle Fotos © Pedro Malinowski

Aktuelle Aufführungen

Schwarze Romantik mit Stehkragen und E-Bass

KLEIN ZACHES GENANNT ZINNOBER
(Coppelius und Thomas Rimes)

Besuch am
14. November 2015
(Uraufführung)

 

Musiktheater im Revier,
Gelsenkirchen

Egal, was man sich unter „Steampunk-Oper“ vorstellen kann oder will. Egal, was man von dem Ergebnis halten mag. Dass die oft totgesagte Oper lebt, das haben die Besucher der Uraufführung der „ersten Steampunk-Oper“ im Gelsenkirchener Musiktheater im Revier mit unüberhörbarer Vitalität bewiesen.

Die Show beginnt lange, bevor sich der Premierenvorhang hebt. Scharen junger Leute in viktorianischem Outfit mit Zylinder, Stehkragen, steifen Miedern und bizarr geruschelten Kleidern strömen in das gläserne Opernhaus, um die Geburt der „ersten Steampunk-Oper“ nach einer stilgerechten Vorlage von E.T.A. Hoffmann, dem Nestor der schwarzen Romantik, nicht nur mitzuerleben, sondern vor allem zu feiern. Klein Zaches, genannt Zinnober heißt das Opus. Steampunk versteht sich als viktorianisch und ironisch angehauchte Variante der Gothic-Szene, und ihre Anhänger begeistern sich für skurrile Berührungspunkte oder Kreuzungen zwischen „schwarzer Romantik“ und modernem Technik-Hype. E.T.A. Hoffmann ist da eine gefragte Adresse, für die sich schon Jacques Offenbach begeisterte. In dessen Oper Hoffmanns Erzählungen wird nicht nur auf Klein Zaches Bezug genommen, sondern dort konstruiert der Physikus Spalanzani eine Puppe, die durch die Brille des Zauberer Coppelius lebensechte Konturen annimmt. Elemente, die sich in Hoffmanns Erzählung vom Klein Zaches und der neuen Oper wiederfinden. Dass sich eine der angesagtesten Kultbands der Szene in Ehrfurcht vor Hoffmann „Coppelius“ nennt, ist kein Zufall. Und dass sich die sechs Berliner „Coppelius“-Musiker, die neben Kapellmeister Thomas Rimes die Musik schufen, auf ihre begeisterten Fans verlassen können, das zeigen die Beifallstürme zwischen den Nummern und vor allem am Ende des gut zweieinhalbstündigen Spektakels.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Der lockeren Ästhetik der Steampunker entsprechend, geht es musikalisch nicht allzu brutal zu. Das überrascht nicht angesichts der ungewöhnlichen Besetzung der Band mit zwei Klarinetten, Violoncello und Kontrabass, wobei viele Songs durch die stattlich besetzte, im Bühnenhintergrund postierte Neue Philharmonie Westfalen zusätzlich verzuckert wird. Dennoch sorgen die Soft-Punker, angeführt von dem Schlagzeuger Nobusama, zur Freude ihrer Fans stellenweise für mächtigen Druck. Allerdings immer durchsetzt mit einer Portion Selbstironie. Das weckt einerseits Sympathien, andererseits ließ sich Regisseur Sebastian Schwab dazu verleiten, den bösartigen Humor Hoffmanns durch allerlei Gags und Klamauk zu entschärfen. Wenn auf der Suche nach einem rothaarigen Wurzelsepp Bilder von Pumuckl oder Cindy aus Marzahn auftauchen, ist der Jubel groß. Selbst literarische „Highlights“ des Librettos wie „Woher kommt die Musik? Antwort: Das Orchester sitzt hinten“ entfesseln Lachorkane.

Foto © Pedro Malinowski

Das Publikum reagiert so turbulent wie in einer Rocky Horror Show, wobei man sich mit der Veranstaltung am besten anfreunden kann, wenn man sie als harmlose Comedy-Show auf gehobenem Niveau versteht. Ein etwas anzüglicher Text über eine Luftpumpe markiert schon die Grenze des Gewagten.

Hoffmanns Erzählung kreist um den hässlichen, bösartigen Gnom Klein Zaches, der mit Hilfe der Fee Rosabelverde von den Menschen als sympathischer Adonis wahrgenommen wird. Auch von der schönen Physiker-Tochter Candida, für die ebenfalls der Student Balthasar schwärmt. Bevor es zur Vermählung von Klein Zaches und Candida kommt, enttarnt Balthasar mit Unterstützung des Zauberers Prosper Alpanus den Trug. Klein Zaches ist ruiniert und lässt in Gelsenkirchen die Bühne rachsüchtig in die Luft fliegen.

Das Stück plätschert lange mit mehr oder weniger packenden Songs recht brav vor sich hin, bevor am Ende die Schärfe der Vorlage spürbar wird und der kleinwüchsige Schauspieler Rüdiger Frank in der Titelrolle, ein Publikumsliebling in Gelsenkirchen, seine darstellerischen Qualitäten voll ausspielen kann. Da bricht der Schmerz über seine verwachsene Existenz stellenweise brutal aus ihm heraus. Er röhrt einen mehr verzweifelten als aggressiven Song ins Mikrophon, er beschimpft das Publikum wie einst Klaus Kinski und bricht zusammen, bevor er sich zum finalen Racheakt aufrafft.

Ansonsten geht es eher nett und freundlich zu. Schwab lässt den Coppelius-Musikern, die auch die meisten Rollen darstellen, freie Hand und die achten darauf, dass jeder Gag gut ankommt. Ulrike Schwab übernimmt als einzige Dame im Ensemble alle drei Frauenrollen und überzeugt durch ihre Wandlungsfähigkeit und ihre flexible Sopranstimme. Kapellmeister Thomas Rimes sorgt als Co-Komponist für einen Orchestersatz, der sich recht klischeehaft an Hollywood-Vorbildern orientiert, was im Schlussbild zu einem herzzerreißend sentimentalen Blowup führt.

Britta Tönne behängt die dunkel ausgekleidete Bühne mit riesigen Zahnrädern und Maschinenteilen, postiert die Band auf einer Empore, während das Orchester im Hintergrund aus dem Blickfeld verschwindet. Steampunk-würdig präsentieren sich ihre bizarren Kostüme. Eine erneut glänzende Leistung der begabten jungen Bühnen- und Kostümbildnerin.

Die jungen Besucher der Uraufführung geraten schier aus dem Häuschen vor Begeisterung. Der Beifall will kein Ende nehmen.

Pedro Obiera