O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Vom Tannenbaum bis Neujahr

MUSIK TROTZ(T) CORONA
(Diverse Komponisten)

Besuch am
26. Dezember 2020
(Einmalige Aufführung)

 

Galerie im Alten Küsterhaus, Meerbusch

Welch ein seltsames Weihnachtsfest beendet ein Jahr, das wir nicht gebraucht haben. Traditionen mussten gebrochen werden, was vielen Menschen vermutlich nicht ganz so leicht gefallen ist, wie es hier niedergeschrieben wird. Das alles, um den Konsumterror aufrechtzuerhalten. Aber auch dieser Schuss ging nach hinten los. Profitiert haben von diesem Versuch Internet-Unternehmen und Logistiker, die Billiglöhne zahlen. Wir werden die Wiedereröffnung vieler Geschäfte nicht erleben und damit vor Ort den Untergang vieler Existenzen sehen. Und am Ende steht die Nachricht, dass die Regierung an den „Erfolg“ ihrer Bildungspolitik glaubt. Weil sie ja weiß, dass es mit der Mathematik nicht funktionieren kann, verkündet sie voller Stolz, dass die Impfungen jetzt beginnen können. Der Gesundheitsminister verkündet allen Ernstes, dass er damit rechnet, dass im kommenden Sommer die Impfungen in der Fläche beginnen können. Für die alten Menschen, die noch das Einmaleins erlernt haben, dürfte damit klar sein, dass es – ungeachtet aller Impfgegner – Jahre dauern dürfte, bis die erwartete „Immunisierung“ erreicht ist. Wenn es richtig gut läuft, werden bis Februar zwei Millionen Menschen geimpft sein, was eher unwahrscheinlich ist. Zwei von 80 Millionen Menschen. Die Wissenschaft geht davon aus, dass mindestens 60 Prozent der Bevölkerung geimpft sein muss, um die vielbeschworene Immunisierung zu erreichen.

Ekaterina Porizko – Foto © O-Ton

Was das mit dem Stadtteil Büderich in Meerbusch zu tun hat, ist schnell erklärt. Dort gibt es nämlich die Galerie im Alten Küsterhaus. Die ist, wie so viele Kulturinstitutionen seit März fast durchgehend geschlossen und kann sich bei der Haltung der Regierung leicht ausrechnen, bis wann sich die Kuratorin Isabelle von Rundstedt nicht mehr aktiv für den Nachwuchs der Düsseldorfer Kunstakademie in Form von Ausstellungen einsetzen kann. Aber von Rundstedt ist nicht der Auffassung, dass Kultur jetzt still sein muss, damit man ihr Fehlen bemerkt. Sie setzt auf Online-Übertragungen, wie bereits berichtet, und hat zwei Formate ins Leben gerufen. Musik trotz(t) Corona und Literatur trotz(t) Corona lassen Kultur sichtbar werden und bleiben. Dabei hat sie auf der musikalischen Seite zwei großartige Musikerinnen gewinnen können. Ekaterina Porizko ist die Kantorin der evangelischen Kirchengemeinde Büderich. Ekaterina Somicheva ist Opernsängerin und – man mag sich mit diesem Begriff einfach nicht anfreunden – Solo-Künstlerin. Beide erarbeiten unermüdlich kleine Programme für Live-Übertragungen aus dem Alten Küsterhaus in Büderich, die sie in den so genannten Sozialen Medien ausstrahlen. Von Rundstedt, sagt sie selbst, ist überglücklich, dass hier neben kulturellem Genuss wenigstens auch eine Erinnerung an ihr Haus erhalten bleibt. Und als besonderer Genuss wird sicher das Weihnachtskonzert in Erinnerung bleiben.

Somicheva lässt sich bei aller Ernsthaftigkeit der Aufführung den Spaß nicht verderben und tritt als Jessica Rabbit auf. Im silberfarbenen, hauteng geschnittenen Gewand erinnert sie an eines der größten Sex-Symbole in der Geschichte des Trickfilms. Verraten wird dem Publikum das allerdings nicht, denn das Weihnachtskonzert soll im Vordergrund stehen. Und im Anfang des Konzerts steht auch eher symbolhaft der tannengrüne Hosenanzug ihrer Klavierbegleiterin Porizko im Vordergrund. Denn in gewohnter Weise eröffnet die Pianistin  den Abend mit einer kurzen Ansprache. Wobei sie wirklich wenig zu sagen hat, denn gleich das erste Lied bedarf eigentlich keiner weiteren Erklärung.

Ekaterina Somicheva – Foto © O-Ton

Samten, wenn auch ein wenig zügig ertönt O du Fröhliche. Und schon glitzert der erste Diamant des Abends auf. Denn als nächstes hat Porizko die Tanne von Jean Sibelius auf dem Zettel, eines der bekanntesten Werke des finnischen Komponisten, von dem gesagt wird, es sei „ein mit Valse triste vergleichbarer, langsamer Walzer, in dem die schnellen Arpeggien in der Risoluto-Episode einen schwindelerregenden Eindruck erzeugen“. Wenn eine Sopranistin O Tannenbaum anstimmt, wird niemand mehr auf die Idee kommen mitzusingen. Da schweigt man stille und wähnt sich vor der großen Bühne. Mit dem russischen Tannenbäumchen, einem russischen Lied, geht die Thematik zu Ende, nicht ohne, dass Porizko dem Publikum erklärt hätte, um was es geht.

Mit Stille Nacht bekommt der Abend kurz etwas Erhabenes, ehe Tschaikowski die Regie übernimmt. Da darf sich der Nussknacker austoben, ehe Porizko fesselnd den Dezember aus den Jahreszeiten intoniert. Und russisch geht es noch einmal weiter, wenn Somicheva und Porizko vom Schneeflöckchen erzählen, einem bekannten Silvesterlied. Schön, dass die Kantorin kurz die Inhalte erläutert. So werden auch die nichtrussischen Zuschauer mitgenommen. Mit Djingle Bells und Happy New Year sprechen die Musikerinnen auch das internationale, englischkundige Publikum an, von dem sie, wie Porizko verrät, wissen, dass es gleichermaßen vor den Monitoren vertreten ist. Mit zwei Zugaben verabschieden sich die beiden Musikerinnen aus der Live-Übertragung.

Ein Wermutstropfen des Abends ist sicher, dass man sich von der Virtuosität der Pianistin an diesem Abend keinen visuellen Eindruck verschaffen kann, weil sie mit dem Rücken zur Kamera sitzt. Aber warum hier Haare spalten und der Perfektion das Wort reden? Die Herzlichkeit und Wärme, die Somicheva und Porizko vermitteln, sind grandios. Und was will ein abwechslungsreiches Weihnachtskonzert, das die Musik aus verschiedenen Kulturkreisen vermittelt, mehr? Mit ihrem letzten Konzert haben die beiden mehr als 700 Personen erreicht. Von diesem Abend wünscht man sich, dass es noch viel mehr werden.

Michael S. Zerban