Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

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Foto © Iko Freese

Aktuelle Aufführungen

Theaterblut ausverkauft

DER VAMPYR
(Heinrich Marschner)

Besuch am
20. März 2016
(Premiere)

 

 

Komische Oper Berlin

Die Komische Oper Berlin bringt mit Marschners 1828 mit großem Erfolg uraufgeführter Oper Der Vampyr ein in der Theorie und Musikgeschichte vielfach zitiertes Werk der deutschen Schauerromantik heraus, das eine Reihe von Anklängen an das große Vorbild Marschners, nämlich Carl Maria von Webers Freischütz, enthält und andererseits bereits auf musikalische Elemente von Richard Wagners Fliegenden Holländer verweist.

Aufgeführt wird es allerdings fast nie, und das mit gutem Grund. Denn die Musik ist zwar farbenfroh genug, um als Unterlage für die hier in einem wilden Ritt inszenierte und überdies heftig durcheinander geschüttelte Kurzfassung von nur rund 90 Minuten zu dienen und dabei einen unterhaltsamen und in seiner Ironie immer wieder zum Lachen reizenden Theaterabend zu bieten, aber eine eigenständige, charaktervolle Oper kann man nicht erleben. Dazu ist die Musik zu schwach. Erst recht zeigen die oft genannten Bezugswerke Freischütz wie auch des Nachfolgers Wagner mit seinem Holländer wie ungleich unbedeutender der Komponist Marschner mit seinem Vampyr positioniert ist. Da helfen auch die vorsichtigen musikalischen Ergänzungen von Johannes Hofmann nicht allzu viel weiter. Seine umsichtigen Toncluster und überraschenden Brechungen des musikalischen Flusses steigern allerdings den suspense-Charakter der Inszenierung und schicken den Hörer für kurze Momente in unerwartete Hörerfahrungen.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Neben der musikalischen Seite bringt die Produktion viele Andeutungen,  Bezüge und Interpretationen der psychologischen  Komponenten der Grusel-Handlung wie verdrängte mörderische und sexuelle Liebesfantasien, die Zerrissenheit insbesondere der Hauptfigur, die auch charakterliche Komponenten eines Mephisto, Faust oder des Leidens eines Wagnerschen Holländers beinhaltet.

Foto © Iko Freese

In der aktuellen Inszenierung von Antú Romero Nunes kommt auch dem Chor eine besondere Rolle zu: Er geistert wie eine Herde von Untoten über die Bühne, die durchaus wie Verdammte und entwurzelte Flüchtlinge aus einem ganz anderen Schicksal wirken. Da hinkt, krabbelt, sabbert, lechzt und grimassiert der wohl aktivste und spielfreudigste Chor auf einer deutschen Opernbühne mit luzider Spielfreude über die Bühne und gibt dem Affen Zucker. Wie ganz nebenbei ist er von David Cavelius auch hervorragend vorbereitet und wird allen musikalischen Anforderungen aus Beste gerecht. ^

Reichlich spritzt das Blut. Gleich zu Beginn wird eine Frau aus der ersten Reihe des Zuschauerraums auf die Bühne gerissen, skalpiert sowie nach allen Regeln der Kunst ausgeweidet. Wer in den vorderen Reihen sitzt, hat ohnehin viele Chancen, Blutspritzer, Spinnen oder anderes Getier oder auch ausfallende Zähne der Gemarterten ganz hautnah auf dem Schoß oder sonst wo erleben zu dürfen.

So schafft es schließlich das Regieteam, in dem Matthias Koch für das Bühnenbild, Annabelle Witz für die Kostüme im Gruselbarock und Diego Leetz für das Licht verantwortlich zeichnen, mit vielen Effekten die Wirkung von romantischen Spuktheater immerhin mit seinen Kernelementen in die heutige Zeit zu retten. Geschwindigkeit, Rhythmus, schlagfertige Einfälle und Überraschungen sind so perfekt gesetzt, dass tatsächlich die Balance von suspense und krachender Ironie einen außerordentlich unterhaltsamen Theaterabend ergeben, an dem man sich keine Minute langweilt.

Ein Opernerlebnis war es dennoch nicht, denn dafür wäre denn immer noch gute Musik erforderlich.

Dem Team der Sänger, das in dieser Kurzfassung auf sechs Charaktere verschmolzen wurde, ist das nicht anzulasten: Heiko Trinsinger als Vampyr Lord Ruthven fast immer auf der Bühne und stimmlich und darstellerisch durchgehend gefordert, arbeitet sich kraft- und wirkungsvoll mit eindrucksvoller Präsenz durch die Aufführung. Nicole Chevalier steht ihm als Malwina in ihrer bewährten, schauspielerisch sich verausgabender Geste in keiner Weise nach. Auch stimmlich vermag sie die nicht anspruchslosen Teile ihres Parts überzeugend zu meistern. Das gilt ebenso für Jens Larsen als ihren Vater Lord von Davenaut sowie ihren Freund Edgar Aubry, dargestellt von Zoltán Nyári, der seine Zwangslage, entweder seine Freundin verraten und damit verlieren zu müssen oder andererseits den Vampyr zu verraten und selbst einer zu werden, mit überzeugender Spielfreude und kluger Stimmführung über die Rampe bringt. Die runde Ensembleleistung wird überzeugend abgerundet mit Maria Fiselier als Emma und Ivan Turšić als George Dibdin.

Das Orchester der Komischen Oper spielt nicht nur kraftvoll, zügig und beherzt, sondern darf die Geräuschkulisse mit Geräuschen ergänzen. Der Dirigent Antony Hermus wird vom Messerwurf des Vampyrs getroffen, kann aber die Aufführung beherzt über den Rand des Orchestergrabens hängend mit blutrotem Hemd weiter dirigieren. Der Orchesterleistung tut das keinen Abbruch.

Viel Gelächter während der Aufführung. Den Gesichtern war während der Aufführung Spannung und Amüsement gleichermaßen in munterem Wechsel zu entnehmen. Applaus und Bravorufe für Solisten und Chor, das Orchester und ohne Einschränkung auch für das gesamte Regieteam.

Als gelungene Gruselshow mit musikalischer Einlage ist der Abend durchaus zu empfehlen. Das Theaterblut ist jetzt deutschlandweit ausverkauft. Am meisten können die Besucher in der ersten Reihe erleben – nur Mut.

Achim Dombrowski