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Kulturmagazin mit Charakter

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Foto © Wilfried Hösl

Aktuelle Aufführungen

Optisch-opulente Weihnachtsrevue

DER NUSSKNACKER
(Peter Tschaikowsky)

Besuch am
24. Oktober 2015
(Premiere)

 

Aalto-Theater, Essen

Abendfüllende Handlungsballette von Adolphe Adam bis Sergej Prokofieff sind das Salz in der Suppe jedes Ballett-Repertoires. Es gibt wenige Compagnien, die, wie etwa das Ballett der Deutschen Oper am Rhein von Martin Schläpfer, auf diese auch kassenfüllenden Rosinen verzichten wollen oder können. Nach Giselle im letzten Jahr präsentiert das Essener Aalto Ballett jetzt einen neuen Nussknacker, eine Woche nach der erfolgreichen Premiere des gleichen Stücks in Dortmund. Auch wenn die Ergebnisse angesichts der unterschiedlichen Werkauffassungen kaum miteinander vergleichbar sind, lässt sich über den Sinn solcher Doubletten in unmittelbarer Nachbarschaft streiten.

An Zuckerguss und Bühnenzauber mangelt es Ben van Cauwenberghs neuer Produktion von Peter Tschaikowskys Klassiker Der Nussknacker am Essener Aalto-Theater beileibe nicht. Zwar nähert sich auch Benjamin Millepied in Dortmund dem Stück aus der Perspektive eines Kindes. Cauwenbergh legt es jedoch zu sehr, geradezu ausschließlich, als Kinder- und Weihnachtsmärchen an.

Da kommt in der opulenten Ausstattung von Bill Krog und der Kostümbildnerin Dorin Gal zwar das Auge auf seine Kosten. Doch gerade die vielen Bilderwechsel stören den dramaturgischen Zusammenhang und zerfasern die Handlung in eine revuehafte Szenenfolge. Auch Gags wie ein stolpernder Butler à la James aus Dinner for One wirken auf Dauer schal und aufgesetzt, wenn es der Choreografie an zündender Originalität fehlt. Cauwenbergh bedient sich nahezu ausschließlich traditioneller Bewegungsmuster, die nicht einmal durchgängig präzis ausgeführt werden. Selbst den großen Pas de deux‘ fehlt es an Höhepunkten. Das ist Yanelis Rodriguez und Breno Bittencourt als Louise und Karl in den Hauptrollen am wenigsten anzulasten. Auch nicht etlichen vorzüglichen Solo-Leistungen wie denen von Mariya Tyurina als Schneekönigin oder Wataru Shimizu mit seinem Russischen Tanz.

POINTS OF HONOR
Musik
Tanz
Choreografie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

So sehr es auf der Bühne glitzert und dampft, Kanonen ballern und die Diaprojektoren rotieren, so bieder führt Cauwenbergh seine Tänzer. Wie sehr sich der Essener Ballett-Chef den Kindern verbunden fühlt, schlägt sich nicht zuletzt in der Mitwirkung von Kindern des Ballett-Studios Roehm mit einem niedlich gestalteten Chinesischen Tanz, Tänzern des Gymnasiums Essen-Werden und des Aalto-Kinderchors nieder. Ganz besonders am Herzen liegt Cauwenbergh die stark aufgewertete Rolle der kleinen Clara, die gemeinsam mit ihrer großen Schwester Louise die Reise durch die Traumwelt antritt und fast ständig präsent ist. Begeisterter Beifall und ein Kompliment für die erstaunlich bühnensichere siebenjährige Laura Kubicko.

Am Szenario hat Cauwenbergh wenig geändert. Herr Drosselmeier – mit magischer Ausstrahlung: Moisés León Noriega – tritt von Anfang an als Zauberer wie ein Paradiesvogel auf, was dem Verständnis der ohnehin nicht einfach zu durchschauenden Eingangsszene nicht förderlich ist. Dass die Mäuse zu Ratten mutieren, ist unerheblich. Die Divertissements mit den Nationaltänzen reihen sich verbindungslos aneinander und werden durch antiquiert anmutende Blumen-Projektionen optisch angereichert. Eine Rose im Hintergrund des Blumenwalzers mutet angesichts der aufwändigen Produktion etwas ärmlich an. Und choreografisch fehlt allen Tänzen die nötige Prise Originalität. Da mögen sich Xiyuan Bai und Nour Eldesouki mit ihren akrobatischen Einlagen im Arabischen Tanz oder Carolina Boshan im Spanischen Tanz noch so sehr bemühen.

Bezauberndes Mädel wird auf der Bühne eingeführt. © Wilfried Hösl

40 Tänzer zusammenzuschweißen ist nicht einfach. Am Premierentag lassen es die größer besetzten Nummern noch an tänzerischer Genauigkeit vermissen, was sich in den folgenden 15 Aufführungen noch ausgleichen kann.

Yannis Pouspourikas lässt die Essener Philharmoniker mächtig auftrumpfen und raut ausgerechnet die subtilste Ballett-Musik aus der Feder Tschaikowskys unnötig auf. Da ließe sich etliches erheblich delikater gestalten.

Als kunterbuntes Weihnachtsmärchen bietet der Essener Nussknacker einen hübschen Anlass, mit der ganzen Familie ins Theater zu gehen. Auch wenn Cauwenbergh mit seiner familienfreundlichen Intention bisweilen in belanglosen Traditionalismus verfällt und sich mehr auf das prachtvolle optische Umfeld verlässt als auf seine eigene persönliche Handschrift. Das Premieren-Publikum reagiert überwiegend begeistert auf ein Meisterwerk des Tanztheaters, auf das keine Compagnie verzichten sollte. Übrigens auch die von Martin Schläpfers ambitionierter Düsseldorf-Duisburger „Rheinopern“-Truppe nicht.

Pedro Obiera