Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

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Foto © Susanne Schulte

Aktuelle Aufführungen

Geballte Energie mit Grazie

HUANYING - WILLKOMMEN
(Wu Wei)

Besuch am
14. Juli 2016
(Einmaliges Gastspiel)

 

Summerwinds-Holzbläser-Festival,
Maschinenhalle Fürst Leopold, Dorsten

Während zahlreiche Festival mit besonderen Bühnenbildern auf sich aufmerksam machen, sucht sich das summerwinds-Hölzbläser-Festival des Münsterlandes besondere Aufführungsorte – und findet sie reichlich: Westfälische Herrenhäuser, Wasserburgen und – nicht zuletzt – Industriebauten am nördlichen Rand des Ruhrgebietes wie die alte Maschinenhalle der Zeche Fürst Leopold in Dorsten. Hier stehen zwei noch gut erhaltene Dampf-Fördermaschinen in großen Hallen und dienen nur noch musealen Zwecken, einschließlich der großen, baulich noch gut erhaltenen Maschinenhallen, die viel zu schade sind, um ungenutzt stehen zu bleiben. Aber sie als Konzerthallen zu nutzen, eine verrückte Idee? Keineswegs – und im ganzen Ruhrgebiet schon vielfach erprobt und bewährt.

Auf der Arbeitsbühne des Fördermaschinen-Hauses erscheint der chinesische Künstler Wu Wei und schreitet langsam die metallene Treppe hinunter. Verhalten, doch allmählich anschwellend ertönt ein Ton, der immer mehr die große Maschinenhalle füllt und schließlich, als Wu Wei den Boden erreicht, wie ein langgezogener mächtiger Orgelton stehen bleibt. Der Musiker hält ein Instrument vor dem Kopf, bläst in ein Mundstück und bedient verschiedene Klappen, Tonfolgen laufen, der Klang wird dem eines Akkordeon immer ähnlicher.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Wu Wei spielt eine Sheng, eine „liebliche Chineser Orgel“, wie sie im 18. Jahrhundert von einem Kritiker bezeichnet wurde. Bei uns kaum bekannt, gehört sie seit mehr als 3000 Jahren zu den wichtigsten Instrumenten der traditionellen chinesischen Musik. Sie ist ein Blasinstrument, bei dem die Töne durch vibrierende Metallzungen erzeugt und in kleinen, orgelähnlichen Bambusröhren verstärkt werden. Wu Wei ist einer der wenigen Künstler, die dieses Instrument virtuos beherrschen, wovon unter anderem Konzerte mit den Berliner Philharmonikern und dem London Symphony Orchestra zeugen. Auch in Dorsten erleben die Zuhörer einen Musiker, dessen Techniken und Ausdrucksstärke sie begeistern.

Foto © Susanne Schulte

Mit einem Programm aus traditionellen chinesischen Stücken über europäische Kompositionen und freie Improvisationen führt Wu Wei sein Publikum durch eine Welt ungewohnter Klänge. Vor allem die chinesischen Kompositionen präsentieren eine für hiesige Ohren eher ungewohnte Klangwelt. Leichte, schwebende Klänge, hohen Orgeltönen ähnlich, gehen über in Passagen mit Flötenklängen, leichte, luftige Kaskaden klingen fast wie lockere Tanzmusik.

Dabei fehlt allen diesen Stücken ein durchgängiger Grundrhythmus, den Rhythmus bildet der Atemfluss des Musikers, wie Wu Wei verrät. In den Improvisationen wird der Klang der Sheng getragen, er lädt zu Meditationen ein und füllt den hohen Hallenraum. Bei modernen Kompositionen wie etwa der von Klaus Hinrich Stahmer wird der Zuhörer überrascht von einer Bassstimme, die als zweite Stimme einen Grundrhythmus legt. Die in diesen Passagen zu hörende Klangvielfalt ist unglaublich, und Wu Wei spielt mit vollem Körpereinsatz, um diesem eher kleinen Instrument zart schwebende Melodien oder wuchtige Fortissimo-Passagen zu entlocken. Auch wenn die Kompositionen in „normalen“ Noten fixiert sind, Wu Wei betont, die Sheng zu spielen heiße, „ständig Neues zu erfinden“. Und doch erkennt man im zweiten Teil des Abends Stücke, die etwa an Bachs Toccata erinnern, andere nehmen die Klänge romantischer Musikgemälde auf. Schnelle Triller, Vogelrufe, heftige Stakkati, dann, überraschend für ein Klappeninstrument, auch Flageoletttöne. Selbst Percussionselemente zaubert Wu Wei aus seinem Instrument – das Publikum ist begeistert und lauscht hoch konzentriert. Eine solche Klangvielfalt von nur einem Instrument hat hier kaum jemand erwartet.

Zwischen Wu Wei und dem Publikum stellt sich so etwas wie eine vertraute Atmosphäre ein, Künstler und Zuhörer treffen sich in einem musikalischen Kunstgenuss, der wirklich bemerkenswert und außergewöhnlich ist. Da sind ein überschäumender Dankesapplaus und eine spritzige Zugabe eigentlich nur noch Formsache. Wu Wei hat für dieses Festival, das noch bis zum 4. September dauert und insgesamt 46 Spielorte aufsucht, ein sehr hohes Qualitätsniveau vorgelegt.

Horst Dichanz