O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Vorläufiger Abschied

MUSIK TROTZ(T) CORONA
(Diverse Komponisten)

Besuch am
16. Dezember 2021
(Einmalige Aufführung)

 

Galerie im Alten Küsterhaus, Meerbusch

Mindestens 60 Prozent der Bevölkerung müssten geimpft sein, um eine Immunisierung derselben zu erreichen. So lautete vor einem Jahr die wissenschaftliche Behauptung. Aktuell sind rund 70 Prozent der Bevölkerung geimpft, und die deutsche Regierung führt die „2G-Regel“ ein, um einen Kampf gegen Impfverweigerer zu gewinnen, weil sie die Volksgesundheit gefährden. Zwischenzeitlich gibt es eine „Delta-Variante“ des Virus und jetzt auch noch eine „Omikron-Variante“, die natürlich viel schlimmer sind und eine Auffrischungsimpfung dringend erforderlich machen. Wieder heißt es: Damit die Intensivbetten nicht überlastet werden. Im vergangenen Jahr wurden 3.000 Intensivbetten abgebaut, „weil kein Personal dafür da ist“. Da gibt es schon eine Menge mehr Fragen, als die, wie man die Impfverweigerer zwingen kann, doch ihre Impfung abzuholen. Die beantworten die Medien nicht, sondern schüren stattdessen Ängste mit stereotypen Bildern.

Wer die Zeche zahlt, sind derzeit unter anderem die Kulturschaffenden, ganz ohne Lockdown. Wo es nicht ohnehin Zugangsbeschränkungen gibt, hält sich das Publikum mehr und mehr zurück. Mag es Entwöhnung vom Kulturbetrieb, mag es die Furcht vor Impfdurchbrechern und geimpften Virusträgern sein, das spielt keine Rolle. Viele Kulturinstitutionen haben im vorauseilenden Gehorsam ihre Häuser „vorsorglich“ geschlossen. Andere müssen ihre Aufführungen im letzten Moment absagen, weil ein positiver Virustest bei einem Ensemble-Mitglied aufgetaucht ist, der das gesamte Ensemble augenblicklich in die Quarantäne zwingt. Private Theater arbeiten bei rückläufigen Zuschauerzahlen unwirtschaftlich. Und dabei steht die eigentliche Krise noch bevor. Aber es gibt auch ermutigende Beispiele. Die Galerie im Alten Küsterhaus im Meerbuscher Stadtteil Büderich zeigt eine Aufführung vor Publikum. Zehn Damen sind gekommen, und viel mehr hätten auch nicht gepasst. Isabelle von Rundstedt, Künstlerische Leiterin der Galerie, ist trotzdem euphorisch. Zumal sie gerade wieder eine Ausstellung eröffnen konnte. Wie der Tannenbaum ins Rheinland kam heißt die Arbeit von Doris Berzdorf, die im Obergeschoss des Küsterhauses bis zum 2. Januar gezeigt wird. Heute Abend darf von Rundstedt wieder Ekaterina Porizko und Ekaterina Somicheva zum Weihnachtskonzert begrüßen, die sie bereits in der Zeit begleitet haben, in der nur Streaming-Angebote möglich waren. Ans Herz gewachsen seien sie ihr, erzählt sie – und deshalb werden die Konzerte auch im kommenden Jahr mindestens monatlich weitergeführt. Im März kommenden Jahres werden die beiden die Ausstellung Ein extrem ungenaues Quadrat von Katja Tönnissen eröffnen, das steht schon fest.

Aber jetzt steht erst mal das letzte Konzert der Kantorin der Evangelischen Gemeinde Meerbusch-Büderich und der Sopranistin für dieses Jahr in Deutschland an. Über Weihnachten werden die beiden nach St. Petersburg reisen, um das heute vorgestellte Programm dort zu präsentieren. Es ist ein kleiner Abschied, auch wenn jetzt schon feststeht, dass sie Mitte Januar große Pläne für das neue Jahr vorstellen werden. Und so gewinnt das Konzert des heutigen Abends, das parallel im Internet übertragen wird, noch einmal besonderes Gewicht.

Ekaterina Somicheva – Foto © O-Ton

Dass die beiden Künstlerinnen ein besonderes Faible für Kostüme haben, hat sich ja schon in den vergangenen Konzerten gezeigt. Im vergangenen Jahr hatte sich Somicheva den Spaß nicht nehmen lassen und war filmgerecht als Jessica Rabbit aufgetreten. Heuer zeigen sich die Damen ihrem Publikum vor Ort wiederum in prächtigen Kostümen, die dem feierlichen Anlass eines Weihnachtskonzertes aber vielleicht eher entsprechen. Und so nimmt es nicht Wunder, dass Porizko mit der Sinfonia aus Johann Sebastian Bachs Weihnachtsoratorium beginnt. In der Klavierfassung klingt das Werk, das eigentlich von Streichern und Flötisten lebt, gewöhnungsbedürftig, aber vielleicht auch ein wenig moderner, zumindest so, wie es Porizko interpretiert. Somicheva schließt mit zwei Arien von Händel auf. Flößt mein Heiland und Nur ein Wink von seinen Händen lässt die Herzen des Publikums vor Ort schmelzen. Bereits im vergangenen Jahr konnte Porizko mit dem Tannenbaum von Jean Sibelius begeistern. Vollkommen unverständlich, dass dieses großartige Stück in den öffentlich-rechtlichen Medien schon beinahe boykottiert wird. Im Büdericher Küsterhaus wird es begeistert applaudiert. Nach einer weiteren Händel-Arie, He shall feed his flock, singt Somicheva mit Herbei, o ihr Gläubigen, Ich stehe an deiner Krippe und O du fröhliche traditionelle deutsche Weihnachtslieder, ehe sie auch ein russisches Weihnachtslied zum Besten gibt.

Der Abba-Song Happy New Year ist dem Hype geschuldet und eigentlich auch nicht notwendig. Schöner wäre vielleicht der Seelenbeschleuniger Jingle Bells aus dem vergangenen Jahr gewesen, um dem Konzert noch einen letzten Pfiff zu geben. Möglicherweise kommen ja die Landsleute noch in den Genuss. Mit der Zugabe von Stille Nacht schließt das Konzert, das gefühlt viel zu kurz war.

Das Publikum vor Ort ist begeistert. Und mindestens fünf Mal ist die Frage zu hören, wo die Schachtel für die Spenden aufgestellt sei, ohne dass von Rundstedt sie überhaupt erwähnt hat. Eine schöne zusätzliche Anerkennung für die Künstlerinnen, denen es ganz offensichtlich gelungen ist, die Herzen der Hörerinnen anzurühren. Ein schöner Abschluss für ein schreckliches Jahr und eine sehnsüchtige Aussicht auf das nächste Jahr, in dem Ekaterina Porizko und Ekaterina Somicheva hoffentlich gesund wieder nach Deutschland zurückkehren werden.

Michael S. Zerban