Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Some alt text
Foto © Karl Forster

Aktuelle Aufführungen

Lohnende Wiederbelebung

HAMLET
(Franco Faccio)

Besuch am
20. Juli 2016
(Premiere)

 

Bregenzer Festspiele,
Festspielhaus

Es beginnt gleich mit einem effektvollen, sich immer mehr steigenden Hymnus. Dann folgen ein beschwingter Walzer zum Hochzeitsfest, wunderbare Cello-Soli, später ein anrührender Trauermarsch, beeindruckende Chöre, glutvolle Zwischenspiele, emotional berührende Arien, davon eine Wahnsinnsarie. Man hört immer wieder Verdi und Puccini durch, aber durchaus auch eine eigene Tonsprache: Bis auf kleine Längen lohnt sich die Wiederentdeckung von Franco Faccios romantischer Rarität Hamlet oder Amleto, dessen Libretto von Arrigo Boito stammt, das ganz nah an Shakespeares Schauspiel angesiedelt ist, und mit der an das 400. Todesjahr Shakespeares gedacht wird. Mit Amleto werden die 71. Bregenzer Festspiele dieses Jahr eröffnet. 

Zu verdanken ist diese Wiederbelebung der Southwest Opera aus Albuquerque, New Mexico, USA, die diese 1867 in Genua mit Erfolg uraufgeführte Oper, die dann 1871 bei ihrer zweiten Inszenierung wegen des erkrankten Tenors ausgepfiffen wurde und in der Folge völlig in Vergessenheit geriet, 2014 wieder ausgrub und der Bregenzer Intendantin Elisabeth Sobotka anbot, die jetzt hier für die österreichische Erstaufführung sorgt und sich schon während ihres Studiums mit dem Werk beschäftigte.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Der zweite, hintere Vorhang, ein Abbild des vorderen, öffnet sich und im gleißenden Licht und Rauch erscheint als Schatten in einer Rüstung, die an einen Jedi-Ritter aus den Star-Wars-Filmen erinnert, der ermordete Vater von Hamlet als Geist – Don Giovanni lässt grüßen! Er fordert Hamlet mit mächtiger, verstärkter Stimme zur Rache für den Mord an ihm auf, während bald seitlich ein riesiger, schwarzer Steinblock erscheint und die Bühne dominiert: So effektvoll zeigt Olivier Tambosi nicht nur dieses Bild. Das Bühnenbild stammt von Frank Philipp Schlößmann, das ansonsten radikal ausgeräumt ist. Wobei den Regisseur bei den vielen im Stück aufgeworfenen, existenziellen Fragen, die Grundfrage Sein und Schein am meisten interessiert, weswegen er es als Spiel im Spiel inszeniert und die Welt als Bühne zeigt. Deswegen lässt er auch Hamlet vor einem beleuchteten Tischchen sich weiß mit einem roten Strich quer über das Gesicht schminken und so wie den Joker aus dem Batman-Filmen aussehen. Es ist wegen der stilisierten, bewusst überzeichneten Kostüme von Gesine Völlm eine farbenfrohe Inszenierung, gut und detailliert nacherzählt, die nur selten plakativ und  kaum langatmig wirkt, mit Symbolen wie das beobachtende Auge auf beinahe allen Kostümen. Auch den Kontrast zwischen der grüblerischen Welt des Hamlet und jener ausgelassenen, feiernden des Hofstaates wird durch ständige Bewegung hervorgehoben, unterstützt durch Drehbühne und exzessive Tänzerinnen, die von Ran Arthur Braun choreografiert wurden.

Foto © Karl Forster

Amleto wirkt umso mehr, weil das Werk so vital und spannend umgesetzt wird von den Wiener Symphonikern unter dem energiegeladenen Paolo Carignani. Spannungsvolle Steigerungen, gepaart mit feinen Lyrismen, sind aus dem Graben des Festspielhauses zu vernehmen.

Dazu kommt ein Tenor als Titelheld zum Niederknien: Denn der junge Pavel Černoch verfügt für diese mörderisch schwere Titelpartie über alle Voraussetzungen: eine mühelose, unangestrengte Höhe, eine schöne Mittelage, viel Kondition und Durchschlagskraft. Vor allem das schmerzvolle Abschiednehmen mit einem gewaltigen Ausbruch von Ofelia geht unter die Haut.

Aber auch das übrige Ensemble kann sich hören lassen: Hamlets Mutter Gertrude wird von Dshamilja Kaiser mit enormer Intensität und großem Volumen gesungen. Seinen Stiefvater, Onkel und Brudermörder Claudio singt Claudio Sgura kraftvoll, anfänglich gar etwas knorrig und mit viel Tremolo. Iulia Maria Dan singt die Ofelia, der die schönsten Arien geschenkt wurden, mit großer Zartheit und Innigkeit. Ihr Vater Polonio wird von Eduard Tsanga solide wiedergegeben. Paul Schweinester singt den Laerte ausgezeichnet mit hellem Tenor. Gianluca Buratto besticht als bedrohlicher Geist. Sébastien Soulés als Orazio und Bartosz Urbanowicz als Marcello, beide Freunde des Hamlets, singen ohne Makel. Den Prager Philharmonischen Chor, die Leitung obliegt Lukás Vasilek, hört man stimmgewaltig und homogen.

Das Publikum nimmt die Neuentdeckung mit großer Begeisterung und Jubel auf! Nur ein paar wenige Buhrufe mischen sich darunter, als der Regisseur erscheint.

Helmut Christian Mayer