Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

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Alle Fotos © Thilo Beu

Aktuelle Aufführungen

Turbo-Karnevaleske im Songcontest-Milieu

BENVENUTO CELLINI
(Hector Berlioz)

Besuch am
1. November 2015
(Premiere)

 

 

Theater Bonn

 

Schon kurios diese programmatische Quasi-Dopplung in den Spielplänen der Opernhäuser Köln und Bonn. Die Kölner starten ihre von Handicaps geprägte neue Spielzeit mit dem wahrlich nicht zum Standardrepertoire zählenden Berlioz-Erstling Mitte November im Staatenhaus, der Übergangsspielstätte. Während der neue Musikchef François-Xavier Roth mit Benvenuto Cellini dort sein Debüt gibt, verabschiedet sich sein Bonner Pendant, der seit 2008 am Rheinufer wirkende GMD Stefan Blunier, mit dem nämlichen Stück zwei Wochen früher von seinem Opernpublikum in der Bundesstadt. Hier ist es die Adaption einer Produktion des Staatstheaters Nürnberg. Der gebürtige Berner, im Rückblick eher inspirierende musikalische Instanz im Konzertsaal denn im Opernhaus, hat im Vorfeld der Premiere versucht, der Besorgnis um eine potenzielle Redundanz die Spitze zu nehmen. Eine mögliche Dopplung, so Blunier in einem Interview, sei „ohnehin nicht so schlimm“. Es gebe ja drei Fassungen, die sich sehr stark voneinander unterschieden. „Die Kölner spielen vorwiegend die erste Pariser Fassung und wir vorwiegend die spätere Weimarer.“

Diese die Urgewalt der frühen Fassung disziplinierende Version hat jedenfalls ihre Bewährungsprobe am Rhein überstanden. Das Bonner Premierenpublikum bejubelt ein famoses Stück Theater, das – wenige Tage vor Beginn der neuen Session – viel mit dem Karneval, eine ganze Menge mit dem Turbo-Zeitgeist von heute und noch mehr mit dem antiautoritären Klamauk von gestern zu tun hat. Wie viel die phasenweise schon originäre Instrumental- und Klangwelt von Berlioz selbst dabei eine Rolle spielt, mag dabei offenbleiben. So lautstark und emphatisch haben die Bonner ihrer unter Druck geratenen Oper schon lange nicht mehr den Rücken gestärkt. Ein gutes Zeichen, Ein besseres noch: Der neue Oberbürgermeister der Stadt, Ashok Sridharan, gerade einmal zwei Wochen im Amt, wird unter den Premierengästen gesichtet. Sein Vorgänger mied das Haus am Boeselagerhof über lange Zeit, redete die Oper bekanntlich eher schlecht als sich mit ihrer Leistungsfähigkeit vertraut zu machen.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Der Verweis auf die unterschiedlichen Fassungen illustriert wie im Brennglas die problematische Früh- und Rezeptionsgeschichte, die das Werk und seinen Komponisten, bei der erfolglosen Pariser Uraufführung 1838 gerade 34 Jahre alt, umwittern. Die französische Metropole ist damals das Zentrum der europäischen Oper. Und die Opéra comique im gleichnamigen Genre ihr Olymp. Doch der Intendant des Hauses lehnt den Zweiakter über einen der bedeutendsten Künstler der Renaissance auf ein Libretto von Leon de Wailly und Henri Auguste Barbier ab. Er wolle nicht, ist überliefert, „die Musik eines Verrückten in seinem Hause spielen lassen“. So kommt das Werk einige Monate später in der Grand Opéra heraus, erlebt aber ein komplettes Desaster. Während nur wenige wie Paganini, der die Katastrophe persönlich erlebt, das aufblühende Genie des Neuerers unter den Orchesterinstrumentalisten erkennen, bleibt der künstlerische Rückhalt für Berlioz aus. Die fehlende Anerkennung und zahlreiche Rückschläge, auch Folge eines aufwändigen Lebenswandels, wachsen sich zu einer existenziellen Krise aus. Gerade fünf Jahre nach seiner programmatischen Symphonie fantastique scheint seine Karriere bereits wieder beendet. Erst Franz Liszt schafft es, den Verzweifelten zu einem neuen Anlauf zu bewegen und die Oper 1852 in Weimar in veränderter Form wieder auf die Bühne zu bringen. Der Weg zu den Großtaten Die Trojaner und La Damnation de Faust ist geebnet, Berlioz‘ nachhaltiger Einfluss vor allem auf Richard Wagner gesichert. So schließen sich Kreise, der von Liszt und Bonn einmal mehr.

