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Kulturmagazin mit Charakter

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Alle Fotos © Stefan Gloede

Aktuelle Aufführungen

Familienzwist bei Adam und Eva

CAIN OVERO IL PRIMO OMICIDIO
(Alessandro Scarlatti)

Besuch am
21. November 2015
(Premiere am 20. November 2015)

 

Hans-Otto-Theater,
Friedenskirche Potsdam

Die Potsdamer Winteroper, koproduziert vom Hans-Otto-Theater und der Kammerakademie Potsdam, überprüft in der Friedenskirche Sanssouci nunmehr zum dritten Mal ein Oratorium auf seine szenische Tauglichkeit. Die Wahl fällt dieses Jahr auf eine Rarität, das 1607 in Venedig uraufgeführte geistliche Musikdrama Cain overo il primo omicidio von Alessandro Scarlatti.

Es erzählt die biblische Episode von Kain und Abel schnörkellos, allerdings mit einem nach dem Brudermord unvermittelt heiteren Ende. Adam und Eva nämlich bitten im Finalduett Gott um weitere Nachkommen. Dieser tritt als Mahner und Tröster tatsächlich persönlich auf wie auch Luzifer. Das Oratorium mit dem passenden Untertitel „Geistliche musikalische Unterhaltung für sechs Stimmen“ stellt sich in der Tat als ausgesprochen kurzweilig heraus. Zum einem durch die individuelle musikalische Charakterisierung der Figuren, die einher geht mit einer farbenreichen Instrumentation. Zum anderen durch die vielfach ironisch gebrochene Inszenierung von Andrea Moses.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Sie beginnt mit normalem Familienärger. Die Brüder streiten sich, die Eltern versuchen zu schlichten. Wie sich der Zwist allmählich zuspitzt und im Brudermord gipfelt, verdeutlicht die Regisseurin durch eine ausgefeilte Personenführung, die sich in fein abgestimmten Blicken, Interaktionen und Gesten äußert. Spektakuläre Auftritte von Gott und Teufel runden die gelungene szenische Umsetzung ab. Ausstatter Matthias Müller vertraut zu Recht der Aura des Kirchenraums und nutzt Altar, Mittelgang, Seitenränge und Chorempore als Kulisse, deren suggestive Wirkung durch das stimmungsvolle Lichtdesign von Thomas Wlocka noch verstärkt wird.

Foto © Stefan Gloede

Die sechs Solisten, vom Typ her alle wunderbar passend besetzt, vereinen vokale Stilsicherheit, versierte Verzierungskunst und darstellerische Gewandtheit. Marie Smolka, letztes Jahr bei Mozarts Betulia Liberata schon in einer kleineren Rolle positiv aufgefallen, erfüllt nun als Abel mit mädchenhaft reinem Sopran alle stimmlichen Erwartungen. Bettina Ranch durchleidet als Kain mit ihrem vollmundigen Alt alle Affekte zwischen Verzweiflung und Zorn. Wunderbar schmiegen sich die beiden Stimmen in dem pastoralen Duett vor dem Mord aneinander. Talia Or als Eva überzeugt mit klangschönem Sopran ebenso wie Fernando Guimarães mit virilem Tenor als Adam. Benno Schachtner spannt mit seinem weich timbrierten Countertenor klangschöne Melodienbögen, während Neal Davies‘ markanter Bariton dem Luzifer die entsprechende Dämonie verleiht.

Bernhard Forck, der seine Position als Konzertmeister zu Beginn mit einem rasanten, unbegleiteten Violin-Solo untermauert, leitet vom ersten Geigenpult aus die Potsdamer Kammerakademie. Sie spielt hinreißend: emphatisch, zupackend, dynamisch variabel und sensibel die Sänger begleitend.

Das Publikum in der ausverkauften Friedenskirche bedankt sich nach der knapp zweistündigen, pausenlosen Aufführung bei allen Mitwirkenden mit Riesenbeifall.
Für 2016 ist mit Händels Oratorium Israel in Ägypten wieder ein großes Chorwerk angekündigt.

Karin Coper