Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

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Foto © Klaus Handner

Aktuelle Aufführungen

Wenig durchscheinendes Stückwerk

TRANSLÚCIDO
(Cristina Hall)

Besuch am
28. März 2016
(Uraufführung)

 

 

Tanzhaus NRW, Düsseldorf

Eigentlich kann Dorothee Schackow zufrieden sein. Wie jedes Jahr hat sie auch heuer das Flamenco-Festival im Tanzhaus NRW organisiert. Große Namen der Flamenco-Szene waren ebenso dabei wie vielversprechende Jung-Choreografen. Die zusätzlich zahlreich angebotenen Workshops wurden ebenso gut vom Publikum angenommen wie die eigentlichen Aufführungen. Schackow schätzt, dass rund 2.500 Besucherinnen und Besucher das Festival besucht haben. Das dürfte einer Auslastung von über 90 Prozent entsprechen.

Aber auch hinter den Kulissen gab es erfreuliche Entwicklungen, berichtet Schackow. Neue Kooperationen und Koproduktionen sichern das Fundament einer Flamenco-Szene, in der auch das Tanzhaus NRW seinen festen Platz hat. So ist die Laune ausgezeichnet, als es in den nebelgetränkten Saal geht, auf dessen Bühne bereits drei Personen liegen. Offenbar gibt es dann am Ende der Osterfeierlichkeiten doch leichte Ermüdungserscheinungen, denn das Publikum füllt nur ein gutes Drittel der Plätze zur bevorstehenden Uraufführung.

POINTS OF HONOR
Musik
Tanz
Choreografie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Vielleicht sorgt auch die eher schwammige Vorankündigung dafür, dass das Publikumsinteresse zum Ende hin schwindet. Danach sei die neueste Arbeit von Cristina Hall vom Durchscheinen der eigenen künstlerischen Persönlichkeit auf der Bühne geprägt. Von Translúcido, einer Durchscheinbarkeit, ist jedenfalls zunächst nichts zu bemerken. Neben den drei Personen, die reglos auf der Bühne liegen, ist ein Hocker zu sehen, der ebenso wie das E-Piano am linken Bühnenrand mit rotem Band umwickelt ist. Längs der Seitenbühnen sind Scheinwerferwände aufgebaut, über dem Arbeitsplatz des Musikers hängt eine ganze Batterie von Mikrofonen.

Foto © Klaus Handner

Christian de Moret, Musiker und Sänger, schreitet von rechts die Tribüne seitlich hinab zu seinem Arbeitsplatz. Währenddessen dröhnen elektroakustische Geräusche in überspannter Lautstärke aus den Boxen. Am nötigen Feingefühl für die Lautstärke krankt die gesamte Aufführung. Hier wird ja kein Stadion, sondern ein Saal für 300 Besucher beschallt.

Feingefühl fehlt auch beim Umgang mit Lebensmitteln. Vor und auf dem Piano liegen Äpfel, werden heruntergeworfen, sinnlos geschält, um dann wieder auf dem Boden zu landen. Sagen wir es so: Vielleicht darf Kunst alles. Aber deshalb muss sie uns ja nicht gefallen. Und der verächtliche Umgang mit Obst im Zusammenhang mit einem Flamenco ist nicht einmal Provokation, sondern erscheint eher als Dummheit. Dummheit und Kunst aber passen nicht zusammen.

Aber es passt dann doch wieder irgendwie zum durchwachsenen Eindruck, den der Abend hinterlässt. Mit Cristina Hall, Ana Pérez und Carlos Carbonell stehen drei Künstler auf der Bühne, deren technische Fähigkeiten über jeden Zweifel erhaben sind. Im fein austarierten, dramatisch anspruchsvollen Licht von Benito Jimenez entstehen vor allem dann unglaublich starke Szenen, wenn die drei – vor allem gemeinsam – sich voll und ganz auf den Flamenco verlassen. Dann vibriert die Bühne, pulsiert das Geschehen und fesselt die Zuschauer.

Dazwischen immer wieder Ausbrüche in den zeitgenössischen Tanz, die nicht funktionieren wollen. Sei es, weil dadurch Stückwerk entsteht, sei es, weil die Figuren nicht sauber getanzt werden. Mehrfach setzt das Publikum verfrüht zum Schlussapplaus an, und das liegt nicht an den Besuchern. Fast neunzig Minuten zieht sich in die Länge, was auch gut in einer Stunde absolviert wäre. In dieser Stunde hätten die Künstler genau das zeigen können, was sie wollten: ihre eigenen Persönlichkeiten auf die Bühne bringen. Die Soli sind umwerfend.

Die Choreografie ist genauso wenig aus einem Guss wie Musik und Gesang. Dem Festival ist es im letzten Jahr nicht gelungen, eine vernünftige Lösung für die Präsentation des Gesangs zu finden. Weder Übertitel noch entsprechendes Schriftwerk stehen zur Verfügung. Auch in diesem Jahr bleibt der Zuschauer vollkommen ratlos angesichts teils unverständlicher spanischer Texte zurück, sofern er nicht zu den spanischen Gästen gehört, der dann auch in der Lage ist, den Gesang von der Tribüne zu kommentieren.

Bei aller Begeisterung der Ausrichtenden für die Internationalität eines Festivals: Wenn sie das deutschsprachige Publikum nicht mitnehmen, reicht auch die Faszination für den Flamenco nicht, die sich an diesem Abend in ausuferndem Applaus Bahn bricht. Übrigens: Als Düsseldorfer können wir weder Spanisch noch Englisch, müssen wir im Rheinland auch gar nicht. Aber wir freuen uns, wenn die Welt bei uns zu Gast ist.

Michael S. Zerban