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Kulturmagazin mit Charakter

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Foto © Lupi Spuma

Aktuelle Aufführungen

Sentimentale Stimmung

DIAGNOSE: JAZZ
(August Zirner)

Besuch am
17. November 2015
(Premiere 2009)

 

Schauspielhaus Düsseldorf,
Kleines Haus

Mehr und mehr stellen die Häuser ihre Internetseiten auf Smartphone-freundliche Layouts um. Da liegt der Gedanke nahe, gerade bei Gastspielen auf die Zusatzkosten eines Programms zu verzichten. Das Schauspielhaus Düsseldorf zeigt mit dem Gastspiel Diagnose: Jazz, dass man da auch sehr schnell in einen unprofessionellen Bereich gelangen kann. Denn schließlich ist die Übertragung ins Internet nur dann erfolgreich, wenn dort auch die nötigen Informationen zu finden sind. Das Schauspielhaus beschränkt sich auf die lapidare Mitteilung, ein Programm sei nicht vorhanden. Im Internet allerdings fehlen dann auch die Informationen, wie das Smartphone zeigt. Und damit wird der Abend ungemütlich.

Vielleicht liegt es auch am Geruch, der einen im Kleinen Haus erwartet. Es stinkt wie an einem ungelüfteten Ort, an dem sich ungewaschene Menschen schweißüberströmt aufgehalten haben. Das Publikum wird im unteren Drittel des Saals zusammengepfercht. Ein offenbar fachkundiges und klatschfreudiges Publikum, wie sich später zeigen wird.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Seit 2009 tourt August Zirner mit dem Spardosen-Terzett durch die Lande. Unter dem Titel Diagnose: Jazz soll eine Geschichte des Jazz in Wort und Musik erzählt werden. Drei Musiker betreten im Halbdunkel die Bühne. Im Hintergrund erklingt Flötenmusik, eher weit von Virtuosität entfernt. Zirner betritt querflötenspielend die Bühne. Beginnt seinen Wortvortrag mit einer Lesung. Keine Einleitung, irgendwelche Texte werden vorgetragen. Jazz-Musik wird gespielt. Jede Orientierung fehlt. Ein Blick ins Internet ergibt: Kein Programm. Hier erfährt der Besucher lediglich, dass Zirner und seine Mannen den Jazz-Legenden Thelonious Monk, Charles Mingus und Rahsaan Roland Kirk nachspüren. Natürlich ist es legitim, dass ein Abend sich selbst erklärt. Dieser Abend erklärt sich aber nicht selbst. Selbstverständlich ist es schön, Jazz zu hören. Noch schöner allerdings ist, wenn man weiß, was gespielt wird. Hier erfährt man es nicht.

Foto © Markus Schilling

Erst nach und nach erschließt sich, dass es um ziemlich abgefahrene Typen aus der Jazz-Szene geht. Der autistische Monk, der blinde Kirk und der unersättliche Mingus erfahren viel Leid, müssen sich mit den sozialen Verhältnissen der 1950-er Jahre in den USA und ihren eigenen Niederlagen auseinandersetzen. Eine „Geschichte des Jazz in Wort und Musik“ wird es nicht. Vielmehr sind es szenische Versatzstücke, die Zirner eher unkonzentriert vorträgt. Seine Professionalität als herausragender Schauspieler, der er nun mal ist, rettet ihn.

Ohne zu wissen, welche Musik gespielt wird, sind durchaus immer wieder einzelne Stücke als bekannt erkennbar. Rainer Lipski am Piano, Mickey Neher am Schlagzeug und Kai Struwe am Kontrabass erweisen sich als Spezialisten ihres Fachs und sorgen mit ihren Soli immer wieder für Zwischenapplaus. Nach anfänglichen Schwierigkeiten findet auch Zirner zum überzeugenden Spiel der Querflöte.

Zugegeben, Gastspiele sind schwierig. Keiner fühlt sich irgendwie zuständig. Das Publikum ist den Künstlern unbekannt. Die Arbeitsbedingungen vor Ort werden oft erst am selben Tag bekannt und sind meist von Einschränkungen und Lustlosigkeit geprägt. Und am nächsten Tag ist – bei den Künstlern zumindest – ohnehin alles vergessen. Wer dann noch vor halbleerem Saal spielen muss, braucht besondere Motivation. Die erfahren Zirner und seine Musiker in Düsseldorf vom enthusiasmierten Publikum.

Und so geraten die Zugaben zum rettenden Teil des Abends. August Zirner fasziniert mit einer Ian-Anderson-Einlage, erzählt plötzlich gelöst die wunderbare Geschichte von seinem Vater, der ihn auf der Säuglingsstation am gesungenen Es erkannte, glänzt mit Anekdoten und Erläuterungen zu großartig vorgetragenen Stücken. Natürlich auch das alles einstudiert – aber erstmals mit der Begeisterung dargeboten, die das Publikum erwarten darf. Mit In a sentimental mood von Duke Ellington verabschieden sich die Jazzer von einem ausgesöhnten Publikum in Düsseldorf.

Anscheinend hat sich der lieblose Umgang des Schauspielhauses mit Gastspielen schon herumgesprochen. Sonst wäre der Saal an diesem Abend sicher besser besucht gewesen.

Michael S. Zerban