Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Some alt text
Alle Fotos © Thilo Beu

Aktuelle Aufführungen

Noblesse und Nonsens

COSÌ FAN TUTTE
(Wolfgang Amadeus Mozart)

Besuch am
6. Dezember 2015
(Premiere)

 

 

Theater Bonn

Düsseldorf, Deutsche Oper am Rhein, 2011. Regisseur Nicolas Brieger bringt seine Sicht auf die letzte Mozart-Buffa in einem von ihm selbst entworfenen Bühnenbild zur Diskussion. Es gibt ein Spielpodest mit einem transparenten Rückwandkonstrukt, auf dem die Akteure dieses dramma giocoso wie in einem Glashaus agieren. Wände, Türen und Fenster sind out.

Oper Bonn, vier Jahre später. Dieter Richter hat für Dietrich W. Hilsdorfs Inszenierung von Così fan tutte quasi einen naturalistischen Gegenentwurf gebaut. Sein Bühnenbild vermittelt die akribisch bis ins Detail nachempfundene Vorstellung einer Suite eines Fünf-Sterne-Hotels um 1790 zu Neapel. Mittels eines Steges ragt sie über den Orchestergraben hinweg in das Parkett hinein. Vornehm anmutende Fenster reichen vom Boden bis fast zur Decke. An Stuckfresken ist nicht gespart. Ein beweglicher Lüster verbreitet eine Aura von Rokoko. Türen dürfen sein, zwei Zimmer- und eine Schranktür, die je nach emotionaler Verfassung der erotisch oder mefistofelisch getriebenen Personen mit Verve oder auch ganz piano aufgemacht oder zugeschlagen werden. Damit ist von Beginn an die Richtung vorgegeben: Theater aus dem Vollen darf sein, Komödie gar, das Leichte zwischen Himmel und Hölle, was, sofern es gelingt, so sehr sein Publikum bannt wie kein zweites Genre.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Das Haus am Boeselagerhof hat mit Hilsdorf eigentlich immer ein glückliches Händchen erlebt. Man denke nur an seine Inszenierung von Giuseppe Verdis Aida vom Februar 2014, in der er die statische antike Vorlage in lebendiges Stadttheater verwandelte und als kulturpolitisches Fanal aufbereitete. Fast ein Vierteljahrhundert ist seit seinem Mozart-Zyklus für das Musiktheater im Revier vergangen. Eine aktuellere Auseinandersetzung mit dem letzten Libretto, das Lorenzo da Ponte in einem kongenialen Schöpfungsprozess für und mit seinen favorisierten Komponisten schrieb, ist in Hilsdorfs Regieverzeichnis nicht registriert. Die Bonner Besetzung und Intendant Bernhard Helmich, verrät er, hätten ihn überzeugt, das Stück ungeachtet seiner immensen Tücken noch einmal anzugehen. Der zeitliche Abstand scheint der Sache gut zu bekommen. Mag Don Alfonso, der Zyniker und Drahtzieher dieser Farce, die Spielfiguren auf seinem Schachbrett der Seelenlosigkeit mehr oder weniger offen verachten – Hilsdorf nimmt sie, vor allem die Frauen, ob nun di mezzo carattere – Martin Geck – wie die beiden vornehmen Neapolitanerinnen oder Despina, die so schlichte wie umwerfende Figur aus der Commedia dell’arte, ernst und mit allen Mitteln des Theaters an. Eine Liebeserklärung ganz eigener Art.

Foto © Thilo Beu

Mozarts Furiosum um eine Wette, genauer: die Verführbarkeit „der“ Frauen und die Skrupellosigkeit „der“ Männer,  repräsentiert eine Aufführungs- und Rezeptionsgeschichte seit der Uraufführung 1790 zu Wien, die von diversen Missdeutungen und Missverständnissen wie überwuchert erscheint. Erst als Richard Strauss sich 1910 öffentlich für das Werk einsetzt und ihm einen „Ehrenplatz im Repertoire aller deutschen Bühnen“ wünscht, erlebt es eine wachsende Akzeptanz bei Mozart-Regisseuren vom Kaliber eines Jean-Pierre Ponnelle, Michael Hampe oder Götz Friedrich, der 1958, notabene in Weimar, sein Regiedebüt mit Così fan tutte abliefert, womöglich gegen Widerstände der damaligen DDR-Kulturpolitik.
Über ein Jahrhundert nach der Rehabilitation dieser Komischen Oper eigenen Stils durch Strauss muss die aus dem Zeitgeist zu interpretierende Denaturierung der Liebe zum Gesellschaftsspiel nicht länger gegen moralisierende Einwände in Schutz genommen werden. Wer so denkt, der müsste sich auch beispielsweise gegen die Inszenierung des Stückes Gefährliche Liebschaften von Christopher Hampton nach Pierre-Ambroise-François Choderlos de Laclos wenden, die derzeit am Münchner Residenztheater zu sehen ist. In Schutz nimmt Hilsdorf hingegen mit großem Gespür für gutes Theater, für Slapstick und vielerlei Anleihen bei der Commedia dell’arte seine von Kostümbildnerin Renate Schmitzer prächtig ausstaffierten Figuren gegen mögliche Vereinnahmung durch die falsche Seite. Der Witz, den er speziell dem Kammermädchen Despina angedeihen lässt, wenn es heimlich Trauben nascht oder Wein aus der Blumenvase schlürft, ist menschlich. Da wird niemand niedergemacht, und selbst Don Alfonso entgeht im Versöhnung stiftenden Finale zwei der eigentlich fälligen Ausgrenzung.

