Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

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Foto © Lutz Edelhoff

Aktuelle Aufführungen

Bäuerliches Idyll

DIE VERKAUFTE BRAUT
(Bedřich Smetana)

Besuch am
17. Dezember 2016
(Premiere)

 

 

Theater Erfurt

Bedřich Smetanas tschechische Nationaloper Prodaná nevěsta – Die verkaufte Braut – steht nicht sehr häufig bei deutschen Opernbühnen auf dem Spielplan, obwohl die Musik so einzigartig schön ist mit den böhmischen folkloristischen Anteilen, den wunderbaren Arien, den großen Chorszenen und der bekannten Ouvertüre, die gerne auch bei symphonischen Konzerten gespielt wird. Vielleicht liegt es daran, dass viele Intendanten Opern nur in Originalsprache bringen wollen und die tschechische Sprache nicht einfach zu singen ist. Vielleicht liegt es auch an der vordergründig trivialen Geschichte aus einem bäuerlichen Milieu, wo die Tochter gut unter die Haube zu bringen ist, um die Schulden des Vaters zu tilgen. Daher ist es dem Intendanten des Theater Erfurt, Guy Montavon, zunächst einmal hoch anzurechnen, dieses wunderbare Werk in deutscher Sprache und einer vordergründig klassisch konservativen Inszenierung auf den Spielplan zu setzen. Leider bleibt die Inszenierung hinter den Erwartungen zurück, die Aufführung driftet ab zwischen einem klischeehaften bäuerlichen Idyll und einer kitschig-romantischen Szenerie.

Die Geschichte ist schnell erzählt: Marie, die Tochter des Bauers Kruschina, liebt den Herumtreiber Hans, soll aber Wenzel, den ihr unbekannten Sohn des reichen Bauern Micha heiraten. Hans scheint über ihre bevorstehende Hochzeit mit einem anderen nicht besonders traurig zu sein, allerdings versichert er ihr seine Liebe und Treue. Marie bekennt vor den Eltern ihre Liebe zu Hans und verweigert ihr Einverständnis zu der vom Heiratsvermittler Kezal arrangierten Ehe. Der versucht nun, Hans mit Geld von seinem Anspruch auf Marie abzubringen. Der geht zum Schein darauf ein: Für die Summe von 300 Gulden erklärt er sich bereit, seine Braut an Michas Sohn abzutreten. Maries Eltern sind erfreut, doch Marie ist verzweifelt, als sie erfährt, dass Hans bereit war, seine Braut zu verkaufen.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Zudem beteuert Hans öffentlich, Marie werde in jedem Fall Michas Sohn heiraten. Als Micha schließlich in Hans den verschollen geglaubten Sohn erkennt, kann Marie zwischen den Söhnen Michas wählen und entscheidet sich für Hans.

Foto © Lutz Edelhoff

Regisseur Markus Weckesser verzichtet bewusst darauf, diese Story in die heutige Zeit mit arrangierten Ehen in anderen Kulturkreisen in den Ghettos der Großstädte zu verlegen. Stattdessen sind es die vermeintlich wahren Charaktere der Dorfbevölkerung in der böhmischen Provinz, die überholten Ansichten und Rollenverhältnisse und die veraltete Gesellschaftsphilosophie, die bereit ist, Töchter gegen den Erlass von Schulden einzutauschen. Das dargestellte bäuerliche Idyll am Rande eines böhmischen Kirchweihfestes ist nur oberflächlich schön und friedlich, unter der Oberfläche brodeln Eifersucht, Hass und Missgunst. Leider kratzt Weckmesser nur an dieser Oberfläche, die Personenregie wirkt harmlos, manchmal sogar ideenlos, insbesondere das dramatische Spannungsverhältnis zwischen Marie und Hans wird nicht klar genug skizziert. Anders dagegen die Figur des Wenzel, ein gesellschaftlich Ausgestoßener mit fast autistischen Zügen. Diese Charakterdarstellung gelingt Weckesser ausgesprochen intensiv. Hätte er die Charaktere der anderen Figuren auch so klar herausgearbeitet, dann wäre diese Inszenierung ein Psychodrama geworden. So plätschert die Szenerie mehr oder weniger dahin. Marie, etwas verträumt, aber durchaus selbstbewusst, wogegen Hans mehr als der Hallodri erscheint, der für wenig Geld zum Entsetzen aller seine Braut verkauft. Dass das eine geschickte List und Strategie ist, wird in der Personenführung zunächst nicht deutlich. Gut getroffen dagegen der aalglatte und schleimige Heiratsvermittler Kezal, der nur seine Erfolgspremiere sieht, ein Menschentypus, der uns auch heute immer wieder begegnet.

Dass Weckesser in den dritten Akt eine Einlage einfügt, die musikalisch von Smetanas Moldau begleitet wird und szenisch die Entwicklung Wenzels zu einer eigenständigen Persönlichkeit skizziert, mag vielleicht für die Erklärung, warum Wenzel Kontakt zu einem Zirkus findet und sich in die Tänzerin Esmeralda verliebt, hilfreich sein, stört aber das Gesamtkonzept und bringt zudem eine unnötige Unruhe ins Publikum. Gleiches gilt für das unnötige Hin- und Herschieben von Tischen, von klischeehaften Bauernbildern wie kollektives Bier trinken, sich prügeln oder die Mädchen im Heu zu vernaschen. Dafür muss Wenzel am Schluss nicht tolpatschig im Bärenkostüm herumalbern, sondern packt einfach seine Sachen und „haut ab“, ein für diese Charakterstudie dieser Figur durchaus logischer Schluss.

