Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

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Foto © Ursula Kaufmann

Aktuelle Aufführungen

Zwischen Himmel und Hölle

IN MEDIAS RES
(Richard Siegal)

Besuch am
13. August 2016
(Uraufführung)

 

 

Ruhrtriennale, PACT Zollverein Essen

Ohrstöpsel brauchten diesmal nicht verteilt zu werden. In Richard Siegals neuem Tanzstück In Medias Res, das jetzt im Rahmen der Ruhrtriennale mit großem Erfolg im Essener PACT Zollverein uraufgeführt wird, geht es erheblich moderater zu als in Siegals letztjährigem Stück Model. Kein Wunder: In seinem Versuch, Dantes und vor allem Jorge Luis Borges Vorstellungen vom Leben im Himmel und der Hölle tänzerisch zu reflektieren, versucht sich der amerikanische Choreograf an dem vielleicht schwierigsten Part, dem „Fegefeuer“. In Borges Vision, die Betrachtung eines Antlitzes könne beim Jüngsten Gericht von den Verworfenen als Hölle und von den Erwählten als Paradies empfunden werden, ist für das rätselhafte Zwischenreich des Purgatoriums ohnehin kein Platz. Und auch sonst bleiben unsere Vorstellungen vom Vorhof zum Paradies sehr vage.

Das merkt man Siegals Arbeit auch an. Bereiten Hölle und Paradies der Fantasie keine Probleme, sieht es mit dem Fegefeuer anders aus, zumal Siegal das Purgatorium nicht als Vorbereitungsort für das Elysium sieht, sondern als Nachhut des Infernos. Dass das Projekt in der ehemaligen Waschkaue der stillgelegten Kohlenzeche gezeigt wird, passt zum Läuterungs- und Reinigungs-Mythos des Fegefeuers. Aber Siegal stellt die Dinge auf den Kopf. Die fünf Tänzer und zwei Musiker sauen sich und den Raum im Laufe der einstündigen Performance zunehmend ein, beschmieren und bewerfen sich und die Wände mit Matsch. Am Ende stellen sie sich im wie von Geisterhand blitzblank geputzten Bühnenraum nackt unter eine Dusche. Das Reinigungsritual ist erfüllt.

POINTS OF HONOR
Musik
Tanz
Choreografie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Ein Ziel, das man schneller hätte erreichen können. Der trotz seiner einstündigen Kürze lang geratene Abend verrät die Unentschlossenheit, mit der Siegal das Thema angeht. Lange Passagen von austauschbar abstrakten, teilweise intensiv ausgeformten Bewegungsmustern überbrücken konkrete Szenen, in denen etwa die der Hölle Entkommenen mit einem eleganten Festmahl lichtere Momente des jenseitigen Daseins erfahren dürfen.

Foto © Ursula Kaufmann

Kredenzt vom Kontrabassisten Frédéric Stochl, der den Ankömmlingen in schwer verständlichem Englisch das Purgatorium wie ein Sterne-Hotel anpreist. Angereichert mit einer Prise Ironie, die freilich eher Siegals Ratlosigkeit zu kompensieren scheint. Zusammen mit dem Cellisten Wolfgang Zamastil und einer von Lorenzo Bianchi Hoesch kreierten elektronischen Klangkulisse wird der Abend zunächst von unruhig pulsierenden Tönen mit hohem Geräuschanteil überzogen, bevor sich Musik und Szene am Ende beruhigen. Was kommen wird, soll Siegals dritter Anlauf im nächsten Jahr zeigen, wenn die Menschenwesen endlich das Elysium betreten dürfen.

Auch mit dem recht aufwändigen Anhäufen von Bildern, Requisitenteilen unterschiedlicher Art, diversen Videoeinblendungen und viel Matsch kann Siegal den Eindruck der Unentschlossenheit und Beliebigkeit nicht ausräumen.

Begeisterter Beifall für eine Performance, in der sich Siegal auf moderater Ebene allzu oft zu wiederholen droht.

Pedro Obiera