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Kulturmagazin mit Charakter

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Foto © Diana Küster

Aktuelle Aufführungen

Amfortas an der Dialyse

PARSIFAL
(Richard Wagner, Tankred Dorst)

Besuch am
22. Oktober 2016
(Premiere)

 

 

Grillo-Theater, Essen

Ob Wagner gegen Dorst oder Dorst mit Wagner, ob Duell oder Symbiose: Die Kombination zweier derart kontroverser Versionen des Parsifal-Stoffs, wie sie jetzt das Essener Schauspiel im Grillo-Theater probiert, wird mit denkbar unterschiedlichen Waffen ausgetragen. Hier Dorsts zusammenhanglose Szenen-Ansammlung aus seinem Merlin-Drama mit einem scheiternden und brutalen Titelhelden, dort Wagners minutiös und luxuriös ausgefeilte Erlösungs-Vision in strahlendem Hoffnungsglanz.

Der Beginn des dreistündigen Abends gehört Dorst, der die von Wagner ausgelassene Vorgeschichte recht ausführlich reflektiert. Zu sehen sind die Isolation Parsifals durch seine todkranke Mutter, die Flucht des Sohns und die ersten Begegnungen mit den Rittern von König Artus. Mit dem Eintritt in den Gralstempel nimmt Wagner das Heft in die Hand. Zunächst nur mit dem gesprochenen Text, musikalisch lediglich durch dürre Motivfetzen mit Akkordeon, Trompete und dem glockenklar singenden Aalto-Kinderchor garniert. In der brillanten Ausführung durch das Essener Schauspielensemble, das hier jede parodistische Banalisierung vermeidet, zeigen sich die literarischen Fähigkeiten Wagners noch plastischer als in der Oper. Eindrücke, die sich nach der Pause verstärken, wenn Dorst nur noch mit ein paar amüsanten, aber überflüssigen Slapstick-Einlagen zum Zuge kommt. Ansonsten folgt der Abend Wagners Libretto, wobei vom Band eingespielte originale Wagner-Klänge mit ihrer unwiderstehlich verführerischen Sogwirkung ein narkotisierendes Aroma verströmen, das auch klangliche Verfremdungen und Überblendungen, ein paar ernüchternde Dorst-Sequenzen oder triste Video-Sequenzen nicht entkräften können. Dagegen verliert Dorsts Parsifal durch das Umfeld Wagners wesentlich von seiner destruktiven Kraft.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Auch die ebenso nüchterne wie intensive Inszenierung von Gustav Rueb kann die Erlösung Amfortas‘ nicht aufhalten. Da kann sich der Gral ruhig als scheinbar desillusionierendes Dialyse-Gerät entpuppen, mit dem Amfortas‘ Blut ausgetauscht wird. Verbreitet sich im ersten, asketisch ausgeführten Teil noch der Eindruck Beckettscher Verlorenheit, lässt man sich im zweiten Teil immer stärker von Wagners Vision infizieren, wenn nicht gar überrumpeln.

Foto © Diana Küster

Das spiegelt sich auch in den Bühnenbildern Florian Barths nieder. Vom tristen Krankenbett Herzeloides über ein nacktes Holzgerüst in der ersten Gralsszene verwandelt sich die Szenerie in der Welt Klingsors in eine sinnlich bunte Welt, bevor das Stück zu den entrückten Schlussklängen Wagners auf leerer Bühne endet. Wohltuend, dass trotz der intensiven Ausdruckskraft auf klischeehafte oder gar opernhafte Gesten verzichtet wird. 

Dorst und Wagner warten mit Ingredienzien auf, die sich so wenig mischen lassen wie Öl und Wasser. Die Widersprüche führen dennoch zu einem vor allem in zweiten Teil packenden Theaterabend mit Darstellern, die, meist in mehreren Rollen, vor allem aus Wagners Texten dramatische Funken schlagen.

Zu nennen sind Philipp Noack in der Titelrolle, der vom „reinen Toren“ zum Erlöser heranwächst, Laura Keine, die der Sünderin Kundry ebenso unschuldige wie sinnliche und verzweifelte Züge abgewinnt, Axel Holst, der als kühl-hintergründiger Klingsor noch mehr überzeugt denn als Amfortas im Nachthemd und Jens Winterstein als altersweiser Gurnemanz. Sie und der Rest des flexibel agierenden Ensembles wie auch die wenigen Live-Musiker unter Leitung von Eric Schaefer garantieren einen Abend, der auf jeden Fall dazu anregt, die Bedeutung des bekannten Stoffs neu zu überdenken.

Das Publikum im voll besetzten Grillo-Theater reagiert mit entsprechend begeistertem Beifall.

Pedro Obiera