O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Flotter Dreiteiler

TANGO SACRALE
(Diverse Komponisten)

Besuch am
12. November 2023
(Einmalige Aufführung)

 

Mauritiuskirche, Meerbusch

1982 wurde der Gemeindechor der Katholischen Hochschulgemeinde Düsseldorf gegründet. 15 Jahre später wurde er in einen Verein umgewandelt und nannte sich fortan Junger Konzertchor Düsseldorf. Im Mittelpunkt der Arbeit stand stets die A-Cappella-Chormusik. 2020 erlebte die Gemeinschaft eine ihrer dunkelsten Stunden. Damit erging es ihnen wie den meisten Chören in Deutschland. Es war der erste Shutdown in der Pandemie. Aber der Chor überstand die Bewährungsprobe. O-Ton besuchte damals eine Probe in einem Hinterhof, weil Zusammenkünfte nur im Freien möglich waren. Der Beitrag, der aus diesem Besuch entstand, ist heute schon so etwas wie ein historisches Dokument. Was damals auffiel, war der unbedingte Wille, die Krise gemeinsam zu überstehen. Und die Choristen haben es geschafft. Ja, 2022 haben sie es sogar geschafft, ehrlicherweise aus dem Jungen Konzertchor den Konzertchor Düsseldorf entstehen zu lassen. Jetzt treten sie in der Mauritiuskirche im Meerbuscher Stadtteil Büderich mit einem neuen Programm auf. Die Vergangenheit ist nicht vergessen, aber überwunden. Und so ist auch das Programm mit dem Namen Tango Sacrale eher zukunftsorientiert.

Andrea Christiane Kwade – Foto © O-Ton

Das Plakat verweist auf die Misa Tango von Martin Palmeri, ein Werk, das gerade in den letzten Jahren enorm an Aufmerksamkeit gewonnen hat, und auf Musik von Samuel Barber, aber es verrät nicht, was ein Konzertchor ohne Orchester macht. Die Antwort ist einfach: Er lässt sich was Außergewöhnliches einfallen. Und so dreht sich die kurze Ansprache von Guido Harzen, seit 1991 künstlerischer Leiter und Dirigent des Chors, auch weniger um die üblichen Dankesworte, sondern mehr um die Aufgaben des Publikums, das die Bänke der Kirche fast vollständig füllt. Und er vergisst auch nicht, auf die drei Teile des Programms hinzuweisen. Beginnend mit dem Tango, der Anfang und Ende der musikalischen Reise markiert. Allerdings mit allerlei Ausflügen in andere Genres. Im zweiten Teil soll es um den Frieden gehen, dem der Chor in diesen krisenhaften Tagen eine Stimme geben will. Und nicht zuletzt dürfen wir nicht vergessen, dankbar zu sein für das, was uns im immer noch – weitgehend – friedlichen Deutschland erleben dürfen.

Gerade mal fünf Musiker übernehmen den Orchesterteil des Konzerts. Jovana Logiewa und Yang Zhi an der Geige, Maria Zemilicka spielt die Bratsche, Insa Schirmer das Cello und Jurek Sobis steht am Kontrabass. Sind wir ehrlich, das reicht kaum mehr als für eine schöne Untermalung. Die aber gelingt hervorragend. Für die Akzente müssen andere Ideen her. Dazu hat Harzen unter anderem seinen Gastgeber und Kollegen Johannes Maria Strauss verpflichtet. Sehr gut ist der tastenverliebte Chorleiter, der für das Musikleben an den Kirchen Mauritius und Heilig Geist zuständig ist, noch mit seinem eigenen Konzert Ende September in Erinnerung. Und so beginnt das Konzert mit den beiden ersten Sätzen der Misa Tango, dem Kyrie und Gloria. Wenn man sich da nicht gleich an die Tango-Rhythmen der zurückliegenden Tanzstunden erinnert fühlt, liegt das daran, dass Palmeri sich eher dem Tango Nuevo verpflichtet fühlt. Aber die Stücke sind für einen Auftakt ideal, weil sie alle Beteiligten vorstellen. So sitzt Strauss am Klavier, der Chor nimmt im Altarraum Aufstellung. Als Gesangssolistin ist an diesem Abend Andrea Christiane Kwade verpflichtet, die sich auch um die Stimmbildung des Chores kümmert. Und am Bandoneon, so gehört es sich wohl im Rheinland, ist der großartige Stephan Langenberg zu erleben, der mit seinem Auftritt beim Ballett Seide – Band – Bandoneon am Theater Krefeld Mönchengladbach noch in guter Erinnerung ist.

