Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

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Foto © Enrico Nawrath

Aktuelle Aufführungen

Zwischen Golgatha und Hamam

PARSIFAL
(Richard Wagner)

Besuch am
25. Juli 2016
(Premiere)

 

 

Bayreuther Festspiele

Der Parsifal ist und bleibt das Herz- und Filetstück der Bayreuther Festspiele. Christoph Schlingensief, Stefan Herheim sowie Pierre Boulez und – mit leichten Abstrichen – Daniele Gatti haben damit zuletzt Maßstäbe auf dem ansonsten mit Spitzenleistungen nicht gerade wuchernden „Grünen Hügel“ gesetzt. Allerdings sollte man nicht vergessen, dass sowohl Schlingensief als auch Herheim mit ihren aufwändigen und rundum beeindruckenden Produktionen mehr über sich selbst oder über die Rezeptionsgeschichte des Stücks mitteilten als über die inhaltliche Botschaft des Werks.

Das wollte Uwe Eric Laufenberg mit seiner Neuinszenierung ändern. Gut gemeint, doch das Ergebnis ist ernüchternd. Dass er relativ kurzfristig für die geschasste Skandalnudel Jonathan Meese eingesprungen ist, kann man vernachlässigen. Dafür ist Laufenberg zu erfahren, auch in Sachen Wagner. Und für die Kölner Oper hatte er bereits ein Parsifal-Konzept erarbeitet, das er für Bayreuth lediglich zu aktualisieren brauchte. 

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Vergleichen wir Wagners Botschaft mit der Laufenbergs: Wagner nimmt eine religionskritische Haltung gegenüber einem Christentum ein, das den Menschen vor allem als Sünder sieht und sich selbst als strafende, einschüchternde Instanz, die das „Mitleid“, die Empathie, aus den Augen verloren hat. Indem sich Wagner im unmenschlich verhärteten Christentum nicht aufgehoben fühlte, entwickelte er eine Art Kunstreligion, in der nur das „Mitleid“ eine erlösende Wirkung ausüben kann.

Foto © Enrico Nawrath

Den Kern von Wagners kritischer Position greift Laufenberg auf, erweitert ihn allerdings auf den Islam, um auch auf die politischen Katastrophen hinzuweisen, die aus dem Verlust an Empathie erwachsen sind und noch kräftig gedeihen. Inkonsequent verhält er sich dabei, indem er die dritte monotheistische Großreligion ausklammert, das Judentum. Und skeptisch steht er jedem Erlösungsgedanken gegenüber, so dass das Finale bei Laufenberg unentschlossen bleibt. 

Wir sehen im ersten Akt die Gralsritter als frömmelnde Betbruderschaft, die jedoch nur an ihr Weiterleben denkt und die Leiden ihres mit Dornenkrone und Wundmalen geschundenen Königs Amfortas brutal verschärft, indem sie seine Wunde gewaltsam öffnet und ein Blutbad auf einem Opferstein anrichtet. Vom Gral und einer himmlischen Erleuchtung ist nichts zu sehen. Der Blutrausch wird zum Lebenselixier.

Angesiedelt ist das Geschehen in einem von Gisbert Jäkel ziemlich grob gestalteten, von einer Kuppel überhöhten Kirchenraum, wie man ihn, wenn auch filigraner, vom Dom zu Siena und auch von islamischen Moscheen kennt. Im zweiten Akt sind die Wände mit orientalischen Arabesken verziert und die Blumenmädchen erscheinen tief verschleiert, bevor sie ihre Hüllen fallen lassen und Parsifal in einem Dampfbad leicht geschürzt zu verführen versuchen. Klingsor, der Herr über den Harem, geilt sich derweil an einer Sammlung christlicher Kreuze auf, geißelt sich und frönt christlicher Arten und Unarten. Bigotterie in fortgeschrittenem Stadium. In dieser wüsten Mischung freilich eher verwirrend als erhellend.

Religionskritische Botschaften, die substantiell vom Stück getragen werden. Aber es enttäuscht, wenn ein so erfahrener Theatermann wie Laufenberg platte Klischees aus dem Theaterfundus bemüht und so wenig Wert auf eine präzise Charakterisierung der Figuren und auf eine handwerklich saubere Personenführung legt. Das Bild von Amfortas als Christus-Allegorie wird überstrapaziert, die Badeszene im Hamam ist banal angelegt, Parsifals Eroberung des Speers mutet geradezu unbeholfen an.

