Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

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Foto © JU/Ruhrtriennale

Aktuelle Aufführungen

Des Himmels Donnerschlag

ALCESTE
(Christoph Willibald Gluck)

Besuch am
12. August 2016
(Premiere)

 

 

Ruhrtriennale, Jahrhunderthalle Bochum

Mit einer schnörkellosen, überzeugenden Inszenierung eröffnet Johan Simons die diesjährige Ruhrtriennale, nutzt geschickt die Raummöglichkeiten der alten Industriehalle in Bochum und lässt der melancholisch-romantischen Musik Christoph Willibald Glucks breiten Raum.

Auch wenn der dramatische Höhepunkt der späten Barockoper Alceste für heutige Maßstäbe eher historisch, um nicht zu sagen überholt erscheint, behält die fast drei Stunden dauernde Aufführung ihre Spannung. Vielleicht ist dieser moralisch-gordische Knoten der Grund dafür, dass die musikalisch so wunderschöne, leicht melancholisch temperierte Oper so selten auf den Spielplänen zu finden ist. Da erklärt sich die gar nicht gefragte Gattin des todkranken Königs Admeto aus tiefer Liebe bereit, ihr Leben für das des Gatten zu opfern – und er empfindet ausgerechnet dieses größtmögliche Opfer als Verrat und verflucht sie. Es sind die griechischen Götter, die dieses moralische Paradoxon eingerührt haben und König Admeto nur dann eine Heilungschance geben, wenn jemand anderes statt seiner in den Tod geht. Heilung durch das Liebesopfer eines Lebendigen – versteh‘ einer die Götter. Wenn schon die Götter durchdrehen – was soll man da von den Menschen erwarten, erst recht von solchen, denen die heiße Liebe den Kopf verwirrt.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Aber das zu ergründen, ist weder Glucks noch Simons Ziel, ihnen liegt vor allem daran, Gefühle zu präsentieren, zu zeigen und hören zu lassen, wie die Figuren der überschaubaren Handlung von ihren Gefühlen hin und her gerissen und schließlich zerrissen werden. Das geht auch ohne große Bühnendekoration. Die Kostüme erinnern entfernt an antik-griechische Gewänder. Die Umwelt, den Alltag symbolisieren weiße Plastikstühle als leicht bewegliches Wegwerfmaterial. Eine wichtige Rolle spielt der offene, große Raum der Halle, in dem sich die Figuren relativ frei und scheinbar wenig choreografiert bewegen, das gibt dem Spiel und den Figuren eine angenehme Leichtigkeit. Die Mitglieder des Chores Music Aeterna der Staatsoper Perm aus Meiningen tragen mit ihren Blumenkrönchen, lockerer Kleidung und legerem Auftreten dazu bei, das Bühnenspiel leicht zu halten, obwohl ihr musikalischer Auftritt prägnant, sicher und durchaus wuchtig sein kann. Mit seinen Bewegungen im Bühnenraum und seinem kräftigen musikalischen Auftritt trägt der Chor wesentlich zum Gesamteindruck der Aufführung bei.

Foto © JU/Ruhrtriennale

Doch auch die Solisten geben einen erfreulich geschlossenen und musikalisch wirkungsvollen Eindruck. Schon zu Beginn der Auftritt des Heroldes und Oberpriesters des Apollon, eindrucksvoll gespielt von Georg Nigl, wirkt bei aller Lockerheit des Spiels überraschend prägnant. In schönen Variationen bringt seine Baritonstimme zarte, sehr emotionale Melodien wie raubeinig beherrschende Phrasen. Mit einem strahlenden, dramatisch sensiblen Sopran gibt Birgitte Christensen die Königin Alceste, deren emotionale Verwirrung sie authentisch darstellt. In den kleineren Partien der Ismene und des Evandro überzeugen Kristina Hammarström, Mezzosopran, und Tenor Anicio Zorzi Giusriani mit viel musikalischem Ausdruck und berührendem Spiel. Thomas Walker als spät auftretender König Admeto spielt sich mit sicherem, dramatischem Tenor schnell in die Szene ein.

Unter der Leitung von René Jacobs gelingt dem B´Rock Orchestra aus Gent ein differenziertes gefühlvolles Spiel, das die melodischen Seiten der Musik Glucks betont herausspielt. Dabei gelingen die breiten melancholischen Passagen ebenso wie fröhliche Tanzweisen bei Hofe.

Bei den Aufführungen der Ruhrtriennale gehört der Charakter der Aufführungsorte zum Inszenierungskonzept hinzu. Es ist erstaunlich, wie intensiv und selbstverständlich Simons den großen Raum dieser 1902 errichteten Industriehalle nutzt. Scheinbar kaum geführt, bewegen sich Solisten und Chor auf der Spielfläche, die direkt an die Zuschauertribünen grenzt. Vorhänge und Abgrenzungen braucht diese Inszenierung nicht. Und obwohl Darsteller und Chor fast ständig in Bewegung sind und recht große Entfernungen überwinden, bleibt die Aufführung angenehm ruhig, wirkt bei aller Dramatik in keinem Moment hektisch. Das gilt auch für die Musik, die das B´Rock Orchestra in mäßigem Tempo und mit viel Ausdruck präsentiert. Jacobs passt sich einem verhaltenen Tempo an und lässt sich und den Solisten bei Pausen und Übergängen angenehm viel Zeit.

In seiner Inszenierung eines Stoffes aus der griechischen Mythologie konzentriert Simons die Handlung auf ihren dramatischen Kern. Ausgerechnet im größtmöglichen Opfer der Alceste, ihr Leben für seine Rettung zu geben, sieht König Admeto einen Liebesverrat, doch Alceste verzichtet in eigener Konsequenz auf ihr Leben – frei zum Tode. Das rührt sogar den Götterhimmel, und Apollon kann den beiden Liebenden doch „ein besseres Schicksal“ verkünden.

Simons verzichtet weitgehend auf inszenatorische Eingriffe, lässt den Solisten viel Raum für ihre Darstellung einer verworrenen Gefühlswelt und vertraut auf die ergreifende Wirkung einer Musik, die mehr Beachtung verdient. Das Premierenpublikum ist begeistert. Langanhaltender Beifall, Jubelrufe und gelegentliches Fußtrampeln gelten allen Mitwirkenden, denen trotz einer wenig eingängigen Thematik ein eindrucksvoller Bühnenabend gelingt.   

Horst Dichanz