Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

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Foto © Volker Beinhorn

Aktuelle Aufführungen

Im Rausch der Sinne

LA FALENA
(Antonio Smareglia)

Besuch am
7. Mai 2016
(Premiere am 15. April 2016)

 

 

Staatstheater Braunschweig

Als Fundgrube für Freunde von Opernraritäten steht momentan das Staatstheater Braunschweig im bundesdeutschen Raum wohl an der Spitze. Besonders interessant sieht die aktuelle Spielzeit aus. Jonathan Doves zeitgenössische Vertonung von Jane Austens Roman Mansfield Park war zu erleben, in Vorbereitung ist Robert Wards musikalische Umsetzung von Arthur Millers Hexenjagd aus den 1960-er Jahren, und momentan läuft der Fin-de-Siècle-Schmachtfetzen La Falena von Antonio Smareglia.

Smareglia, Jahrgang 1854, gehört zu der italienischen Komponistengeneration, die in der Nachfolge von Wagner und Verdi nach neuen Opernformen suchten. Die einen fanden sie im naturalistischen Verismo, die anderen in der Neoromantik oder im Symbolismus. Smareglia griff, wie viele seiner zeitgenössischen Kollegen, verschiedene Strömungen auf. In seinem heute bekanntesten Werk Nozze Istriani, das eine dörfliche Tragödie im heimatlichen Istrien behandelt, wandte er sich einem veristischen Sujet zu. Die 1897 uraufgeführte Oper La Falena hingegen führt in eine mythische Welt voller Abgründe: Im Traum erscheint dem König Stellio, der mit der jungfräulichen Albina verlobt ist, die verführerische Redana, ein Fabelwesen in Nachtfaltergestalt. Er taucht ab ins Reich der Sinne, tötet dabei Albinas Vater, kehrt aber dann geläutert in die Realität zurück. Albina opfert sich für seine Schuld und stirbt.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

In der Lesart von Regisseur Michael Schulz ist Falena keine Traumgestalt, sondern eine Projektion von Stellio, der seine sexuellen Wünsche nur in der Fantasie ausleben kann und sich seine verklemmte Braut als femme fatale imaginiert. Die in enge weiße Kleider eingeschnürten Chordamen verdeutlichen die unterdrückte Erotik und das gesellschaftliche Korsett, in dem alle stecken, wohingegen Falena mit ihren Gefährtinnen in sündigem Rot lockt. Verweise auf Erlösung und Verzückung im christlichen Glauben fügen dem Spiel um Obsessionen und sündigem Begehren eine weitere Dimension hinzu: wenn Stellio, einer pietà gleich, wie ein toter Jesus in den Armen von Albinas Vaters liegt und im Finale Albina als Madonna mit einem großen Herzen im Arm erscheint, das die Chorfrauen mit Pfeilen durchbohren.

Foto © Volker Beinhorn

Doch trotz manch aussagekräftiger Bilder überzeugt die Inszenierung nur bedingt. Denn das Theater der Poesie, wie Smareglia und sein Librettist Silivio Benco La Falena bezeichnen, findet weder in der Inszenierung noch in der Ausstattung von Kathrin-Susann Brose oder den Kostümen von Renée Listerdal ihre Entsprechung, sondern ist in ihrer kühlen Sachlichkeit ein Gegenpol zur auflodernden Musik. Weder der nüchterne, sakrale Raum des ersten und dritten Aktes noch das in rotes Licht getauchte Spiegelkabinett des zweiten, tragen zu einer poetischen Atmosphäre bei. Dazu bleiben die Sänger in der vorwiegend statuarischen Personenführung sich selbst überlassen. Mehr noch: die Liebesverrenkungen und -posen, die die drei Hauptpersonen ständig zu zweit oder dritt vorführen müssen, wirken auf die Dauer peinlich und lächerlich.

Was die Inszenierung an Emotionen verweigert, das hört man umso prächtiger aus dem Orchestergraben. Die Seelenstimmungen, die Smareglia in illustrativen Instrumentalfarben ausmalt, bringt das Staatsorchester Braunschweig unter der animierenden Leitung von Florian Ludwig leidenschaftlich zum Klingen, schon das Präludium vibriert vor fieberhafter Spannung.

Nadja Stefanoff ist eine Falena mit sinnlichem, großformatigem und höhenstarkem Mezzosopran. Neben ihr will sich Ekaterina Kudryavtsevas zarter Sopran nicht so recht entfalten, zudem wirkt sie darstellerisch als Albina gehemmt. Arthur Shens robuster Tenor schlägt sich in der anstrengenden Partie des Stellio wacker, ist aber wenig modulationsfähig. Orhan Yildiz als Vater Uberto bekräftigt mit seinem noblen Bariton, warum er für die kommende Spielzeit an die Wiener Staatsoper verpflichtet ist. Der sonst so spielfreudige, diesmal eher oratorisch beschäftigte Braunschweiger Chor ist musikalisch wie gewohnt präsent.

Starker Applaus nach der nur mäßig besuchten dritten Aufführung. Den Einschränkungen zum Trotz ist die Aufführung jedem Opernfreund zu empfehlen. Denn in nächster Zeit wird man La Falena wohl sonst nicht wieder szenisch erleben können.

Karin Coper