Das dramma giocoso kommt auch bei Hilsdorf nicht um die teils heiklen, teils albernen Sottisen herum, die sich da Ponte zur Zeichnung der von ihm selbst geschaffenen Figuren hat einfallen lassen. Doch wird dank Mozarts ausgereifter Komposition dem Sextett der Handelnden nie die Würde genommen. Die Noblesse der Partitur, das wird in der Bonner Aufführung überdeutlich und sinnlich bewusst, schlägt den Nonsens des Librettos um Längen. Da können die Schikanen und Volten der Liebhaber noch so albern und mögen Despinas hingeplauderte Weisheiten noch so banal sein, da mag sich der Regie-Gag mit der eingeschleusten Figur der Constanza, donna delle pulizie – Volker Hoeschel – einem Vorläufer des heutigen Helplings, noch so rasch abnutzen – Mozarts bestrickende Musik adelt alles, selbst den verdorbensten Charakter. Exemplarisch hierfür das berückende Terzettino Soave sia il vento der jungen Frauen zusammen mit Don Alfonso – aus dessen Perspektive selbstredend Ironie pur.

Dem Mozart-Forscher Alfred Einstein dünkt das Werk „wie eine herrliche Seifenblase“, bereichert noch um „die Farbe der reinen Schönheit“. Aus einem solchen Blickwinkel heraus scheint auch Hendrik Vestmann mit dem Beethoven-Orchester Bonn in der von Mozart vorgegebenen, auf das Kammermusikalische des Stücks ausgerichteten Original-Besetzung die Partitur zum Glühen bringen zu wollen. Da gibt es Schwung und Glanz zu bestaunen, Empathie im Dirigat mit den Sängerdarstellern, zumal in den Ensembles, und mancherlei Raffinesse zu entdecken. Als der Strippenzieher Alfonso sein Bubenstück angerichtet weiß und sich ganz dicht vorn beim Publikum siegesgewiss auf dem Steg räkeln darf, lässt Vestmann das Orchester die Instrumente gleichsam auf diese neue Spielanordnung einstimmen, was wie ein Umstimmen klingt. Und Christopher Sprenger darf immer mal wieder Zitate aus weiteren Mozart-Opern unter seine Begleitung der Rezitative auf dem Hammerklavier einstreuen. Das macht dem Publikum Spaß und vieles wett, so auch den Umstand, dass Hilsdorf und Vestmann sich den Chor schenken, der ohnehin im Original nur spärliche Auftritte hat, und der Despina den Part des Notars streichen.

In einer so auf musikalische Euphorie gestimmten Atmosphäre können die Sängerdarsteller eigentlich nur noch eines: gewinnen. Und eben das tun sie durchweg. Sopran und Tenor werden vor Beginn von Helmich als indisponiert angesagt. Davon ist aber schlussendlich in beiden Fällen nichts zu spüren. Ganz im Gegenteil. Sumi Hwang als Fiordiligi singt und spielt die Vorzüge ihrer doch wohl eher koketten Rolle mit Bravour und Beseeltheit aus. Ihre tadellose Sopranstimme lässt sowohl die Höllenarie Come scoglio als auch das mörderische Rondo Per pietà, ben mio, perdona mit den disruptiven Höhen und Tiefen zu Vokalereignissen avancieren, die schier nicht enden wollen. Schon früh applaudiert das Publikum da, bei Come scoglio auch zu früh. Vestmann setzt hier wie mehrfach in seiner Interpretation auf die künstlerische Wucht der Pause, zelebriert sie gerade zu. Tamás Tarjányi als Ferrando steht und singt der Hwang in nichts nach. Der Tenor verbreitet nicht nur in Un‘ aura amorosa vokalen Schmelz und ein schönes Mozart-Timbre. Er verzaubert schlicht.

Die jeweiligen Pendants – der Bariton Giorgos Kanaris als Guglielmo und die Mezzosopranistin Kathrin Leidig als Dorabella – agieren ebenbürtig. Kanaris und die Leidig jeweils auf ihre Weise etwas robuster, doch mit hoher Affinität zu den Kantilenen ihrer Partien und Auftritte. Susanne Blattert ist mit ihrem lyrisch akzentuierten Mezzosopran und ihrer Spielfreude eine begeisternde Despina. E amore un ladroncello, un serpentello – die Liebe besingt sie als kleinen Dieb und listige Schlange, und exakt so sanguin bewegt sie sich auch auf der Bühne. Priit Volmer schließlich gibt den Don Alfonso mit gut austarierter Bassstimme und diesen intriganten Zyniker glaubwürdig, ungeachtet seiner Jugendlichkeit. Beste Voraussetzungen unter dem Strich, die Ensemblenummern und vor allem das Finale eins in Kleinode der Kunst zu verwandeln.

Das Publikum hat sich früh entschieden, diese Produktion in sein Herz zu schließen, was sich im fast zehn Minuten umfassenden Jubel ganz am Ende manifestiert, bei dem die meisten Besucher sich von ihren Sitzen erhoben haben. Was besingt noch mal Ferrando? Un‘ aura amorosa? Genau, und damit ist dann auch alles über Bonns starken Newcomer im aktuellen Spielplan gesagt.

Ralf Siepmann