Der Regisseur Hans Neuenfels, enfant terrible der Kunstszene wie Benvenuto Cellini im 16. Jahrhundert, hat in den 1980-er Jahren in der Frankfurter Oper Aida als inszenierte Publikumsbeschimpfung auf die Bühne gebracht. Wer womöglich damals Verdis Meisterwerk erstmals als Zuschauer erlebt hat, mag eine gewisse Vorstellung vom Konflikt des Radames zwischen Rivalinnen und unterschiedlichen Kulturen gewonnen haben. Ob er überhaupt und in wieweit er eine Ahnung von der tatsächlichen Verdi-Aida erleben durfte, müssten Beteiligte darlegen. Die Parallele zur Inszenierung, die Laura Scozzi, Regie und Choreographie, Jean Jacques Delmotte, Kostüme, und die für die Bühne verantwortlich zeichnende Barbara de Limburg nach Nürnberg nun in Bonn herausbringen, bietet sich geradezu an. Berlioz reizt – ähnlich wie Paul Hindemith die Figur des Cardillac – das alle Maßen sprengende Künstlerdrama. So müssen sich einfach Biographie und Werk Cellinis in den Augen eines jungen Wilden darstellen, der sich selbst als radikaler Künstler begreift. Gewaltig der Anspruch, vielfältig seine Fähigkeiten, aus den höchsten Kreisen seine Auftraggeber zu Rom, Florenz und Paris, darunter Herzöge, Könige und Päpste wie Clemens VII, der zum Personal der Oper zählt, hier allerdings eine vernichtende Denaturalisierung erfährt. Ein Superstar der Kunstszene, wie man heute sagen würde. Und ein toller Plot. Geht doch der Bildhauer und Goldschmied über Leichen, um die Gunst des Papstes und Teresas, der Tochter seines Widersachers zu erringen.

Foto © Thilo Beu

Scozzi misstraut freilich jeglicher historisierenden Annäherung. Sie setzt, aus dem Metier des Tanzes stammend, auf eine weitgehend choreografierte Umsetzung, die der Ernsthaftigkeit des Künstlers jeglichen Ernst nimmt, womöglich auch seine Authentizität. Dabei bleibt kein Stilmittel ausgespart, weder der Slapstick, noch die Pantomime, weder der Rap, hier präsentiert in einem Songcontest-Milieu des Privatfernsehens, noch der Ländler, eine Idylle vorgaukelnd, die ohnehin schon längst Utopie ist. In dieser Art von Aneignung ist nichts mehr respekterheischend, vielmehr alles beliebig und möglich, selbst der Grobschnitt des herkömmlichen Volkstheaters. Das scheint gleich zu Beginn auf, als in der Inszenierung Scozzis Cellini seinen Rivalen Fieramosca mir nichts, dir nichts in einen Bauernschrank sperrt und zum Rachegesang des Geprellten ein kurioses Fliegenpatschen-Tänzchen zur Aufführung gelangt. Im Übrigen kennt diese Inszenierung bei wenigen von der Partitur verlangten Ausnahmen kein Verweilen und keine Stille. Im Stil des Turbokapitalismus eilt das Personal über die Bühne, hetzen die Akteure ohne Unterlass durch die Szenerie, wälzen sie sich am Boden und über allerlei Möbel hinweg. Wie weiland bei der Frankfurter Aida – was von Benvenuto Cellini sieht man denn nun in Bonn? Was von der Kunst-Ikone des 16. Jahrhunderts? Was von der Opéra comique des Hector Berlioz? Ein Missverständnis unter dem Strich, das Genre mit dem gleichsetzend, was uns Heutigen Comedy-Größen und -Formate liefern?

