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Kulturmagazin mit Charakter

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Foto © Sven Lorenz

Aktuelle Aufführungen

Balsam für die Seele

NESSUN DORMA
(Jonas Kaufmann)

Besuch am
6. April 2016
(Einmalige Aufführung)

 

 

Philharmonie Essen

Wer sich auf einer Erfolgswelle wie die von Jonas Kaufmann bewegt, ist einem nicht minder großen Druck ausgesetzt. Seine Kritiker verfolgen ihn mit besonders gespitzten Ohren, seine Fans erwarten ihren Star gut gelaunt in Top-Form und die Agenturen vermarkten ihn als rentables Handelsgut. Niemanden darf und möchte der Publikumsliebling und Medienstar enttäuschen. Es ist erstaunlich, mit welcher Kondition Kaufmann bisher diesem Druck standgehalten hat und einen klingenden Bestseller nach dem anderen zündet. Erstaunlich auch, mit welcher Souveränität er bei einem Live-Auftritt wie jetzt in der restlos ausverkauften Essener Philharmonie eine zwar leichte, dennoch nicht zu unterschätzende Indisposition überspielen und sich nach einem anspruchsvollen Abend noch drei Zugaben von unterschiedlicher Qualität abringen kann. Da zeigt das Publikum, das seine Stars so gern auf Händen trägt, bisweilen seine brutalen Seiten. Enttäuscht wurde es auch diesmal nicht.

Jonas Kaufmann und Puccini: Das verspricht Balsam für die Seele. Trotz der leichten Indisposition bestätigt der Münchner Lockenkopf in Essen seinen Rang als einer der besten Puccini-Tenöre unserer Tage. Ein deutscher Tenor mit Spinto-Qualitäten, mit denen er sich international nachhaltig im italienischen Fach behaupten kann, das ist schon ungewöhnlich. Das abgedunkelte Timbre seiner Stimme, mancher guttural-gaumig umhüllte Ton, die Brüche zwischen Kopf- und Bruststimme mögen nicht jedermanns Sache sein. Die glühende Strahlkraft, aber auch die Zartheit seiner Stimme, seine emotionale Intensität und nicht zuletzt sein bühnenpräsentes Charisma: Mit dieser Mischung hat Kaufmann derzeit nur wenig gleichwertige Konkurrenz zu fürchten. Seinen Ruhm hat er jedenfalls nicht nur einem geschickten Medien-Marketing zu verdanken.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

In seinen meisten Arien fasst sich Puccini recht kurz, fordert dem Sänger allerdings in diesen komprimierten Miniaturen auf engem Raum alles ab, was von einem jugendlich-dramatischen Tenor erwartet werden kann. Das kündet sich bereits in frühen Werken wie Le Villi und Edgar an, mit denen der Abend beginnt. Auch die beiden gebotenen Arien aus diesem Raritäten-Kabinett bieten keinen Platz zum anwärmenden Einsingen. Kaufmann stürzt sich vom ersten Ton an mit vollem Einsatz in die Liebesqualen seiner Helden.

Foto © Sven Lorenz

In einigen Piano-Passagen der höheren Lagen bricht ihm zwar die Kopfstimme weg. Umso druckvoller schleudert er die Spitzentöne heraus. Bisweilen mehr gepresst als geformt, aber immer noch von metallischem Glanz erfüllt, sicher und von Emphase getragen. Je bekannter die vokalen Leckerbissen, umso besser wird Kaufmann. Als des Grieux in Manon Lescaut ist er derzeit wohl konkurrenzlos gut. Eindrucksvoll die Steigerung in der zweiten Tosca-Arie, E lucevan le stelle, auch wenn er seinen Einsatz zum verständnisvollen Vergnügen des Publikums zunächst überhört. Noch runder gelingt ihm als Zugabe die erste Arie Cavaradossis, Recondita armonia. Die weichen Legato-Schwünge in Addio, fiorito asil aus Madama Butterfly formt er mühelos, Kalafs triumphierendem Ohrwurm aus der Turandot, Nessun dorma, begegnet er mit hörbarem Respekt. Jedoch mit einem solchen Volumen, dass er sich auch von der im Wesentlichen zuverlässig, bisweilen aber sehr mächtig aufspielenden Staatskapelle Weimar unter Leitung von Jochen Rieder nicht in Verlegenheit bringen lässt. Das Orchester sorgt mit teilweise ausgedehnten instrumentalen Zwischenspielen aus diversen Puccini-Opern für etliche Verschnaufpausen. Dazu gehören auch symphonisch ausladende Vor- und Zwischenspiele aus Le Villi und Edgar.

Das Publikum überschlägt sich, wie erwartet, vor Begeisterung und erzwingt mehrere Zugaben, darunter Ohrwürmer wie Licinio Refices Ombra di nube und Ernesto di Curtis‘ Non ti scorda di me, die zwar die Stimme strapazieren, aber kompositorisch gegenüber den Meisterwerken Puccinis abfallen. Ginge es nach dem Publikum: Kaufmann sänge noch heute.

Pedro Obiera