Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

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Foto © Daniel Koch

Aktuelle Aufführungen

Das süße Lied verhallt

LOHENGRIN
(Richard Wagner)

Besuch am
25. Mai 2016
(Premiere am 21. September 1983)

 

 

Semperoper Dresden

Was ist los in Dresden? Da stehen vier Aufführungen von Wagners Lohengrin in der legendären Inszenierung von Christine Mielitz auf dem Spielplan, und die Opernwelt steht Kopf. Seit Monaten sind die Vorstellungen restlos ausverkauft, Medienvertreter aus aller Welt reisen nach Dresden, und Schwarzmarkthändler versuchen das Geschäft ihres Lebens zu machen. Es zieht Glamour ein in die Semperoper, und endlich bekommt Dresden wieder positive Schlagzeilen. Anna Netrebko gibt ihr Rollendebüt als Elsa und wagt damit den Schritt in das jugendlich-dramatische Wagnerfach. An ihrer Seite ein weiterer Debütant. Der lyrische Tenor Piotr Beczala, in vielen Partien des italienischen und französischen Fachs an Netrebkos Seite, singt seinen ersten Lohengrin. Ein im Vorfeld heftig diskutiertes Doppeldebüt. PR-Gag oder ernsthafter Fachwechsel?

Dieser Coup  ist Christian Thielemann zu verdanken, der beide Sänger schon lange kennt und ihnen genau diese Partien zugetraut hat, der sie ermuntert hat, sie zu studieren und der ihnen das Vertrauen gegeben hat, die mit seiner Hilfe zu meistern. Und da bieten die Vorstellungen Nr. 112 – 115 seit der Premiere am 21. Januar 1983 den idealen Rahmen für diese Debüts, denn die Inszenierung von Christine Mielitz ist klassisch, ohne Abenteuer in der Personenregie, so dass die Sänger sich ganz auf ihren Gesang und die eigene Rolleninterpretation konzentrieren können.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Die Kulissen, die opulenten und farbenreichen Kostüme in der Ausstattung von Peter Heilein wirken klassisch verstaubt, ja fast schon kitschig und in der heutigen Zeit eigentlich nicht mehr aufführbar. Die Handlung scheint verlegt zu sein in eine Zeit des frühen Bürgertums, in der reiche Stände und Zünfte, Adel und Militär dominieren. Die Kostüme wirken kostbar, sind ein Augenschmaus. Der überdimensionierte Schwan, von der Hinterbühne kommend, wirkt dagegen eher bedrohlich als erheiternd. Allerdings erscheint die Inszenierung insgesamt eher unverbindlich, es dominiert die Ästhetik des Augenblicks, sowohl optisch als auch im Gesang. Doch was ist das Geheimnis dieser Inszenierung, auch nach 33 Jahren noch zu faszinieren und zu begeistern? Die Lösung ist einfach. Wenn herausragende Sängerdarsteller diese Rollen nachhaltig verkörpern, die Psychologie der Beziehungsgeflechte untereinander leben und ein grandioser Musik- und Klangkörper alles Angestaubte mit neuem Leben erfüllt, dann nennt man das eine Sternstunde. Und derzeit erlebt die Semperoper Dresden wieder Abende, die man ohne übertriebenes Pathos so nennen darf.

Foto © Daniel Koch

Anna Netrebko ist der Star des Abends. Und die Frage, ob es sich bei ihrem Rollendebüt um einen PR-Gag handelt, ist ganz schnell beantwortet. Für dieses Debüt hat Netrebko einiges abgesagt, sich sechs Wochen – eine immer noch kurze Zeit –  intensiv mit dieser Rolle auseinandergesetzt, und nicht nur die Partie musikalisch top vorbereitet, sondern auch stark am Text, der deutschen Sprache und der Deklamation gearbeitet. Und Netrebko erobert mit ihrer musikalischen Gestaltung das Publikum im Handumdrehen.  Sie legt die Rolle der Elsa mit bewegender Innigkeit, träumerisch und schwärmerisch an, und verkörpert in Spiel und Gesang das Idealbild der reinen und unschuldigen Elsa, ohne dabei naiv zu wirken. Ihr warmer Sopran mit dem dunklen Timbre ist von einer großen Tragfähigkeit, der weit gesponnene Bögen und leuchtende Höhen mit Leichtigkeit erzeugt, um dann wieder mit wunderbarem Piano zu berühren.