Mag man Laufenbergs Diagnose der ethisch entwurzelten Religionen noch folgen, bleibt er uns Wagners Gegenentwurf schuldig. Was bewirkt denn Parsifals „Mitleidsgeste“ und Erlösungshandlung bei Laufenberg? Keine Reinigung der Religionen, sondern die Menschen distanzieren sich von ihnen, werfen Kreuze, Kelche und andere Insignien in den Sarg Titurels und wandeln einer ungewissen Zukunft entgegen, aber immerhin einer von Religionen befreiten Welt. Ist damit ein Gewinn an Empathie gesichert? Dieser Frage entzieht sich Laufenberg, so dass Wagners verklärende Schlussmusik eine hoffnungsvolle Antwort gibt, die szenisch nicht eingelöst wird. Dass die Kirchen-Moschee im dritten Akt von Wildwuchs überwuchert wird und den Blick auf eine Dschungellandschaft freigibt mit einem Wasserfall, in dem sich hübsche junge nackte Damen erfrischen, wirkt so plakativ und willkürlich wie vieles andere in der Inszenierung. Und dass das Saallicht während der überhöhten Schlussklänge bewusst eingeschaltet wird und das Bühnenlicht überstrahlt, lässt Wagners Vision im Irgendwo verpuffen.

Dass der Gral, geschweige denn der „heilige Geist“ nicht zu sehen ist, zeugt immerhin von Konsequenz. Weniger die handwerklichen Mängel, was die entweder unbeholfene oder gar nicht existente Personenführung angeht. Da besteht für die nächsten Jahre erheblicher Handlungsbedarf.

Wunder durfte man von Hartmut Haenchens Dirigat nicht erwarten. Angesichts der wenigen Proben, die ihm zur Verfügung standen, kommt er mit den akustischen Bedingungen des Hauses erstaunlich gut zurecht. Dass er kein Freund klingenden Weihrauchs ist, hat er bereits in seinem Brüsseler Parsifal bewiesen. Der erste Akt berührt mit 100 Minuten fast den Sprintrekord von Hans Zender – Toscanini brauchte 35 Minuten mehr. Gleichwohl macht er die klanglichen Wunder der Partitur vor allem in den lyrischeren Partien hörbar, auch wenn er, vor allem im zweiten Akt und den gewaltigen Chorszenen des dritten Aufzugs, eher opernhafte Dramatik anstrebt als entmaterialisierte Sphärenklänge.

Vokal kann die Produktion insgesamt überzeugen. Schade, dass Klaus Florian Vogt in der Titelpartie von der Regie so stark vernachlässigt wird, dass er sich auf seine makellos geführte, wenn auch sehr weiche Stimme verlassen muss. Dadurch wirkt seine Darstellung recht brav und im Schlussmonolog ohne ausreichende visionäre Kraft. Dem opernhaften Gestus des Dirigenten wird die bühnenpräsente Kundry von Elena Pankratova mit ihren beachtlichen stimmlichen Mitteln vollauf gerecht. Sie kann auch den darstellerisch stets zurückhaltenden Vogt mitreißen.

Zum Publikumsliebling avanciert Georg Zeppenfeld, der die Riesenpartie des Gurnemanz mit vorbildlicher Textverständlichkeit und lebendig zelebriert. Die Blumenmädchen empfehlen sich als erfreulich homogenes Ensemble. Nicht ganz an dieses Niveau reichen Ryan McKinny als Amfortas, der sich im ersten Akt geradezu zerfleischen lassen muss, und Gerd Grochowski als Klingsor heran. Beide Leistungen werden durch Vokaltrübungen und eine etwas gaumige Tongebung getrübt. Der von Eberhard Friedrich geleitete Chor sorgt wie gewohnt für starke Impulse.

Der Beifall des Premierenpublikums fällt rundum begeistert aus, differenziert dabei recht wenig. Zeppenfeld, der in diesem Jahr auch den König Marke und den Hunding singen wird, bekommt noch eine Prise stärkere Zustimmung als Startenor Vogt. Das szenische Team wird mit einem einzigen Buh-Ruf behelligt. Ein Highlight bietet dieser Parsifal noch nicht. Allerdings dürfte und müsste sich szenisch und musikalisch in den Folgejahren noch einiges verändern.

Pedro Obiera