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Kulturmagazin mit Charakter

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Foto © Thilo Beu

Aktuelle Aufführungen

Wenn jeder den Falschen liebt

LA GIACONDA
(Amilcare Ponchielli)

Besuch am
16. April 2016
(Premiere)

 

 

Musiktheater im Revier, Gelsenkirchen

Was Amilcare Ponchielli mit seinem berühmten Schüler Giacomo Puccini verbindet, ist der Bühneninstinkt, mit dem beide Situationen und Charaktere treffsicher und wirkungsvoll zum Ausdruck bringen können. In Ponchiellis berühmtesten Werk, der 1876 in Mailand uraufgeführten Oper La Gioconda wehen bereits veristische Gewitterwolken durch die von Verdi weiter entwickelten Traditionen der italienischen Oper. Ein Werk, das erhebliche Anforderungen an die Besetzung stellt und sechs adäquate Solisten verlangt. Das dürfte der Hauptgrund sein, dass das Werk als Ganzes so selten zu sehen ist.

Das Musiktheater im Revier stemmt jetzt mit der Gioconda nur wenige Wochen nach Bellinis Norma ein zweites italienisches Schwergewicht. Die vokalen Herausforderungen beider Stücke sind immens, die szenischen kaum minder, wenn man spannendes Musiktheater erwartet. Beide Produktionen kann das Gelsenkirchener Haus als Erfolg verbuchen, auch wenn es mit den Aufgaben an die Grenzen seiner Möglichkeiten stößt.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

An der Qualität von Ponchiellis Musik, die von süßen Lyrismen bis zu hochdramatischen Attacken alles enthält, was man von einer italienischen Oper des späten 19. Jahrhunderts erhoffen darf, ist nicht zu zweifeln, auch wenn das immerhin von Verdi-Intimus Arrigo Boito geschaffene Libretto nach einem Drama von Victor Hugo manche Verwirrung stiftet.

Die Handlung wird von sechs Personen getragen, die sich in einem Liebeskarussell bewegen, in dem jeder den Falschen liebt, so dass es zu bösen Verwirrungen und Enttäuschungen kommt, denen am Ende die Straßensängerin Gioconda zum Opfer fällt. Die filigranen Beziehungen zwischen Gioconda, die Enzo liebt, der ihrerseits Laura liebt, die aber mit dem venezianischen Inquisitor Alvise verheiratet ist, während dessen Spitzel Barnaba der Gioconda nachstellt: Dieses engmaschige Geflecht präzis herauszuarbeiten, das allein reichte für eine überzeugende Inszenierung aus. Allerdings genügt das dem Regisseurinnen-Duo Alexandra Szemerédy und Magdolna Parditka nicht, die auch Bühne und Kostüm gestalten. Die beiden jungen Damen, die in der letzten Saison mit einer glänzenden Salome in Bonn für Aufsehen sorgten, möchten die Liebesgeschichte unter dem Einfluss der diktatorischen Gewalt Alvises und seiner Schergen zeigen und einen politischen Akzent setzen, der im Stück nur angedeutet wird.

Foto © Thilo Beu

Das Ergebnis ist eine Inszenierung, die vom Handlungskern der Beziehungskonflikte eher ablenkt. Das beginnt beim Bühnenbild, das von einem kühlen Gerichtssaal und arenenartigen Emporen beherrscht wird, die marschierenden und fähnchenschwenkenden Massen, Fahnenträgern und Staatssportlern Platz geben, während sich die Protagonisten mit Nischen auf der Vorderbühne begnügen müssen, die optisch von den staatstragenden Dekorationen überlagert werden. Und einen zackigen Jubelchor nach dem zarten, durchaus ergreifenden Ende der Oper noch einmal wiederholen zu lassen, ist ein böser Missgriff.

Das ist umso bedauerlicher, als die Regisseurinnen mit viel handwerklichem Können und Einfühlungsvermögen die Personen sehr filigran führen, ihnen auch ein klares Profil verleihen. Schade, dass sie sich mit ihrem politisch gefärbten Konzept selbst im Weg stehen.
Rasmus Baumann und die Neue Philharmonie Westfalen steuern die Musik effektvoll auf die sich dramatisch zuspitzenden Aktschlüsse zu. Und zwar so zupackend, dass sie die Sänger in Bedrängnis bringen.

Petra Schmidt, unter anderem als Tosca und Rusalka erfolgreich in Gelsenkirchen aufgetreten, gestaltet die Titelrolle mit großem Einsatz und lässt auch stimmlich nichts vermissen, gerät allerdings in den monumental aufbrausenden Finali in Grenzbereiche ihrer Möglichkeiten. Derek Taylor als Enzo lässt erneut seinen schönen Tenor erklingen, könnte ihn aber in den Höhen viel sicherer einbringen, wenn er mehr Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen erkennen ließe. Etwas blass tönt der Bass von Dong Wong Seo als beinharter Inquisitor Alvise. Laura Weissmanns Mezzo in der Partie der Laura klingt in der Premiere ungewöhnlich rau, fast heiser, was sich im Laufe des Aufführungs-Zyklus wohl noch ändern wird. Ohne Einschränkungen überzeugen können Almuth Herbst als Mutter der Gioconda, die ihren Alt mit glühender Intensität und warmem Timbre zur Geltung bringen kann, sowie Piotr Prochera, der den Barnaba mit allen Qualitäten eines Charakterbaritons ausstattet.

Der Chor hat viel zu tun und bewältigt seine große Rolle zuverlässig, Mitglieder des Balletts geben den Chorszenen wie auch dem Tanz der Stunden zusätzlichen Pep.

Begeisterter Beifall für eine Begegnung mit einem interessanten Werk auf ansprechendem, wenn auch nicht rundum überzeugenden Niveau.

Pedro Obiera