Stephan Langenberg – Foto © O-Ton

Der Bruch ist gewollt, aber er funktioniert. Mit den beiden Liedern Ich sehe dich in tausend Bildern nach einem Gedicht von Novalis und der Vertonung des Psalms 62 Meine Seele ist still zu Gott von Max Reger, die Kwade und Strauss am Harmonium vortragen, kehrt Besinnlichkeit ein. Eine gelungene Überleitung zu Samuel Barbers Agnus dei. Für Auflockerung nach dem getragenen Stück sorgt Langenberg mit einer wunderbaren Improvisation, ehe es auch für das Publikum ernst wird. Ab der zweiten Strophe soll es Im Frieden dein von Friedrich Metzler mitsingen. Eine mutige Idee, zumal Harzen nur den Einsatz vorgibt, aber offenbar sind ausreichend viele Kirchgänger unter den Besuchern, um den Raum mit Stimme zu erfüllen. Daran schließt sich ein weiterer Höhepunkt an. Langenberg spielt Adiós Nonino, das Stück, das Ástor Piazzolla wenige Tage nach dem Tod seines Vaters schrieb, dessen Spitzname Nonino war. Das Werk gehört nicht zu seinen berühmtesten, weil es zu seinen besten gehört, sondern weil die Geschichte hinter der Musik ziemlich tragisch ist. Aber das ist nicht Thema des Abends.

Harzen nutzt die Gelegenheit, sich auf die Orgelempore zu begeben. Von hier aus spielt er zwei Werke von Adalberto Guzzini: den Concertango und die Fantasia Brasiliana, die die Samba thematisiert. Da zuckt es schon mal in den Beinen. Der studierte Kirchenmusiker und Organist weiß das schon recht begeisternd zu intonieren, auch wenn oder gerade, weil der Klang etwas irritiert. Ganz und gar nicht irritierend ist hingegen die ungewöhnliche Darbietung des nachfolgenden Ave Maria. Kwade bringt in Begleitung des Harmoniums die Arie der Desdemona aus Giuseppe Verdis Otello zu Gehör, und das Publikum zeigt sich tief beeindruckt von der dargebotenen Emotionalität in Stimme und Ausdruck. Wenn Harzen anschließend die Toccata alla Rumba von Peter Planyavsky an der Orgel vorträgt, hält die Begeisterung sich in Grenzen. So recht wollen Toccata und Rumba nicht zusammenfinden.

„Nun danket all und bringet Ehr“ ist die zweite Aufforderung an das Publikum mitzusingen, zu der Herbert Paulmichl den Überchorsatz geschrieben hat. Für einen Konzertchor wird es dann doch ein wenig sehr kirchlich. Aber geschenkt. Das Publikum macht mit. Und so kann das Finale nur umso glänzender gelingen. Quasi brandneu präsentiert der Chor das dreisätzige Nisi Dominus, das Palmeri im vergangenen Jahr auf Grundlage des Psalms 127 komponiert hat. Hier dürfen noch mal alle ran. Und wie bei den übrigen Chorstücken zeigen die Akteure noch einmal eine wunderbare Ausgeglichenheit, die die anderthalb Stunden zu einem wahren Genuss werden lässt.

Das Publikum bedankt sich mit kräftigem und langanhaltendem Applaus.

Michael S. Zerban