Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

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Foto © Hans Jörg Michel

Aktuelle Aufführungen

Schwarz, aber stark

OTELLO
(Giuseppe Verdi)

Besuch am
8. Oktober 2016
(Premiere)

 

Deutsche Oper am Rein,
Düsseldorf

So mittelmäßig die letzte Saison der Deutschen Oper am Rhein verlaufen ist, scheint Verdi Intendant Christoph Meyer Glück zu bringen. Brachte dem Zwei-Städte-Institut Anfang des Jahres ein guter Don Carlos einige Pluspunkte ein, kann der neue Otello zum Saisonauftakt als geradezu grandioser Auftakt bezeichnet werden.

Dass die Co-Produktion mit der Opera Vlaanderen bereits im März in Antwerpen über die Bühne gegangen ist, ist zu verschmerzen, wenn man mit einem solch ambitionierten Haus zusammenarbeitet. Mit reinen Eigenproduktionen konnte die Rheinoper in den letzten Jahren nur selten voll überzeugen.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Michael Thalheimer, der Schauspiel-erfahrene Meister-Regisseur, der seit zehn Jahren auch gelegentlich Opern inszeniert, spürt mit Geist und Instinkt die spezifischen Unterschiede zwischen Shakespeares und Verdis Deutung auf. Dabei nimmt er das brillante Libretto von Arrigo Boito und die Musik Verdis so ernst, dass er auf jede oberflächliche Aktualisierung oder Verbiegung des Stücks verzichtet. Im Gegenteil: Er reduziert seine Deutung mit minimalistischer Genügsamkeit auf die Essenz der Oper, indem er auf alles verzichtet, was den Blick von den Figuren und insbesondere von der Titelfigur ablenken könnte. Insofern kommt Bühnenbildner Henrik Ahr mit einem pechschwarzen Raumkubus aus, der Otello wie eine ausweglose Seelenlandschaft gefangen hält. Schwarz gehalten sind auch die Kostüme von Michaela Barth und auf Requisiten wird gänzlich verzichtet. Bis auf zwei Ausnahmen: Das weiße verräterische Taschentuch und vor allem das Brautkleid, in dem Desdemona im letzten Akt erwürgt wird. Und zwar mit einer konzentrierten Ruhe, die der ansonsten auf Tempo getrimmten Inszenierung zu widersprechen scheint. Eine eindringliche Regieleistung, die, wie so vieles an dem Abend, unter die Haut geht.

Foto © Hans Jörg Michel

Optisch ist Stefan Bolliger mit seiner raffinierten Beleuchtungsdramaturgie als Star des Abends zu bezeichnen. Angesichts der schwarzen Bühnenleere leuchtet er die Figuren und speziell die Gesichter mit teilweise gespenstischen Effekten aus. Jago nimmt stellenweise geradezu vampyrhafte Züge an.

Dass Otello ein Schwarzer ist, interessiert Thalheimer weniger. Otello trägt bei ihm eine natürlich schwarze Maske, die an den venezianischen Karneval erinnert. Entscheidend ist die Außenseiterposition des vom Sklaven zum gefeierten Feldherrn aufgestiegenen „Mohren“, der mit seiner lange Zeit harten Biografie das Mitleid der begehrten Desdemona erregt. Aus diesem Grund heiratet sie Otello und bringt sich damit selbst an den Rand der Gesellschaft. Denn integriert ist Otello nicht. Das Volk bejubelt ihn, setzt ihn bei Thalheimer wie eine anonyme Masse unter enormen Erfolgsdruck und treibt ihn zusätzlich in die Enge. Die fast pathologischen Angststörungen erklären sich bei Thalheimer aus Otellos Versagensängsten, seine Stellung gefährdet zu sehen. Der größte Gegner Otellos ist er selbst. Das alles wirkt bei Thalheimer logisch und wird extrem intensiv zum Ausdruck gebracht. Die Furcht, Desdemona verlieren zu können, steigert Otellos Konflikt ins Krankhafte. Wobei Thalheimer Desdemona als starke Frau agieren lässt, die ihrem Gatten in den Auseinandersetzungen im dritten Akt Paroli bietet. Und Jago wirkt wie ein zweites Ich Otellos, das die dunklen Kräfte des Feldherrn nur zu verstärken scheint. Er erinnert an Mephisto, agiert aber viel bösartiger und ohne ironische Brechung.

Das Grundtempo der Inszenierung ist hoch. Aber Thalheimer differenziert die Geschwindigkeit, indem er das Tempo gelegentlich bis zum Stillstand drosselt. Dass dabei manche Geste der Verzweiflung oder Bedrohung pathetisch wirkt, das stört ihn nicht und das stört auch die Inszenierung nicht. Denn alle vier Akte erzeugen eine geradezu atemlose Spannung. Vieles mag diskussionswürdig sein. Aber das Gesamtpaket überzeugt rundum.

Vom rasanten Tempo der Inszenierung fühlt sich Generalmusikdirektor Axel Kober zu einem orchestralen Dauerlauf animiert, der den lyrischen Teilen nicht immer gut bekommt. Zum Glück findet Thalheimer im Liebesduett und in den ersten Szenen des vierten Akts zu einer ruhigeren Gangart, die Kober mitträgt. So theatralisch packend die Inszenierung, so orchestral impulsiv klingt es insgesamt aus dem Orchestergraben.

Das führt dazu, dass Zoran Todorovich in der Titelrolle ständig an der Grenze seiner konditionellen Möglichkeiten singt. Ein Labsal für die Stimme ist das nicht, aber den dramatischen Impetus des Stücks bringt er eindrucksvoll über die Rampe. Auch Boris Statsenko setzt mit seinem mächtigen Bariton auf starke Effekte. Darstellerisch wie stimmlich kommt bei ihm die zynische Bösartigkeit des Jago zum Tragen, weniger die Qualitäten eines noblen Kavalier-Baritons. Grandios behauptet sich Jacquelyn Wagner als Desdemona. Sie verbindet mit ihrem leuchtenden, mühelos ansprechenden Sopran sowohl die selbstbewussten wie auch zerbrechlichen Akzente der Rolle. Ihre Auseinandersetzung mit Otello im dritten Akt und ihre Solo-Gesänge im Todes-Akt gehören zu den Höhepunkten des Abends. Sarah Ferede stattet die Emilia mit viel Power aus, während der Mozart-geschulte Tenor Ovidiu Purcel dem Cassio eher zarte Züge verleiht. Ansonsten kann sich die Rheinoper auf ihr hervorragendes Ensemble und ihren ebenso guten Chor verlassen.

Begeisterter Beifall für eine packende Verdi-Produktion, die auf bessere Zeiten an der Rheinoper hoffen lässt. Nur wenige Buh-Rufe sind zu hören. Jacqueline Wagner und Boris Statsenko können sich über den stärksten Beifall freuen. Dass das Publikum nach Desdemonas Ave Maria applaudiert und den genial kontrastierenden Einsatz der Bässe beim Eintritt Otellos verpatzt, zeugt nicht gerade von großem Einfühlungsvermögen.

Pedro Obiera