Netrebko hat in der Vergangenheit viel ausprobiert, Grenzen erforscht. Bei Verdi hat sie schon das dramatische Fach erobert, und diese Erfahrungen, grade aber auch aus den lyrischen Belcanto-Partien der Vergangenheit, kommen ihr dabei zu Gute. Von den reinen, klar tragenden leisen Tönen ihrer Traumerzählung zu Beginn, über die eindringlich-dramatischen Ausbrüche in der Konfrontation mit Ortrud vor dem Münster bis hin zur Brautgemach-Szene, mit den wunderbar vom Lyrischen ins leicht Dramatische gesteigerten Phrasierungen, beeindruckt sie auf ganzer Linie. Hervorzuheben ist auch ihre Textsicherheit und Textverständlichkeit, ein Nachweis, wie intensiv sie sich mit der Partie auseinandergesetzt hat. Der Mut, diesen Schritt zu tun, und das Vertrauen in Thielemann sind belohnt worden. Es ist ein Rollendebüt par excellence, sowohl stimmlich als auch darstellerisch. Und wenn man dem Gesetz des Marktes folgt, wird das nicht ihre einzige Wagner-Partie bleiben. Nach dieser Elsa liegen eine Elisabeth im Tannhäuser oder eine Eva in den Meistersingen sicher im Bereich des Machbaren.

Piotr Beczala steht in der musikalischen Interpretation des Lohengrin mit seinem Rollendebüt Natrebko in nichts nach.  Er legt die Partie nicht mit großem Heldengestus an, sondern sehr lyrisch, fast mit italienischem Schmelz. Sein kräftiges Fundament ist eine sichere Stütze für die Ausbrüche am Ende des zweiten Aktes und im großen Duett des Brautgemachs Höchstes Vertrau’n. Dabei entwickelt die Stimme, basierend auf einer warmen Mittellage mit leicht baritonalem Timbre, die nötige Strahlkraft, um auch in den großen Ensembles gehört zu werden. Die Gralserzählung singt Beczala innig, fast liedhaft, und damit besonders berückend. Sein finaler Abschied besticht durch eine große Differenzierung in der Phrasierung und der dynamischen Ausgestaltung. Auch ihm ist eine beeindruckende Textverständlichkeit zu attestieren. Stand sein Rollendebüt im Medienfokus zwar hinter dem der Netrebko, so hat Beczala bewiesen, dass er mit dieser Partie ein ebenbürtiger Partner ist, und dass man für die Partie des  Lohengrin nicht zwingend als Heldentenor geboren sein muss. Doch seine schöne, lyrische Stimme hat auch eine natürliche Grenze, die vielleicht noch einen Walther von Stolzing oder einen Parsifal zulässt, aber einen Wechsel in das dramatische Heldenfach eher unwahrscheinlich erscheinen lässt.

Evelyn Herlitzius, in der vergangenen Saison für ihre herausragende Darstellung der Elektra in Dresden gefeiert, ist stimmlich der Kontrapunkt zum lyrisch-jugendlich dramatischem Paar Beczala und Netrebko. Ihr hochdramatischer Sopran besticht mit wuchtigem und scharfem Furor in den Ausbrüchen, insbesondere in den Schlüsselszenen der Partie, wie Entweihte Götter im zweiten Aufzug oder die heftige Konfrontation mit Elsa vor dem Münster. Ihr Ausdrucksrepertoire und die vor allem in der Mittellage variable Stimme skizziert diese Ortrud als Charakterstudie von großer Intrige und Heuchelei.

