Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Some alt text
Alle Fotos © Thilo Beu

Aktuelle Aufführungen

Heiteres aus dem Kartenhaus

DIE LIEBE ZU DEN DREI ORANGEN
(Sergej Prokofieff)

Besuch am
21. November 2015
(Premiere)

 

 

Aalto-Musiktheater Essen

Köln, Aachen, Krefeld, Bonn, Düsseldorf, Gelsenkirchen: An Sergej Prokofieffs Märchenoper Die Liebe zu den drei Orangen hat sich innerhalb der letzten 15 Jahre fast jedes Opernhaus der Region versucht. Und alle, von marginalen Ansätzen in Aachen abgesehen, präsentierten die Komödie als nett illustriertes Märchen mit hohem Unterhaltungswert, aber ohne nennenswerte Würze oder gar Tiefgang.

Um besonderen Tiefgang hat sich allerdings schon Prokofieff recht wenig geschert. Entstanden ist das knapp gebaute Werk vor 1921 im Umfeld von Prokofieffs Aufenthalt in Chicago mehr aus Langeweile als aus innerem Drang heraus. Der Prolog mit dem ausgedehnten Wettstreit zwischen Verfechtern der Komödie, der Tragödie und der lyrischen Oper hatte damals einen erheblich höheren Aussagewert als heute. Die darauf anspielende Konfrontation zwischen der realistischen Theaterästhetik Stanislawskis und den Reformvorstellungen Meyerholds im Vorfeld des „sozialistischen Realismus“ berührt uns heute kaum noch. Zumindest nicht auf der Opernbühne. Und Prokofieffs eigenes Statement, mit der Oper das Publikum lediglich zum Lachen bringen zu wollen, kann wie eine Einladung zum harmlosen Theaterspaß verstanden werden.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Zum Lachen bekommt das Essener Publikum reichlich Gelegenheit. Dass die Inszenierung von Laurent Pelly auf eine zehn Jahre alte Produktion der Amsterdamer Oper zurückgeht, die Astrid van den Akker jetzt an der Ruhr aufwärmt, stört nicht. Letztlich hat sich an der Rezeption des Stücks in dieser Zeit nichts geändert. Ob man dem Stück freilich jede bösartige Schärfe nehmen und es so zahnlos darstellen muss wie die niederländischen Gäste, das ist Geschmackssache.

Foto © Thilo Beu

Zugegeben. Die Handlung des skurrilen Märchens aus der Feder des Goldoni-Zeitgenossen Carlo Gozzi ist simpel: Den melancholischen Prinzen kann nur eine herzhafte Lachsalve vor dem Tod bewahren. Die stellt sich bei ihm ein, als die Hexe „Fata Morgana“ auf die Nase fällt. Zur Strafe muss sich der Prinz in drei Orangen verlie­ben, in denen sich die schöne Ninetta verbirgt. Nach allerlei Wirrungen und Irrungen kommt es zum pompösen Happy End.

Interessanter sind ohnehin die bösen Gegenspieler und die gefährlichen Abenteuer auf der Suche nach den drei Orangen. Chancen, die leichtfertig verspielt werden. Die Rollen der todbringenden, kochlöffelschwingenden Köchin, die hinterhältigen Intrigen von Leander und Clarisse, die Machenschaften der Hexe Fata Morgana, ob Ninettas Verwandlung in eine Riesenratte oder der grausame Tod zweier verdurstender Prinzessinnen: Die Risse unter der scheinbar heilen Märchenfassade gehen in der streichelzarten Inszenierung unter.

Spielkarten als Szenerie für das muntere Treiben sind nicht neu. Aber die liebevolle Feinarbeit, mit der Chantal Thomas die Ornamente der Rückseiten ausschmückt, die Originalität, mit der sie die Karten als Requisiten nutzt, das entschädigt für manchen szenischen Schnickschnack. Da baut die Bühnenbildnerin skurrile Fassaden aus dem Spielmaterial, in der Wüste dient es als Schlafhöhle und die Menschen schrumpfen in der Liliputlandschaft perspektivisch zu zappelnden Zwergen zusammen.

Musikalisch macht es Prokofieff den Interpreten, vor allem dem Dirigenten, nicht leicht. Einerseits ist eine federleichte, transparente, neoklassizistisch angehauchte Tonsprache angestrebt, andererseits ist das Werk so dicht orchestriert, dass es klanglich zur Schwerfälligkeit verführt. Ganz kann sich Kapellmeister Yannis Pouspourikas dieser Gefahr nicht entziehen. Da klingt vieles mehr nach Wagner als nach Prokofieffs eigener Symphonie Classique. Und selbst dem einzigen Hit des Stücks, dem Königsmarsch, fehlt es an der nötigen trockenen Schärfe.

Davon bleiben die Sänger nicht unberührt. Vor allem Alexey Sayapin als Prinz hat es mit seinem leichten, hellen, an sich rollenadäquaten Tenor nicht leicht, sich gegen die orchestralen Kräfte durchzusetzen. Robustere Stimmen sind da im Vorteil: so der etwas einförmig deklamierende Till Faveyts als König Treff, die mondän auftrumpfende Teiya Kasahara als Fata Morgana, der Wagner-erfahrene Heiko Trinsinger als böser Kanzler Leander, Bert Driessen als hintergründiger Tschelio, Leonie van Rheden als durchsetzungsfähige Intrigantin Smeraldina oder Albrecht Kludszuweit als recht dezent agierender Truffaldino.

Vokal ist an der Produktion insgesamt kaum etwas auszusetzen. Das betrifft auch die vier besonders jungen Damen des Ensembles: An de Ridder als hinterhältige Clarisse und die drei Prinzessinnen Marie-Helen Joël, Christian Hackelöer und vor allem die anrührende Christina Clark als Ninetta. Schade, dass Baurzhan Anderzhanov als Köchin mehr um Lacher buhlen muss als die Dämonie der Rolle hervorheben zu dürfen. Der groß besetzte Chor wirkte im heiklen Prolog noch etwas unsicher, was sich im Verlauf der Aufführungsserie ändern wird.

Das Publikum nimmt den netten Abend mit sichtlichem Vergnügen auf. Viel Beifall, wenn auch keine Begeisterungsstürme für ein Weihnachtsmärchen der etwas anderen Art.

Pedro Obiera