Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

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Foto ©Anne van Aerschot

Aktuelle Aufführungen

Reality und Cyberwelten

MEYOUCYCLE
(Eleanor Bauer)

Besuch am
8. September 2016
(Premiere)

 

 

Ruhrtriennale, PACT Zollverein Essen

Dass die Macher der Ruhrtriennale kein offenes Ohr für die Belange der Jugend hätten, kann man ihnen wirklich nicht vorwerfen. Ob freilich Heiner Goebbels mit seinem Children’s Award den richtigen Weg eingeschlagen hat, daran zweifelten auch die hoffnungsvollsten Optimisten. Kinder aus sozialen Brennpunkten in dreistündige Cage- und altgriechisch gesungene Orff-Produktionen zu schicken, um ihnen zeitgenössisches Musiktheater nahe zu bringen, konnte nicht gut gehen. Besser liefen die durchaus anspruchsvollen Events mit experimentellen Techno- und elektronischen Klängen. Und der amtierende Intendant Johan Simons beherbergt derzeit gleich ein paar Dutzend junger Leute aus verschiedensten Herkunftsbereichen in einem eigenen Jugenddorf mit einer eigenen Gesetzgebung.

Die jungen Leute sind dabei nahe dran an den Entstehungsprozessen der Kreationen. Allerdings tut man sich nach wie vor schwer damit, darüber hinaus Besucher im Teenageralter für das Kernprogramm der Triennale zu gewinnen. Dass selbst ein jugendgerechtes Thema wie das in Elanor Bauers pfiffiger Tanz- und Musik-Performance MeYouCycle außer den „Dorfbewohnern“ kaum einen jüngeren Gast anziehen konnte und das Stück im ansonsten pickepacke vollen PACT Zollverein insgesamt vor einer erstaunlich mageren Publikumskulisse stattfinden musste, zeugt davon, dass man offenbar doch noch nicht den richtigen Ton gefunden hat, um junge Besucher zu gewinnen. Hier besteht offenbar noch größerer Handlungsbedarf.

POINTS OF HONOR
Musik
Tanz
Choreografie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Der unhandliche Titel dürfte junge Leute kaum abschrecken, während das Eintauchen in Cyberwelten auf ältere Besucher offenbar weniger verführerisch wirkt als erwartet. Dabei sind Thema sowie die Verpackung der jüngsten Triennalen-Kreation geeignet, neue Publikumsschichten anzusprechen.

Foto ©Anne van Aerschot

Wer den Weg in die alte Zeche gefunden hat, kann sich knappe zwei Stunden lang an einer frechen Mischung aus Quasselbude, Song-Revue, Fantasy und einem bisschen Welttheater erfreuen. Ohne Pause gerät das alles auf den harten Stühlen etwas lang und scheint auch gar nicht auf reinen Konsum angelegt zu sein. Was die Choreografin Eleanor Bauer und der Komponist Chris Peck zaubern, animiert zumindest stellenweise zum Mitmachen. Das könnte man beim nächsten Projekt berücksichtigen.

Fiktive, wortreiche, teilweise schon dadaistisch abgedrehte Erfahrungsberichte mit der künstlichen Cyber-Welt, in die immer mehr junge Leute abtauchen, durchziehen den Abend, aufgemischt von Songs unterschiedlichster Machart, die Komponist Chris Peck und sein Instrumentalensemble Ictus vom harten Rock bis zur softweichen Schnulze mitreißend zum Klingen bringen. Die in Fantasy-Kostümen von Sofie Durnez gekleideten Tänzer bewegen sich so künstlich wie die Welt, in die sie sich versetzt fühlen und erweisen sich auch noch als veritable Sänger. Der schwarze Bühnenraum wird aufgehellt durch kreisrunde Videoprojektionen, die Landschaften vom Weltall bis zur Wüstenoase erstehen lassen. Palmen und Tiere aus schwarzem Plastik reichen aus, um die Künstlichkeit des Lebensraums anzudeuten.

Das alles läuft mit viel Tempo und augenzwinkerndem Witz ab, auch wenn die Texte die ernsten Gefahren eines suchtartigen Missbrauchs der Cyberwelten, etwa den Verlust an Realitätssinn und persönlicher Kommunikationsfähigkeit, nicht unterdrücken. Erfreulicherweise bleibt der erhobene Zeigefinger außen vor.

Insgesamt eine Produktion, die auch und gerade bei jüngeren Besuchern ankommen könnte, wenn die denn kämen. Die international bunt gemischte Gruppe des Jugenddorfs genießt den Premieren-Abend jedenfalls mit sichtlichem Vergnügen.

Pedro Obiera