Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

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Foto © Marie-Luise Manthei

Aktuelle Aufführungen

Requiem in schwarz

ORPHEUS UND EURYDIKE
(Christoph Willibald Gluck)

Besuch am
23. Dezember 2016
(Premiere am 4. Dezember 2016)

 

 

Theater Aachen

Es ist eine der schlichtesten und dennoch besten Produktionen der Spielzeit. Sie als „halbszenische Aufführung“ zu bezeichnen, wie es das Aachener Theater unverständlicherweise zu tun pflegt, dazu besteht kein Anlass. Glucks Oper Orpheus und Eurydike gehört ohnehin nicht zu den hochdramatischen Reißern und verleitet leicht zu aufgesetzten szenischen Mätzchen, die das Stück nicht braucht, wie die Aachener Inszenierung eindrucksvoll zeigt. Tamara Heimbrock hat in Berlin als Regieassistentin offenbar eine Menge von namhaften Regisseuren wie Herheim, Neuenfels, Homoki und Flimm gelernt. Seit dieser Spielzeit wirkt sie als Regieassistentin und Spielleiterin am Theater Aachen, wo man sie mit der „szenischen Einrichtung“ der Gluck-Oper betraute.

Tamara Heimbrocks „Inszenierung“, so die angemessene Bezeichnung für ihre Leistung, lässt eine Sensibilität und Musikalität erkennen, die heute nur noch selten anzutreffen ist. Sie hört auf die Musik, begnügt sich mit sparsamen, aber treffsicheren Gesten, führt die Figuren mit stoischer Ruhe und verzichtet auf jeden überflüssigen Knalleffekt. Dadurch stellt sich eine Spannung ein, die vom ersten bis zum letzten Takt des handlungsarmen Stücks erhalten bleibt. Die Trauer des verwitweten Orpheus kommt in bezwingender Konzentration zum Ausdruck. Die Entfremdung zwischen Orpheus und seiner bereits im Jenseits angekommenen Eurydike nicht minder. Nichts lenkt vom Blick auf die seelischen Spannungen der beiden ab. Auch nicht der Chor, der dezent im Hintergrund agiert und durch seine vokale Intensität das Seelendrama bereichert.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Dem positiven Ende der Pariser Fassung begegnet Tamara Heimbrock mit Skepsis. Amor führt die beiden zwar noch ein zweites Mal zusammen, aber sie verlassen getrennt die Bühne. Ein nachdenklicher Schluss, nachdem bereits zur finalen Ballett-Musik die Chormitglieder einzeln die Bühne verlassen haben.

Foto © Marie-Luise Manthei

Auch Detlev Beaujean hält sich mit einem seiner besten Bühnenbilder zurück. Eine eiserne, mit abweisenden Stacheln besetzte Rückwand, die sich zeitweise teilt, um den Blick in die rot oder bläulich beleuchteten Regionen der Unterwelt zu gewähren, reicht völlig aus. Als Requisiten genügen zwei schlichte Stühle, die als Traueraltar dienen und vor allem durch ihre variablen Positionen den Grad der Entfremdung des Liebespaars anzeigen. Alles sehr einfach und überzeugend.

Schwarz ist die dominierende Farbe. Das betrifft neben dem Bühnenbild vor allem die Kostüme des Orpheus und des Chors, während Eurydike mit ihrem blass-violetten Kleid einen schwachen Kontrast bietet. Lediglich das leuchtende Rot Amors und der Feuerschein des Hades sorgen für schärfere Gegensätze, ohne jedoch den introvertierten Trauerduktus der Inszenierung zu stören.

Die entscheidende Spannung geht für Tamara Heimbrock von der Musik aus. Und die ist bei Justus Thorau, dem Stellvertretenden Generalmusikdirektor des Aachener Theaters, bestens aufgehoben. Das Orchester hat sich mit historischen Instrumenten auf einen mit 394 Hz tief gestimmten Kammerton speziell in den Gebrauch der ungewohnten Instrumente einweisen lassen. Von den unvermeidlichen Intonationsschwankungen abgesehen, verbreiten die Aachener Musiker eine beeindruckende Aura von getragener Trauer und verhaltener Dramatik.

Trotz einer Erkältung gestaltet Patricio Arroyo die Titelpartie mit seinem kerngesunden, lyrisch ebenso warmen wie strahlenden Tenor auf höchstem Niveau. Man spürt, wie er sich vom Umfeld der Inszenierung und der musikalischen Leitung tragen lässt. In der kleineren Rolle der Eurydike überzeugt Katharina Hagopian trotz ihres etwas härter wirkenden Soprans. Und Jelena Rakić steuert einen jugendlich frischen Amor bei. Ein Sonderlob verdient der zwar klein, aber völlig ausreichend besetzte Chor, den Elena Pierini betreut.

Das angesichts der Vorweihnachtshektik nicht allzu zahlreiche Publikum reagiert trotz der dezenten und alles andere als auf Effekt getrimmten Produktion mit standing ovations. Und das zu Recht.

Pedro Obiera