O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Mit Liebe zum Detail

MUSIK TROTZ(T) CORONA
(Diverse Komponisten)

Besuch am
27. November 2020
(Einmalige Aufführung)

 

Galerie im Alten Küsterhaus, Meerbusch

Vor zwei Jahren übernahm Isabelle von Rundstedt die – ehrenamtliche – künstlerische Leitung der Galerie im Alten Küsterhaus im Meerbuscher Stadtteil Büderich, unmittelbar vor den Toren Düsseldorfs gelegen. Das Alte Küsterhaus ist ein kuscheliger Rückzugsort, der sich im Schatten der Mauritius-Kirche duckt und Kunstfreunde einlädt, sich Ausstellungen bevorzugt von den Studenten der Düsseldorfer Kunstakademie oder manchmal auch von Künstlern aus Büderich anzuschauen. Hier gelang es von Rundstedt gleich zu Beginn, mit der Wiederentdeckung der Arbeiten des Bildhauers Will Hanebal viel Aufmerksamkeit zu erregen. Eigentlich beschränkt die Kunsthistorikerin sich auf das Kuratieren der Ausstellungen, während andere Menschen sich um die Programmgestaltung für den Treffpunkt Altes Küsterhaus kümmern. Aber in Corona-Zeiten braucht es mehr Engagement für die Kultur.

Ekaterina Porizko ist heute unter anderem Kantorin der evangelischen Kirchengemeinde in Büderich. Die herausragende Organistin und von Rundstedt kennen sich also, und alsbald installierte Porizko eine Reihe der alten Musik im Alten Küsterhaus. Damit sie das konnte, bekam sie von Marten Overath, Betreiber eines Klaviergeschäftes vor Ort, ein Cembalo aus den 1980-er Jahren geschenkt. Und bis heute lässt es sich Overath nicht nehmen, das Instrument selbst zu stimmen. Ja, wir sind im Rheinland. Und da wird geklüngelt. Aber manchmal hat der Klüngel auch sein Gutes. Und wenn die lebenslustige Ekaterina Porizko, die gebürtig aus St. Petersburg stammt, sich dem Klüngel anschließt, gibt es auch neue Ideen.

Ekaterina Somicheva – Foto © O-Ton

Und da ruft die eine Ekaterina die andere Ekaterina an, ob sie nicht Lust hast, mit ihr gemeinsam aufzutreten. Ekaterina Somicheva stammt ebenfalls aus St. Petersburg und hat Gesang studiert. Sie ist eine der Opernsängerinnen, die sich irgendwann für Kinder entschieden haben und damit „automatisch“ in die zweite Reihe zurückfielen, obwohl ihre Stimme sie eigentlich zu Höherem berufen hätte.

Der Klüngel ist perfekt. Und so treffen sich die drei Damen im Alten Küsterhaus, um ein Konzert zu veranstalten. Musik trotz(t) Corona – Schätze der Barock-Zeit nennen sie es, und selbstverständlich findet es ohne Publikum im Saal statt. Es wird ein Livestream. Und da staunen alte Männer nicht schlecht, mit welcher technischen Unbefangenheit die Damen ans Werk gehen. Da werden ein paar Handys auf Stative geklemmt, ein paar Knöpfe gedrückt und schon geht es auf Instagram, Facebook und YouTube los. Das ist alles nicht übertrieben perfekt, und die Zuschauer, die schon vor dem Bildschirm warten, bekommen so einiges mit, was eigentlich nicht für sie bestimmt ist, aber egal. Denn Porizko und Somicheva haben sich mit Hilfe der Kostümbildnerin Natalia Kornilova ordentlich vorbereitet und begeistern jetzt schon optisch mit Barock-Kostümen. Damit geben sie auch das Flair des 45-minütigen Konzerts vor.

Mit viel Liebe zum Detail geht es zu an diesem Abend. Nicht im Bild zu sehen ist der Notenständer mit den seitlich aufgesteckten Kerzen. Ständig werden die Kostüme wieder in Form gebracht. Die Stücke werden achtsam anmoderiert. Das macht alles viel Spaß vor Ort. Und wenn man sieht, mit welcher Intensität sich alle Beteiligten vorbereiten, neben Stimmübungen auch Lichter installiert und umgestellt werden, kann man sich das optische Ergebnis am Bildschirm gut vorstellen. Da kann das abwechslungsreiche Programm beginnen.

Ekaterina Porizko – Foto © O-Ton

Lediglich eine kleine Ecke im Erdgeschoss des Alten Küsterhauses ist für die Übertragung reserviert. Die aber bietet den Vorteil, dass sich der Schall im Treppenhaus entfalten kann. Das akustische Ergebnis in der Übertragung ist schon mal eindrucksvoll. Den Rest tragen die Künstler bei. Beginnend mit der Arie der Fortuna aus Claudio Monteverdis Oper L’incorporazione di Poppea, eine kleinere Stimmübung für Somicheva, geht es weiter mit der Toccata prima von Girolamo Frescobaldi, einem Solo-Stück für Porizko, die hier schon mal einen überzeugenden Vorgeschmack auf Kommendes gibt. Und dabei stellt ein Cembalo noch einmal andere Anforderungen als etwa ein Klavier, nicht aber für Porizko, die das Instrument geradezu spielerisch beherrscht. Als lyrischer Sopran kann Somicheva ein ordentliches Volumen an den Tag legen, wenn sie etwa Giovanni Battista Pergolesis Se tu m’ami – also: Wenn Du mich liebst – zum Vortrag bringt. Auch bei der Arie Volate, amori der Ginevra aus der Oper Ariodante von Georg Friedrich Händel zeigt die Sängerin eine Fertigkeit, bei der größere Namen Schwierigkeiten haben dürften. Das ist eindrucksvoll. Aber den eigentlichen Überraschungseffekt bietet Porizko, wenn sie Voluntary VIII von John Stanley intoniert. Es ist nichts weniger als ein Orgelstück. Und Porizko bringt das auf das Cembalo, das einem der Atem stockt. Großartig. Von Rundstedt, die die Kameras im Blick hat, applaudiert nach jedem Stück. „Ihr habt mich gerade im Herz erwischt“, wird sie den Künstlerinnen nach ihrem Auftritt zurufen. Aber bis dahin stehen ja noch Mozarts Ridente la calma und die Arie der Eurydice aus Christoph Willibald Glucks Oper Orfeo ed Eurydice sowie die Zugabe an, in der Somicheva die Arie der Susanna aus der Oper Le nozze di figaro von Wolfgang Amadeus Mozart präsentiert. Es ist fantastisch, was die beiden Künstlerinnen da im publikumsfreien Raum produzieren. Spannend, erfrischend, aufregend.

Und wichtig. Je länger die Corona-bedingten Einschränkungen seitens der Regierung anhalten, desto größer wird die Unsichtbarkeit der Künstler. Es gibt derzeit nur die Möglichkeit, sich online sichtbar zu machen. Egal, ob bezahlt oder nicht. Das Konzert aus Meerbusch, übrigens honoriert, zeigt, wie bedeutsam es ist, sich, und sei es auch nur im Freundeskreis, in Erinnerung zu bringen. Gerade, wenn man solche formidablen Leistungen anzubieten hat wie die beiden Ekaterinas. Denn nichts ist schneller vergessen als ein Gesicht, das man nicht mehr sieht. Isabelle von Rundstedt sieht das ähnlich. Sie wird die Konzertreihe fortsetzen.

Michael S. Zerban