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Alle Fotos © Daniel Koch

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Literaturoper

THE GREAT GATSBY
(John Harbison)

Besuch am
6. Dezember 2015
(Premiere)

 

 

Semperoper Dresden

The Great Gatsby von F. Scott Fitzgerald gilt als einer der bedeutendsten amerikanischen Romane. Er erzählt von dem vergeblichen Versuch des Millionärs Jay Gatsby, seine Jugendliebe Daisy wiederzugewinnen, und beschreibt dabei höchst anschaulich die New Yorker Gesellschaft der 1920-er Jahre und ihre Gier nach Geld und gesellschaftlichem Ansehen. Mehrmals wurde das Buch verfilmt, zuletzt 2013 mit Leonardo DiCaprio. Erstaunlicherweise hat die Musikbühne erst 1998 das Werk für sich entdeckt. John Harbison, Jahrgang 1938, komponierte eine das Publikum nie verstörende Oper in klassischer Tradition mit vielen Anleihen an die Tanzmusik der roaring twenties. Die mit Dawn Upshaw und Jerry Hadley prominent besetzte Uraufführung von The Great Gatsby fand unter der Leitung von James Levine an der New Yorker Met statt. Jetzt folgt die europäische Premiere an der Dresdner Semperoper, die schon 2007 einer großen amerikanischen Oper – Jake Heggies Dead man walking – den erfolgreichen Sprung über den Ozean ermöglicht hatte.

Für The Great Gatsby scheut sie weder Kosten noch Mühen. Allein das Bühnenbild von Johan Engels, der während der Vorbereitungen verstarb, verbindet meisterlich Milieutreue mit symbolträchtigen Requisiten. Riesige Möbel als Sinnbild für den Größenwahn der Superreichen, ein zweistöckiges Gerüst – unten eine penibel ausgestattete Autowerkstatt, oben die Wohnräume mit zwei Öffnungen, die je nach Beleuchtung Fenster, übergroße Augen oder Reifen zeigen – und im Bühnenhintergrund ein Prospekt mit detailliertem Industriepanorama: Der Aufwand, zu dem auch die erlesenen, stilgerechten Kostüme von Emma Ryott gehören, ist so fantasievoll wie grenzenlos. Wie ein Leitmotiv werden Blumen in unterschiedlichstem Format verwendet. Gigantische Sträuße dienen als Mobiliar, eine Rosenblüte als Liege und in winziger Form auch als Sargschmuck bei Gatsbys Beerdigung. Solche Bezüge machen einen Reiz von Keith Warners intelligenter, atmosphärischer Inszenierung aus, die individuell-subtile Personenführung mit Showglamour bei den Gesellschaftsszenen gekonnt verbindet. Besonders effektvoll gerät der Beginn des zweiten Akts, wenn zunächst ein Teil des schwarz gekleideten Chors vor einem Perlenvorhang tanzt und dann durch die Schnüre erst die Hände, dann die ganzen Körper der restlichen Choristen erscheinen.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Der Regisseur kann auf fabelhafte Sängerdarsteller bauen, die sich spürbar mit ihren Rollen identifizieren. Peter Lodahl ist als Gatsby kein Draufgängertyp, sondern ein Suchender, der trotz seines Reichtums einsam ist. Ganz weich und fließend führt er seinen Tenor und wirkt darum umso eindringlicher. Darin entspricht ihm Maria Bengtsson, die die Daisy mit cremigem, nie forcierendem Sopran und vielen feinen Zwischentönen ausstattet und zudem durch ihre attraktive Erscheinung und ihr natürliches Spiel eine Idealbesetzung ist. Bestrickend sind die in schönster Harmonie tönenden Duette mit der überaus präsenten Christina Bock als Freundin. Angel Blue wertet die eigentlich kurze Rolle der Myrtle durch ihren inbrünstigen, bluesigen Gesang und eine starke Ausstrahlung auf. Mit John Chest, Raymond Very, Lester Lynch und Aaron Pegram ist auch das Herrenensemble bestens aufgestellt.

Foto © Daniel Koch

Der Dirigent Wayne Marshall und die Sächsische Staatskapelle sind in ihrem Element, wenn es gilt, Charleston, Rag und Jazz und die instrumentalen Zwischenspiele, die Autofahrten bildhaft illustrieren, mit dem rechten Schwung zu versehen. Bei den klassischen Musiknummern allerdings könnte der Orchesterklang von stärkerer Akzentuierung und mehr Transparenz profitieren.
Heftiger, aber nicht allzu langer Beifall in der fast ausverkauften Semperoper für eine durch ihre Geschlossenheit bemerkenswerte Produktion.

Karin Coper