Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

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Gut besuchter Kammermusiksaal im Palais Wittgenstein - Foto © Opernnetz

Aktuelle Aufführungen

Psychische Eruptionen

MUSIK UND PSYCHE (1)
(Alexandra von der Weth)

Besuch am
29. September 2016
(Einmalige Veranstaltung)

 

 

Palais Wittgenstein, Düsseldorf

Das Palais Wittgenstein ist ein Kulturzentrum, einen Steinwurf vom beliebten Düsseldorfer Karlsmarkt entfernt, und beherbergt das Düsseldorfer Marionetten-Theater sowie die historische Metzgerei Peter London, die heute als Cafeteria dient. Im Obergeschoss liegt ein Kammermusiksaal mit 234 Plätzen und einer hervorragenden Akustik. Ein wenig versteckt vielleicht. Mehr was für Kenner. Diesen Ort hat Alexandra von der Weth sich ausgesucht, um das erste Gesprächskonzert ihrer vierteiligen Reihe Musik und Psyche zu veranstalten.

Bis heute gibt es in Düsseldorf so etwas wie eine kollektive Anteilnahme, was die Karriere der Sängerin angeht. Und so wird ihre Geschichte auch außerhalb eingefleischter Opernkreise immer wieder gern – mit diesem gewissen Schaudern – erzählt. Geboren in Coburg, studierte sie in München und begann ihre Karriere an der Oper Leipzig. 1996 wechselte sie als Ensemble-Mitglied zur Deutschen Oper am Rhein, und Düsseldorf jauchzte vor Glück. Große Rollen, Auftritte unter anderem an der Wiener Staatsoper und der Metropolitan Opera New York. 2004 war Schluss mit dem aufsteigenden Stern am Opernhimmel. Die Sternschnuppe verglühte. Die Stimmbänder waren lädiert. Seitdem erzählt man ihre Geschichte eher hinter vorgehaltener Hand. Freunde hat man in einer solchen Zeit wenige. Von der Weth kämpfte sich durch die Hölle. Und meldete sich schließlich als Stimmbildnerin mit eigenem Institut in Wuppertal medienwirksam zurück. Seither tritt das einstige Ausnahmetalent wieder, wenn auch zaghaft, auf Bühnen auf. Nicht in den großen Repertoire-Rollen, sondern in ausgewählten Projekten, die sie zum Teil auch selbst entwickelt.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Der Saal ist gut gefüllt. Die Chance, Alexandra von der Weth zu hören, lässt man sich auch an einem Donnerstagabend nicht ohne Weiteres entgehen. Da mag so manchem im Vorfeld entgangen sein, dass es sich nicht um einen „einfachen“ Liederabend handelt. Die Sängerin hat drei Musikwissenschaftler und einen Komponisten eingeladen, um in lockerem Plausch mit spontan eingefügten Musik- und Gesangseinlagen dem Publikum einen vergnüglich-besinnlichen Abend mit dem Titel Die Welt der Psyche als Inspirationsquelle für das kompositorische Schaffen zu bereiten. Bis dahin eine gute Idee. Und zur Eröffnung des Abends gibt es auch gleich mal Elsas Traum aus Richard Wagners Lohengrin. Das Publikum ist hingerissen.

Roland Techet sinniert über Robert Schumann - Foto © Opernnetz

Von der Weth hat sich viel vorgenommen. Und so begibt sie sich anschließend in die Diskussionsrunde, um die Moderation zu übernehmen. Nun ist das mit der Moderation so eine Sache. Gibt es in der Runde eloquente Redner, die wissen, dass ihr größter Erfolg in der Kürze ihrer Ausführungen liegt, macht sie Spaß. Umso mehr, wenn sich die Podiumsteilnehmer die Bälle zuwerfen. Und natürlich gibt es auch unter Wissenschaftlern durchaus Menschen, die die Öffentlichkeit zu begeistern wissen. Die sind an diesem Abend nicht anwesend. Und dann wird Moderation nicht nur zur Qual, sondern auch zur Kunst. Geschlossene Fragen, die kurze Antworten erzwingen, in rascher Folge an die Anwesenden verteilt, können auch aus einer solchen Runde heraus noch einen erfrischenden Abend bewirken. Von der Weth beginnt mit einer offenen Frage an Roland Techet, Dirigent und Spezialist für Neue Musik, und bewirkt einen gefühlt 15 Minuten dauernden Einführungsvortrag. Und das ist steigerungsfähig. Schließlich ist in der Runde auch Christian Jendreiko, Systemtheoretiker und Experimentalkünstler. Systemtheorie ist eine wissenschaftliche Ausrichtung, die nicht geeignet ist, sich einem breiteren Publikum adhoc zu erschließen. Das weiß Jendreiko auch und bemüht sich, anhand seiner mindmap in seinen Gedankengängen nicht selbst „aus der Kurve zu fliegen“. Schließlich gelingt die Überleitung zum Komponisten Gerhard Stäbler, der in der Folge sein Werk Karas Krähen, ein Stück für Sprecher, Akkordeon und Zuspielung vortragen darf. Er wird eindrucksvoll von Slavi Grigorov am Akkordeon begleitet. Um anschließend ausgiebig von den Begleitumständen des Enstehens dieser laut Moderatorin „magischen“ Komposition zu berichten.

Was als lockere Plauderei in der Duz-Runde geplant ist, ist für viele Besucher so verquast und ermüdend, dass sie die Veranstaltung von diesem Zeitpunkt an verlassen. Von der Weth zieht die Reißleine. Wiederum mit Techet am Flügel trägt sie in rascher Folge vier Lieder von Hugo Wolf vor. Die richtige Entscheidung. Und beließe sie es nach anderthalb Stunden dabei, wäre womöglich alles gut. Man hätte über die ergebnisoffenen Wortbeiträge hinweggesehen und den intensiven Liedvortrag der Sängerin in Erinnerung behalten.

Aber so leicht gibt Alexandra von der Weth nicht auf. Und während Stefan Plasa, Leiter des Prüfungsbüros der Bonner Universität, einen weiteren, jetzt wirklich überflüssigen Vortrag hält, leert der Saal sich immer schneller. Die Verbliebenen erwartet dann noch eine ganz besondere Vorstellung. Von der Weth trägt Stäblers Fragment für Solo Voice Blindflug vor. Eine kurze Kantilene, die einen sehr körperintensiven Vortrag zu verlangen scheint. Dann ist es geschafft.

Nach zwei Stunden kann man niemandem vorwerfen, er habe nicht alles gegeben. Und möglicherweise ist fehlende Struktur Teil des Programms. Das weiß man jetzt. Und es wird in den nächsten drei Veranstaltungen spannend sein zu sehen, ob Alexandra von der Weth eine Kurskorrektur vornimmt und den Abenden vor allem hinsichtlich der Gespräche doch eine inhaltliche Struktur gibt oder l’art pour l’art durchhält. Der erste Abend jedenfalls bleibt erkenntnisfrei. Und das verbliebene Publikum? Eilt zur Bühne, um Alexandra von der Weth für ihren Gesang zu gratulieren.

Michael S. Zerban