Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

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Foto © Barbara Aumüller

Aktuelle Aufführungen

Soap-Opera 2.0

MARTHA
(Friedrich von Flotow)

Besuch am
16. Oktober 2016
(Premiere)

 

 

Oper Frankfurt

Martha von Flotow kennt jeder. Wenigstens die Ohrwürmer, die in keinem Wunschkonzert fehlen. Große Stimmen memorierten Mustergültiges auf Schellack. Wie viel tatsächlich in dieser romantisch-komischen Oper des Magdeburgischen Freiherrn steckt, zeigt die Oper Frankfurt mit der jüngsten Inszenierung.

Um es vorwegzunehmen: sozialpolitische Aufsässigkeit predigte Flotow nicht, als er im Vormärz 1847 gemeinsam mit dem Librettisten Friedrich Wilhelm Riese diesen Kassenschlager strickte. Sie waren ein ideales Gespann, sich einig, einzig zum Vergnügen Handlung und Melodisches geradezu genial miteinander zu verknüpfen. Nur menschlich passte es nicht. Flotow zerstritt sich mit Riese und versank als Komponist in der Bedeutungslosigkeit. Martha aber feierte ihren Siegeszug. Uraufgeführt 1847 in Wien, folgte 1848 eine deutsche Version in London. 10 Jahre später bot Covent Garden eine italienische Übersetzung und begründete damit den langanhaltenden Erfolg dieser Biedermeier-Oper bis heute.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Keine Entwicklung, keine Einsicht, keine Psychosen. Das ist bei Martha entscheidend. Aus purer Langeweile verkleiden sich Lady Harriet und ihre Vertraute Nancy als Mägde und lassen sich auf dem Markt von Richmond von zwei Bauern, Lyonel und Plumkett, anheuern. Dass diese beiden Landmänner sie nicht nur in Lohn und Brot nehmen wollen, sondern sich auch noch in sie verlieben, passt den beiden gar nicht. Bei Nacht und Nebel verschwinden die Damen scheinbar spurlos. Doch dann gibt es diese Jagdgesellschaft, bei der sich die Paare zufällig begegnen. Die Lady leugnet, Lyonel zu kennen, bis die Königin ihr sagt, dass er ein Grafenspross ist. Das ändert alles. Während Nancy und Plumkett unkompliziert zum Paar werden, inszeniert die Lady noch einmal das Markttreiben, um in den Armen ihres Grafen zu landen. So endet das Boulevardstück.

Foto © Barbara Aumüller

Regisseurin Katharina Thoma fasst es witzig-ironisch auf und weiß damit zu spielen. Zwischen schwerer Holztäfelung und Biedermeiertapete als Erinnerungsklammer an die Entstehungszeit versetzt sie die gelangweilte Lady und ihre Freundin Nancy in die Welt der Tablet-Nutzer. Bühnenbildnerin Etienne Pluss baute ihr hierzu einen mitten im Zimmer aufgehängten Raum in Form eines iPhones. Nancy klickt sich durch die Partnersuche, postet die Lady in Gala, strickt aus dem kurzweiligen Dialog ein Profil und drückt auf Senden. Kaum sind potenzielle Kandidaten aufgelistet, lenkt die Lady anderes ab. In fröhlichen Gesängen ziehen die Mägde vorüber. Sie wollen zum Markt von Richmond. Dahin will die Lady auch. Also schlüpft sie ins Dirndl und findet sich im schrill bunten Mix aus Wies´n-Gaudi und Love-Parade wieder. Überzeichnet brav und eigentlich fehl am Platze wirkt in diesem Umfeld Lyonel, die Personifizierung des Romantikers im Biedermeier, weder lebenstüchtig noch willensstark, nur im Extrem liebend und leidend. Sein Haus, ein alter Wohnwagen, passt ideal zu ihm als Auslaufmodell einer Gesellschaft, die den Kick sucht.

Darauf kommt es an. Generalmusikdirektor Sebastian Weigle kitzelt es aus der Musik. Mit straffen Tempi geht er zur Sache und lässt dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester so viel Entspanntheit, die nötig ist, um die Rezitative eng verstrickt sprühend parlierend und die Melodien klangschön, opulent und zauberhaft auszumusizieren. Atemlos lauscht man bereits in der Ouvertüre dem herrlichen Hornsolo. Spannungsreich knisternde Atmosphäre entsteht im so äußerst zart begleiteten Rosenlied.

Der um Sängerinnen und Sänger noch erweiterte Chor berauscht mit satten Klangbädern. Durchweg und uneingeschränkt alle Solisten stecken mit ihrer Spiellust und Gesangskunst an. Die Koloratursopranistin Maria Bengtsson in der Rolle der Lady Harriet bewegt sich so mühelos leicht und geschmeidig und selbst im kaum hörbaren Pianissimo mit voller Stimme in höchsten Höhen, wie Katharina Magiera als Nancy mit kraftvollem Alt in den Tiefen Volumen entfaltet. Bengtssons Rosenlied wird zum Inbegriff schlichter Inniglichkeit. AJ Glueckert, seit dieser Spielzeit festes Mitglied im Ensemble, begeistert in der Partie des Lyonel mit einem hellen lyrischen Tenor, wie man ihn an der Frankfurt Oper lange vermisste. Wunderbar gleichmäßig, frei und leicht gestaltet er das Ach so fromm und strahlt in der vollen Stärke mit einer in sich runden Weichheit Intensität aus. Und mit Barnaby Rea hat die Oper neben Björn Bürger einen weiteren jugendlich volltönenden wie überaus agilen Bass im Ensemble.

Christiane Franke