Ist also nicht klar, was es zu sehen gibt, so ist zum Glück absolut unzweifelhaft, was es zu hören gibt. Denn das ist, im Beethoven-Orchester Bonn (BOB), wie bei dem Sängerensemble und dem stark geforderten Chor des Bonner Theaters eine Menge. Wie spielt ein Orchester, das eben noch Wagners Der fliegende Holländer durchtost hat, diesen Berlioz, zu dem wenige Aufführungen und Referenzaufnahmen existieren? Einen Berlioz, der seinen souverän positionierten Orchesterapparat die ganze Palette auskosten lässt, von der innigsten romantischen Sublimierung bis hin zur expressiven Bombastik? Blunier versteht es, mit dem BOB das Grobe, Rohe dieser Komposition ebenso zur plastischen Geltung zu bringen wie das Elegische, das Poetische. Schmetternd, fordernd, schon in der sinfonisch geprägten Ouvertüre das Blech, eigentümliche Düsternis erzeugend die vier Fagotte, die hier verlangt werden, seelische Räume schaffend das Cello im dritten Akt, als es die ergreifende Air des Cellini Sur les monts les plus sauvages umspielt, nein: umschmeichelt. In diesem Tableau wie im anschließenden Chor Bienheureux les matelots ist übrigens der originäre Stil des Komponisten schon ganz nah. Bis zu La Damnation de Faust wird zwar noch rund ein Jahrzehnt vergehen. In der Arie des Protagonisten ist aber der spezifische Berlioz-Sound schon vorweggenommen.

Mirko Roschkowski imponiert nicht nur mit dieser Air. Sein kraftvoller wie höhensicherer Tenor trifft den Charakter des Cellini fulminant. Unter den Männer-Darstellern überzeugen Martin Tzonev als Giacomo Balducci und Rolf Broman als Papst Clemens VII. spielerisch wie sängerisch. Csaba Szegedi gibt den Fieramosca engagiert, hat aber weniger Gelegenheit, sich zu exponieren. Bei Anna Princeva in der Rolle der Balducci-Tochter Teresa verhält es sich genau umgekehrt. Die Partie ist als eine Art Paris-Hilton-Verschnitt angelegt, verlangt Zickigkeit en masse und jede Menge Albernheit. Zum Glück hat ihr Berlioz zwei, drei Auftritte in die Partitur geschrieben, die die Princeva als ernsthafte Interpretin ausweisen, deren Sopran alle Klippen zwischen dramatischen und lyrischen Momenten beherrscht. Ihre Arie Entre l’amour et le devoir im ersten Bild ist hierfür ein wunderbarer Beweis, den das Publikum schon früh mit Beifall quittiert. In den weiteren Rollen sind Johannes Mertes als Pompeo und insbesondere Marta Wryk in der Hosenrolle des Ascanio eine adäquate Besetzung.

Das Publikum bedenkt im anhaltenden Schlussbeifall den von Marco Medved einstudierten Chor sowie das Tanzensemble erkennbar mit besonderem Jubel. Völlig zu Recht. Was von diesen Akteuren geleistet wird, ist von hoher professioneller Qualität. Dieser Eindruck wird wohl bleiben, wenn die Frivolität einer Inszenierung vergessen sein wird, die nach Akzeptanz im Mainstream giert. Und wohl auch das Spielplan-Geschenk, mit dem sich Blunier vor der Kunst der Oper verneigt. Vielleicht auch ein bisschen vor den Fähigkeiten von Musiktheatern in Mittelzentren wie Nürnberg und Bonn.

Ralf Siepmann