Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

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Alle Fotos © Wil van Iersel

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Das Kreuz mit dem Kreuz

TANNHÄUSER
(Richard Wagner)

Besuch am
7. Februar 2016
(Premiere)

 

 

Theater Aachen

Ein grandios auf Wagner-Romantik eingestimmtes Orchester samt Chören, ein vielversprechendes Hausdebüt in der Titelpartie, ein quasi liturgisches Konzept als roter Faden für Kulisse und Regie – an diesem Tannhäuser, den das Theater Aachen für seine strukturellen Verhältnisse in großer Form präsentiert, gäbe es viel zu beschreiben, zu analysieren, anzuerkennen. Es besteht leider nur die Gefahr, dass die – im wahrsten Sinne des Wortes – fragwürdige Inszenierung die formidable musikalische Gesamtleistung überlagert. Ein irritierender Eindruck, der damit querliegt zu Richard Wagners elementarer Idee von der Oper als Gesamtkunstwerk.

Doch im Einzelnen. Diese Wagner-Produktion im vierten Jahr der Spielzeit von Generalmusikdirektor Kazem Abdullah, dieser erste Tannhäuser nach mehr als einem Jahrzehnt auch nach Lohengrin unter der musikalischen Leitung von Marcus Bosch vor einigen Jahren ist zunächst eine Geste der Intendanz an die Wagner-Gemeinde in Stadt und Region. Die reagiert positiv, füllt das Haus bis auf den letzten Platz und ist von Beginn an spür- und hörbar empathisch eingestimmt. Wagner würde hier und heute jede Kommunalwahl gewinnen. Gegeben wird die Dresdner Fassung der Uraufführung 1845. Der gerade 32-jährige Komponist und Librettist hat, aus zahlreichen Sagenwelten schöpfend, sein künstlerisches Lebensthema gefunden, die Idee der Erlösung als Basis von Handlungen und als Antrieb von Entwicklungen der menschlichen Psyche. Im Tannhäuser hat sie sich im Spannungsfeld mittelalterlicher Minne unter dem Leitbild asketischer Marienverehrung und der Erfüllung sehr irdischer Sehnsüchte nach Liebe, Leidenschaft und Ekstase zu behaupten, zwischen den Polen Eros und Agape mithin.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Der Italiener Mario Corradi, Verdi-Spezialist und Schüler Jean-Pierre Ponnelles und Ken Russells, siedelt seine Inszenierung nicht – wenn man so will – zu karolingischen Zeiten an, sondern in die Zeit der Entstehung der Oper. Spielen anders als im Original alle drei Akte in einem von seinem Landsmann Italo Grassi – Bühne und Kostüme – geschaffenen Kirchenschiff, was vielleicht noch diskutabel wäre, so verrät die Verwendung von Altar, Kanzel und Beichtstuhl als Zentren der Ausstattung sowie der Bruch mit Charakter und Erscheinungsbild eines Teils der Protagonisten den Kurs des Ganzen. Katholizismus aus italienischen Quellen speist ein Konzept der Re-Christianisierung eines Stoffes, der bei Wagner nicht primär kirchlich, sondern religiös-metaphysisch, auf Transzendenz hin angelegt ist.

Foto © Wil van Iersel

Diese Navigation hin zur „Mutter Kirche“ bringt allerlei Verwunderliches hervor. Nachdem bereits per Video zur Ouvertüre die spätere Erlösungsgeschichte erzählt und der Titelheld in einer liturgischen Szene als Priester erschienen ist, senkt sich aus dem Schnürboden, von einem Seil geleitet, eine Engelsfigur hernieder. Diese befreit ihn von seinem Priestergewand, so dass später Heinrich, der Künstler, Denker und Dichter, in profaner Alltagskleidung mit Hosenträgern auf seine früheren Kumpane trifft. Doch die muten nun nicht als mittelalterliche Minnesänger an, sondern als ein Kollegium von Geistlichen, denen ein Prior vorsteht. Befremdlich auch das, weil ihn alle Beteiligten, die Chöre, seine Nichte Elisabeth und das Auditorium als den identifizieren, der er ist, Hermann, Landgraf von Thüringen.

Das Kreuz mit dem Kreuz, die Kollision zwischen Werk und Inszenierung, bringt eine Reihe weiterer teils unterhaltsamer, teils prekärer Stilblüten hervor. Die Pilger sind nicht als Büßer unterwegs, sondern wie säkular Reisende mit Koffer, Mantel, Rucksack heute auf dem Jakobsweg in Nordspanien. Aus dem Gewand der Heiligen Maria herausblätternd, wandelt sich Venus auf dem Altar zur Ikone Marylin Monroes. Hingegen trifft Wolfram Elisabeth zu Beginn des dritten Aufzuges tatsächlich am Boden „dahingestreckt in brünst’gen Schmerzen“ an, ganz auf den Text inszeniert, wie Wagner ihn verstanden wissen wollte. Am Ende lösen sich ohnehin alle Frauengestalten und alle Regieideen in der Phantasmagorie der Heiligen Maria als Erlösungsmetapher auf. Venus hat verspielt, die Askese als Weg zur Transzendenz obsiegt – sofern nicht der Anschein trügt.

