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Überzeugende Lösung

DIE MARQUISE VON O.
(Heinrich von Kleist)

Gesehen am
3. April 2020
(Video on demand)

 

Theater Oberhausen, Marienkirche Oberhausen

Seit Jahren trudelt der Westdeutsche Rundfunk von einer Programmreform zur nächsten, ohne tatsächlich überzeugende Konzepte zu finden, die das Publikum begeistern. Immer wieder wurde dem Sender auch nahegelegt, mehr Kultur in das Programm einzubauen, anstatt Rate- und Talk-Shows zu zeigen. Hartnäckig haben sich bisher die Programmverantwortlichen vor allem für das Fernsehprogramm solchen Wünschen verschlossen. Die kulturellen Höhepunkte waren und blieben damit die Live-Übertragungen von Karnevalszügen und dem Schützenumzug in Neuss.

Mit der Corona-Krise scheint zumindest im Hörfunk etwas in Bewegung zu kommen. Im ersten Schritt wurde die WDR-Kulturambulanz eingeführt, die zwar im Internet stattfindet, aber in der täglichen Kulturberichterstattung des Senders gewürdigt wird. In der Kulturambulanz gab es bislang das, was momentan inflationär durch das Netz schwappt: Wohnzimmer-Takes in mediokrer Qualität, in der Kulturambulanz gerne Lesungen. Jetzt aber scheint unter der Ägide des Kulturjournalisten Stefan Keim so etwas wie ein Durchbruch zu gelingen. Keim, oft genug als „der Theaterexperte des WDR“ betitelt und in „normalen“ Zeiten als Kritiker unterwegs, hat in Krisenzeiten quasi die Seiten gewechselt. Mit den Intendanten verschiedener Theater hat er besprochen, wie man den Häusern mehr Präsenz im Sender und damit trotz Aufführungsverbot den Zugang zur Öffentlichkeit aufrechterhalten kann.

Das Theater Oberhausen macht den Auftakt. Intendant Florian Fiedler hat Die Marquise von O. als Zwei-Personen-Stück inszeniert und als Spielstätte die Marienkirche in Oberhausen ausgewählt. Aus dem Theater bringt er Scheinwerfer mit. Der WDR schickt ein Kamera-Team und Keim als Moderator. Damit unterläuft der Journalist eine Auffassung, die sich mittlerweile unter den Kulturschaffenden breitgemacht zu haben scheint. Denn das „Aufführungsverbot“ bedeutet ja weder Hausarrest für die Künstler noch ein Arbeitsverbot für Theatermacher. Das Verbot diente ursprünglich dazu, Personenansammlungen zu vermeiden. Es bedeutet nicht, dass im Theater nicht mehr gearbeitet werden darf.

In Oberhausen wird gearbeitet, nur eben nicht im „Home Office“. Die Aufführung ohne Publikum wird aufgezeichnet und als Video in der Kulturambulanz präsentiert. Stefan Keim eröffnet den einstündigen Film mit einem Gespräch mit Intendant, Regisseur und Beleuchter Fiedler vor der Kirche. Dass dabei auch so ein wenig der Eindruck eines „heimlichen Treffens“ entsteht, scheint Keim Spaß zu machen, ist der Sache aber kaum dienlich. Allerdings ist damit auch die Kritik beendet.

Martin Engelbach und Ronja Oppelt – Screenshot

Denn was sich in der folgenden Stunde abspielt, ist tatsächlich der Durchbruch in der Ödnis der Wohnzimmer-Angebote und Videokonferenzen. Wesentlichen Anteil daran hat die Schauspielerin Ronja Oppelt, die sich zunächst in Lesungen der Marquise von O. übte. Das ist jetzt so gut wie vorbei. Heute Abend erzählt sie die Geschichte in verteilten Rollen an den unterschiedlichsten Spielorten. Oppelt bespielt nahezu den gesamten Kirchenraum. Großartig! Dass hier Publikum fehlt, ist schon nach den ersten Minuten vergessen. Die Mikrofonierung funktioniert perfekt, die Kameraführung ist tatsächlich spielfilmreif. Die Lichteffekte, die Fiedler setzt, überzeugen auf ganzer Linie. Aber was wäre das alles ohne eine Darstellerin, der es gelingt, das Publikum mit einem einstündigen Dialog zu fesseln? Dazu nimmt sie sich Freiheiten. Intoniert den Text nahezu heutig, bricht aus dem Originaltext auch gerne mal aus, um in spitzen Kommentaren zu glänzen, zeigt sich in allen Situationen souverän.

Aufgelockert wird das Spiel durch die Begleitmusik von Martin Engelbach, der mit Orgel, E-Bass, E-Gitarre und kleinem Schlagzeug nicht nur für Untermalung sorgt, sondern auch den Gesang Oppelts unterstützt. Ein kurzweiliger, packender Abend, der sich dann auch nur noch in abstrakter Form an das Ende der Kleistschen Erzählung anlehnt. Und ohne zu viel zu verraten, muss das Liebeslied-Medley gegen Ende unbedingt Erwähnung finden. Die Abfolge und Kombination der Texte sind preisverdächtig. Und man muss nicht unbedingt Englisch verstehen, um nachzuvollziehen, was die Sängerin zum Ausdruck bringen will. Dass der Abend vor der Tür der Kirche endet, war vorhersehbar, aber Oppelt gelingt hier noch einmal der ganz große Auftritt.

Oppelt begeistert an diesem Abend nicht nur das Publikum, sondern empfiehlt sich auch für Filmrollen. Die Kameraleute und -regie werden vom WDR nicht namentlich benannt. Das ist angesichts der gezeigten Leistung respektlos. Hier bedarf es der Nachbesserung. Denn der Sender hat bereits zwei weitere Produktionen angekündigt. „Neue digitale Formate“ werden seit dem 13. März vielerorts und immer häufiger angekündigt. Bei aller berechtigten Kritik am öffentlich-rechtlichen Sender muss man für diesen Abend festhalten: Hier hat er vorbildliche Arbeit geleistet und allen gezeigt, in welche Richtung es gehen könnte. Ein richtig großer Nachteil könnte allerdings aus diesem Abend für Intendant Fiedler entstehen. Ronja Oppelt dürfte nach dieser Leistung nicht mehr lange an dem Stadttheater bleiben.

Michael S. Zerban