Die Studie eines dörflichen Lebens mit all seinen Schönheiten und Schwierigkeiten ist im Ansatz gut gelungen, aber es bleibt halt nur beim Ansatz. Die Ausstattung von Mila van Daag reflektiert genau dieses Klischee. Das Bühnenbild zeigt auf der Vorderbühne den Innenhof eines Bauerngutes, die Hinterbühne das landschaftliche Idyll, abgetrennt von einem großen Scheunentor. Eine Augenweide sind die Kostüme, die sich an historischen Vorbildern der Pilsener Tracht im ausgehenden 19. Jahrhundert orientieren. So verwendet van Daag eine sehr realistische Nachbildung der Chotieschauer Tracht, die von der deutschsprachigen Bevölkerung im Umland von Pilsen getragen wurde. Die festliche Frauentracht heißt Weiwazwesen und die männliche Mannatswesn. Ganz typisch für diese Tracht sind die roten Strümpfe der Damen und die Lederhosen der Herren aus ungefärbtem gelblichem Material. Diese gelungenen Kostüme geben mit dem Bühnenbild der Inszenierung den Anstrich des bäuerlichen Idylls.

Es ist ein junges Ensemble, das die Oper musikalisch auf die Bühne bringt. Allen voran Margrethe Fredheim als Marie. Mit großem Ausdruck und einer innigen Beseeltheit singt sie ihre Arie Gern will ich dir vertraun und mit Verzweiflung und Dramatik die große Arie im dritten Aufzug Wie fremd und tot ist alles umher. Ihr Sopran ist klar, die Höhen sicher und kraftvoll, mit einem manchmal leichten Vibrato in den Spitzentönen. Aber auch in den Duetten oder in den Chorszenen ragt ihre Stimme leuchtend heraus. Den Jubel des Publikums am Schluss hat sie sich redlich verdient. Thomas Paul als Hansbenötigt einige Zeit, um auf Betriebstemperatur zu kommen. Zu Beginn wirkt die Stimmführung verengt, der Gesang ein wenig knödelig. Das gibt sich aber im Laufe des Abends, und die Paradearie Es muss gelingen zeigt einen strahlenden Tenor mit baritonalem Fundament, der vielleicht noch etwas Zeit braucht, um in dieses Rollenfach hineinzuwachsen.

Großartig und vom Publikum zu Recht umjubelt ist Julian Freibott in der Rolle des Wenzel. Was der erst sechsundzwanzig Jahre junge Tenor aus der Rolle sängerisch und schauspielerisch rausholt, das ist ganz große Klasse. Er quält sich durch seine Ängste, sein Stottern, sein Ausgestoßensein und persifliert dabei die Rolle nicht, sondern gibt ihr auch mit seiner warmen und schon sehr ausdrucksstarken Stimme eine Persönlichkeit. Vielleicht die Entdeckung des Abends. Auch Gregor Loebel als Heiratsvermittler Kezal überzeugt mit angenehmen Bass und einer Charakterstudie, die den schmierigen Kezal irgendwie sogar sympathisch erscheinen lässt. Bei den beiden Elternpaaren sind es jeweils die Frauen, die stimmlich – und spielerisch – dominant erscheinen. Stéphanie Müller als Maries Mutter Ludmilaüberzeugt mit kraftvollem und warmem Alt, während Astrid Thelemann als Wenzels Mutter Agnes mit schneidigem Mezzosopran die Gefühlskälte der Figur treffsicher charakterisiert. Juri Batukov gibt den armseligen Bauer und Maries Vater Kruschina mit angenehmem Bariton, und Vazgen Gazaryan als Großgrundbesitzer Micha reiht sich mit kräftigem Bass in das gute Ensemble ein, bei dem Emma Moore in der kleinen Rolle der Tänzerin Esmeralda aufhorchen lässt.

Stimmlich ist der Erfurter Opernchor von Andreas Ketelhut formidabel eingestimmt. Mit großer Spielfreude und Agilität gelingen die Chorszenen zu den musikalischen Höhepunkten des Abends.

Zoi Tsokanou leitet das Philharmonische Orchester Erfurt sicher durch den Abend. Während die Ouvertüre noch etwas gehetzt klingt, entfaltet sich der romantische Klang der böhmischen Melodien immer mehr im Laufe der Aufführung. Die bekannten Klänge der Moldau als Einlage im dritten Aufzug kommen strömend aus dem Orchestergraben, und die ausgelassenen Tänze werden mitreißend begleitet. Nach knapp drei Stunden gibt es abgestuften Jubel des Publikums, das bis dahin durch eine unnötige Unruhe und viele der Jahreszeit angepassten Huster auf sich aufmerksam macht. Großer Jubel für Julian Freibott, Margrethe Fredheim und den Opernchor, alle anderen einschließlich des Regieteams bekommen großen Applaus.

Die Inszenierung des bäuerlichen Idylls gefällt, doch das Potenzial, bei den Charakteren weiter in die Tiefe zu gehen, wird nicht ausgeschöpft.

Andreas H. Hölscher