Will aber Corradi überhaupt so verstanden werden? Texte im Aachener Programmheft und einige Andeutungen in Interviews verorten ihn, den Katholiken, der sich an den Restriktionen der Römischen Kurie reibt, auch in gewisser Weise als Rebellen, vergleichbar Tannhäuser selbst. Da gibt es ein deutliches Plädoyer gegen die Verdrängung der Sexualität im Leben von Mönchen und Priestern. Da wird Position bezogen gegen die Bigotterie der Amtskirche, gegen die ja auch Tannhäuser indirekt Sturm läuft. Ist also Corradis Inszenierung im Grunde eine Einladung, sich mit der fatalen Rolle der Religionen auseinanderzusetzen, soweit sie sich als einzig wahre ausgeben? Fatal, weil sich ihre inhumanen Dimensionen unter dem Vorzeichen neuer Kreuzzüge und Gotteskriege so erschreckend offenbaren? Und ist die Inszenierung daher auf Polarisierung angelegt und deswegen so dick aufgetragen?

Vom „Sängerkrieg auf Wartburg“ spricht Wagner im Titel seiner Oper, mit der er auch den wesentlichen Schritt hin zu seinem Stil des Musikdramas vollzieht. Die Aachener Akteure scheren sich wenig an dieser Fügung, bereiten ihrem Publikum eher ein Sängerfest.

Mit besonderer Spannung erwartet: das Hausdebüt des irischen Tenors Paul McNamara in der Titelpartie. Das fällt alles in allem bedingt überzeugend aus. Wenn stets ein Gott genießen kann, bin ich dem Wechsel untertan – Tannhäusers Selbstreflexion zwischen irdischem Wahn und jenseitiger Entsagung gilt ja auch für jeden Sänger, der es mit dieser mörderischen Partie auf sich nimmt und dabei Lyrisches mit Heroischem zu verbinden hat. Wagner verlangt einen Heldentenor, der McNamara nicht oder noch nicht ist. Und einen Hochsensiblen im lyrischen Fach, der er mit Timbre und Vehemenz vor allem ist.

In eben diesem lyrischen Fach hat als Wolfram von Eschenbach Hrólfur Saemundsson große Momente, selbst wenn das Schauspielerische nicht seine Stärke ist. Auch der Tenor Patricio Arroyo als Walter von der Vogelweide ist recht erfreulich. Woong-Jo Choi gibt mit seinem souverän geführten Bass einen wohlmeinenden Prior alias Landgrafen, der nur allzu statisch wirkt. Die Partie des Biterolf ist bei Pawel Lawreszuk, die des Heinrich der Schreiber bei John Zuckerman in guten Händen. Stimmlich in guter Verfassung legt Benjamin Werth den Reinmar von Zweter an. Wäre das Geschehen auf Wartburg ein Sängerinnenkrieg, ginge der in Aachen wohl zugunsten der Venus der Sanja Radisic aus. Sie trumpft mit ihrem erotisch irrlichternden Mezzo groß auf, zumal sie als Monroe-Verschnitt auch noch das Glamour-Kostüm des Abends auf ihrer Seite weiß. Genau das, ein rundum biederes Outfit als bebrilltes Stubenmädchen, wird Linda Ballova als Elisabeth zum Verhängnis. Sie beherrscht zwar das gesamte vokale Spektrum von der kraftvollen, fast schon zu dramatisch angelegten Hallenarie bis hin zu den verinnerlichten Momenten, die die Transformation hin zur „Heiligen Elisabeth“ adeln, verliert aber letztlich die Aura, die die Wendung Tannhäusers zum Geläuterten verständlich machen könnte. Was man aus einer simplen Rolle, hier der des Hirten, machen kann, zeigt übrigens Laura Lietzmann mit klangfrohem Sopran im Ministrantenkostüm.

Zum Sängerfest tragen weiterhin der Opernchor, der Extrachor und der Sinfonische Chor mit hoher Intensität bei.

Und dann das Orchester: Wie – pars pro toto – die erste Reihe der Soprangruppe beim Sängerwettstreit in den Kirchenbänken singt und dabei die Händel der Minnesänger auch noch mimisch kommentiert, hat Klasse. Prächtig aufspielende Cellisten und Blechbläser unter den Instrumentengruppen, das Englisch Horn, der Tubist und die Harfe sind die Superlative eines Sinfonieorchesters Aachen, das an diesem Abend jede Hürde der orgiastischen wie verinnerlichten Partitur nimmt. GMD Abdullah entfaltet den Rausch dieser großen Melodie der Verführung wie ihre celestischen Feinheiten mit Vehemenz und Feingefühl.

Das Theater Aachen ein regionales Wagner-Zentrum von morgen? Das Publikum scheint mit die Zehn-Minuten-Grenze überschreitendem Jubel für alle Akteure nichts anderes im Sinn zu haben. Es will diesen Ort von Festlichkeit, diesen Ort der Besinnung auf eine womöglich in die Defensive geratende Kultur, und das an einem Ort, der für Karolingisches und manche andere Vorzeit einiges zu bieten hat. Diese Sicht auf morgen können dann vielleicht auch einige fehlplatzierte Kreuze nicht mehr versperren.

Ralf Siepmann