Tomasz Koniecny gibt den Telramund mit dramatischem Bass-Bariton und entwickelt so einen souverän gestalteten Charakter, der zum Opfer von Ortruds List und Täuschung wird.  Genaue Artikulation ist auch bei ihm eine Selbstverständlichkeit, ebenso wie eine technisch sichere, variable Gestaltung einzelner Phrasen. Georg Zeppenfeld beeindruckt als König Heinrich mit wuchtigem und gleichzeitig balsamischem  Bass.  Sein Mein Herr und Gott singt er mit großem Pathos und sauberer Deklamation. Derek Welton überzeugt als Heerrufer mit schmeichelndem Heldenbariton, sicher gesetzten Tönen und markanten Ansagen. Die Edelknappen und die Mannen des Telramund fallen angenehm durch harmonischen und klaren Klang auf und ergänzen das großartige Sängerensemble.

Auch der Staatsopernchor, bestens eingestimmt von Jörn Hinnerk Andresen, trägt zum hervorragenden Gesamteindruck der Aufführung maßgeblich bei. Klar die Strukturierung der einzelnen Stimmgruppen, mit strahlenden, in diesem Werk so bedeutsamen Tenören, kraftvoll die Klangentwicklung in den großen Tableaus und mit präzisen Abstufungen in den leiseren Passagen.

Den Schlüssel zum Erfolg aller hält einer in der Hand, Christian Thielemann am Pult der sächsischen Staatskapelle Dresden. Das Vorspiel zum ersten Aufzug erklingt filigran, ja fast kammermusikalisch ertönt es aus dem Orchestergraben, zart und innig die Motive Elsas, bis die Spannung immer weiter aufgebaut wird und das Fragemotiv drohend und schicksalhaft symphonisch erschallt, um dann wieder in fast sphärische Klänge zu transkribieren.  Thielemann baut immer wieder die großen symphonischen Momente auf, bis die Spannung sich explosionsartig löst und in unterschiedlichen Farben und Phrasierungen ganz im Dienste des Musik-Dramas steht. Das Vorspiel zum dritten Aufzug erklingt dynamisch und kraftvoll, noch deutet nichts auf die schicksalhafte Wendung hin. Sauber intonieren die Bläser, und die Leitmotive werden scharf akzentuiert herausgearbeitet. Thielemann wechselt die Tempi, um besonders große Spannungsbögen zu erzeugen, und trägt dabei die Sänger förmlich durch die Partie. Die Orchestermusiker folgen seinem präzisen Schlag, und die Sänger stehen immer im Vordergrund, ihnen dient Thielemann als musikalischer Begleiter. Thielemann, der schon in den Pausen umjubelt wird, darf zum Schluss die stehenden Ovationen eines begeisterten Publikums entgegennehmen. Seine musikalische Weitsicht, Netrebko und Beczala diese Rollen anzuvertrauen, ist mehr als belohnt worden.

Das Publikum, darunter viele Fans von Anna Netrebko aus Wien, dankt mit frenetischem Jubel, der schon nach dem ersten Aufzug aufbrandet. Netrebko, die genau wie Piotr Beczala und Christian Thielemann gefeiert wird, wirkt gelöst und erleichtert, strahlt und winkt ins Publikum. Auch eine Diva ist nur ein Mensch, und genau diese Emotionen am Schluss, natürlich und unaufgesetzt, machen sie so sympathisch.

Bleibt am Schluss die Frage, wie es weiter gehen wird. Thielemanns Plan ist aufgegangen, er hat zwei der Superstars der Opernszene zu einem umjubelten und vielbeachteten Wagner-Debüt nach Dresden geholt. Thielemann ist auch künstlerischer Berater der Bayreuther Festspiele. Wird es eine Fortsetzung dieses Erfolges demnächst in Bayreuth geben? Der Grundstein dafür ist in Dresden gelegt worden.

Andreas H. Hölscher