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DER KÖNIG LACHT
(Luisa Guarro)
Gesehen am
9. April 2020
(Video on demand)
Weiter geht die Reise mit Stefan Keim durch die Theater Nordrhein-Westfalens. Nach Oberhausen und Essen kehrt die WDR-Kulturambulanz jetzt beim Wolfgang-Borchert-Theater in Münster ein. Eines der kleineren Theater, die die Kulturvielfalt des Landes so bereichern und jetzt um ihre Existenz bangen müssen. Im obligaten Vorgespräch erzählt Intendant Meinhard Zanger, dass jeder Tag zählt, an dem er wieder öffnen kann, wenn das Theater überleben soll. Unter solchem Druck auch noch Theater zu spielen: Da bedarf es ausgebuffter Profis, die den emotionalen Knüppel über ihren Köpfen aushalten.
Für die Aufzeichnung hat Zanger das Stück Der König lacht ausgewählt. Luisa Guarro hat es auf Italienisch geschrieben, ins Deutsche übertragen wurde es von Aenne Busmann und Zanger selbst hat dann noch einmal Hand an die Textfassung angelegt. Jetzt zeigt das Wolfgang-Borchert-Theater die deutschsprachige Erstaufführung. Als „philosophisches Märchen“ angekündigt, möchte man erst mal zurückschrecken. Im Fernsehen ein Krimi nach dem anderen, auf Netflix die tollen Serien – und da sollte uns ein Märchen locken? Vielleicht am Sonntagmorgen, weil Ostern ist. Aber nein, da kommen ja die wirklich guten tschechischen Verfilmungen von Märchen im Ersten. Es lohnt sich trotzdem, einen Blick auf die Bühne des Münsteraner Theaters zu werfen. Und dieser Blick wird mehr als eine Stunde währen.
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Denn dieses Märchen hat es durchaus in sich. Weil hier ein alter Stoff genutzt wird, um die „Machtfrage“ zu stellen. Die Bühne ist spartanisch. Zwei Äste in Blumenkübeln umrahmen einen Thron, der, einmal herumgedreht, zu einer Hausfassade wird. Guarro hat das Stück selbst inszeniert, die Kostüme und die Bühne entwickelt. Und sie setzt auf eine minimalistische Bühnenausstattung, um sie mit viel Pantomime zu beleben. Paco Summonte unterstützt die Idee mit einem ausgeklügelten Lichtdesign, das zwar die wichtigen Situationen in ausreichende Helligkeit versetzt, aber eben auch im Dunkel lässt, was nicht zur Handlung gehört.
Dabei ist die Handlung so märchenhaft wie politisch brandaktuell. Der König ist alt und muss entscheiden, welcher seiner beiden Söhne seine Nachfolge antritt. Er schickt nach „Ratschlag“ mit seinem Minister die beiden Söhne auf eine Reise, an deren Höhepunkt die Begegnung mit dem Vogel Greif stehen soll. Einer von beiden soll eine Silberfeder zurück an den Hof bringen und König werden. Der gute Bruder bekommt die Silberfeder, dem bösen Bruder entflieht der Vogel. Auf dem Rückweg treffen sich die Brüder, der Gute zeigt seine Feder her und verliert in einem orgiastischen Pantomime-Taumel sein Leben. Der böse Bruder trägt die Feder an den Hof und erhält die Krone. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wird klar, dass es nicht um die Reise geht, die die Clowns-ähnlichen Schauspieler hinter sich bringen.
Denn der gute Bruder erscheint einem Holzfäller als Geist und bewegt ihn, bei Hofe für die Entdeckung des Brudermörders zu sorgen. Es kommt zu einer Gerichtsverhandlung, in der die wesentlichen Fragen nach der Macht, ihrer Legitimation und Erlangung gestellt werden. Hier wird es richtig spannend. Und die Argumentation wird fatal wie gegenwärtig. Denn was hat der inzwischen königliche Bruder damit zu tun, dass der gute Bruder die Silberfeder bekommen hat? Die Aufgabe war doch, mit der Silberfeder bei Hofe zu erscheinen, um König zu werden, nicht, sie zu bekommen. Derlei perfide Argumentation kommt einem ziemlich bekannt vor, aber was will man dagegen unternehmen? Hat sie nicht über Menschengedenken funktioniert? Der Holzfäller als Synonym für den „kleinen Mann“ kennt die Antwort. Er sprengt das System. Also, so die erfrischende Erkenntnis, ist es möglich, den ewigen Kreislauf zu durchbrechen, aus dem System auszusteigen. Wohin das führt, bleibt offen.
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Aber spätestens hier hätte die Diskussion bei der Premierenfeier „im wirklichen Leben“ beginnen müssen. Das System sprengt sich selbst, wie der Kapitalismus beweist. Die aufschiebende Frage: Was kommt danach? Denn auch das zeigt die Geschichte. Aus einem schlechten System ist nie ein Besseres erwachsen. Auch Guarro belässt es bei der verheißungsvollen Botschaft, ohne mit Lösungsvorschlägen aufzuwarten. Dass ihr Stück trotzdem fesselt, liegt an der Vision, dass alle Ungerechtigkeit letztlich zu einem guten Ende kommt.
Und allein schon, den Weg zur Aufhebung des Systems zu gehen, ist beschwerlich genug. Meinhard Zanger als König und Holzfäller, Johannes Langer als guter Bruder und Staatsminister sowie Florian Bender als böser Bruder und letztendlich kleinlaut lachender König verausgaben sich in ungewöhnlichen Bewegungsabläufen und Textgewalten, die sie fast perfekt beherrschen. Drei Männer, die sich schon beinahe trotzig dem Druck auf ihren Berufsstand ein spannendes, hochkonzentriertes Spiel entgegensetzen, das von der ersten bis zur letzten Minute fesselt.
Als rahmendes Element setzt Guarro die Musik von Nick Cave und Tom Waits ein. „Die beiden haben sich sehr mit der Freiheit auseinandergesetzt. Sie sind Ausdruck von Befreiungen von Althergebrachtem, sie lehnen sich auf und gehen leidenschaftlich neue Wege“, begründet die Autorin und Regisseurin ihre Auswahl. Stücke wie Lucky Day Ouverture, T’ain’t no sin oder Black Box Theme von Waits oder Mercy Seats von Cave beeindrucken selbst dann, wenn sie in der Übertragung kaum verständlich sind und auch nicht durch Untertitel unterstützt werden.
Nach eineinviertel Stunde fühlt man sich nicht nur gut unterhalten, sondern auch zu mentaler Auseinandersetzung angehalten. In Münster ist ein ganz starkes Stück entstanden. Eigentlich darf man froh sein, dass es jetzt die Möglichkeit gibt, das theatralisch sehr gut umgesetzte Werk im Internet zu genießen. Wer wäre, bei aller positiver Kritik, sonst nach Münster gefahren? So bietet der Stoff auch für Menschen aus dem Süden oder Norden der Republik genügend Gelegenheit, über das Thema Macht für den Rest des Tages nachzudenken. Da haben Zanger und sein Team hervorragende Arbeit geleistet, die vom Kamerateam des Westdeutschen Rundfunks hervorragend eingefangen wurde, auch wenn man sich vielleicht ein bisschen weniger Zoom gewünscht hätte.
Michael S. Zerban