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MIKALOJUS KONSTANTINAS ČIURLIONIS
(Mikalojus Konstantinas Čiurlionis, Wolfgang Amadeus Mozart)
Besuch am
24. Mai 2024
(Einmalige Aufführung)
Gestern begeisterte Povilas Ušinskis, 16-jähriger Pianist aus Šiauliai in Litauen, sein Publikum in Solingen. Heute gibt es das Folgekonzert im Alten Küsterhaus im Meerbuscher Stadtteil Büderich. Das Küsterhaus, inzwischen nicht nur als Galerie, sondern auch als musikalische Spielstätte mit schöner Akustik und besonderer Atmosphäre bekannt, ist heute Abend gut besucht. Und es gibt besonderen Grund zur Freude. Das gesamte Team, das Ekaterina Porizko im vergangenen August zur Sommerakademie ins litauische Birštonas begleitete (O-Ton berichtete), ist erschienen. Da kommt gleich so etwas wie Wiedersehensfreude auf.
Die Neugier ist ebenfalls groß. Wie hat Povilas seinen Tag verbracht? Hatte er Gelegenheit, mit seiner Lehrerin, Raimonda Sližienė, wenigstens einen Ausflug nach Düsseldorf zu unternehmen? Hatte er. Um das Robert-Schumann-Museum zu besuchen und anschließend Noten einkaufen zu gehen. Also in etwa das, was alle Touristen so machen, wenn sie das erste Mal die Landeshauptstadt besuchen. Oder zumindest so ähnlich.
Ekaterina Porizko – Foto © O-Ton
Das Programm des Abends unterscheidet sich von dem in Solingen, indem es mehr auf den litauischen Komponisten Mikalojus Konstantinas Čiurlionis fokussiert. Zur Erinnerung: Čiurlionis gilt in seiner Heimat als so etwas wie ein Nationalheld. Als Synästhetiker versuchte er, Musik und Malerei miteinander zu verbinden und wurde auf beiden Gebieten über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Sein früher Tod mit 35 Jahren an Lungenkrebs rundet das Bild eines besonderen Menschen ab. Ekaterina Belowa, Geschäftsführerin bei Klassik aber frisch, dem Veranstalter des Abends, hat einen Folienvortrag vorbereitet, den Porizko nun im Wechsel mit den musikalischen Kostproben Povilas‘ präsentiert. Im Küsterhaus hat der junge Künstler statt eines Flügels ein Bechstein-Klavier zur Verfügung, das jetzt seine Qualität beweist. Dass das Dämpferpedal ein bisschen quietscht, sorgt für amüsiertes Lächeln beim Publikum, schadet aber nicht weiter. Ansonsten ist der Klang, man kann es nicht anders sagen, formidabel. Und auch beim professionellen Einsatz hält sich der Kasten zwar mitunter bebend, aber wacker. So kann Polivas mit zwei Präludien und einer Mazurka beginnen. Und auch, wenn er nun mit dem Rücken zum Publikum sitzt, kann er die Hörerschaft von Anfang an in seinen Bann ziehen.
Etwa 350 musikalische Werke, davon 240 Klavierminiaturen, hat Čiurlionis der Nachwelt hinterlassen, aber auch rund 300 Bilder, die in sechs Jahren entstanden. Eine Besonderheit in seinen Werken liegt in ihrer Vielfalt. Er schuf nicht nur eine Verbindung zwischen Musik und Malerei, sondern auch zwischen verschiedenen Welten, erzählt Porizko – „sichtbare und unsichtbare, irdische und himmlische, reale und mystische“. Seine Bilder entstanden in Zyklen wie der Begräbnis-Symphonie, Winter oder Sonnen-Sonata. Die Zyklen Fantasie, Präludium und Fuga und Meeres-Sonata widmete er seiner Frau. Porizka zeigt beispielhaft Bilder, bei denen der Symbolismus im Vordergrund steht, oft impressionistisch eingefärbt, hier und da außerordentlich pointiert.
Auch die drei Volkslieder, die Polivas nach einer Nocturne zum Besten gibt, zeigen die Feinheit seiner Wahrnehmung. Beim Publikum des Pianisten wächst inzwischen die Gewissheit, dass er seine Berufswünsche wie Dirigent oder Musikwissenschaftler doch lieber hintanstellen sollte, um sich ganz auf eine Karriere als Pianist zu konzentrieren. Welch ein Glück: Polivas hat noch ein paar Jahre, sich das in Ruhe zu überlegen. Derweil bleibt er bei Werken von Čiurlionis. Schon aus Solingen bekannt sind die beiden religiös angehauchten Stücke, nämlich das Präludium Angelus Domini und das Pater noster, an die sich der Zyklus kleiner Landschaften unter dem Titel Das Meer anschließt. Und wie schon in der Talentschmiede im Bergischen Land ist auch heute das Publikum davon genau so angetan wie von den drei Präludien zu einem Thema in b-Moll.
Raimonda Sližienė – Foto © O-Ton
Es ist wohl kaum übertrieben zu sagen, dass Litauen keinen besseren Botschafter hätte entsenden können, um die Musik Čiurlionis‘ in Deutschland vorzustellen. Dass die Bilder, die Belowa zusammengestellt hat, nicht von allen Menschen im Publikum einsehbar sind, scheint hier niemand zu vermissen, obwohl sie wirklich eindrucksvoll sind. Mit seiner Zugabe wiederholt Polivas den zweiten Satz aus der Klaviersonate Nr. 12 in F-Dur von Wolfgang Amadeus Mozart. Der Beifall will kein Ende nehmen, und weil es schon wieder der letzte Abend für den Pianisten und seine Lehrerin in Deutschland ist, ist nun auch die Zeit des Abschieds gekommen. Der will versüßt sein.
Porizko und Belowa haben von ihrer letzten Reise nach Litauen kleine Köstlichkeiten mitgebracht. Die werden dem Publikum nun gemeinsam mit den Pralinen gereicht, die die beiden Litauer aus dem Gepäck zaubern. So kann man die Sinnlichkeit einer Soirée vollenden.
Und damit könnte die Konzertreihe von Klassik aber frisch eigentlich bis zum Herbst ihr Ende finden – wäre da nicht der Einfallsreichtum der beiden Damen. So kann Porizko zum Abschluss den Beginn einer erstmals stattfindenden Konzertreihe Geschichte eines Klaviers in Meerbusch-Lank verkünden. In Lank hat der Klavierbauer Marten Overath eine alte Scheune zur Werkstatt oder zum Zwischenlager für historische Klaviere und Flügel umgebaut, die er gerne als Konzertsaal der anderen Art etablieren möchte. Overath wurde einer breiteren Öffentlichkeit bekannt, als er sich zum Ziel setzte, beim ersten Meermusik-Festival in Meerbusch dafür zu sorgen, dass alle Klaviere und Flügel, die zum Einsatz kamen, auch den ganzen Tag über korrekt gestimmt waren. Nun also wird Klassik aber frisch den „Konzertsaal“ fördern. Der Clou: Während der Konzerte wird Porizko dem Publikum die Geschichte des Klaviers und Geschichten alter Klaviere gemeinsam mit dem Spezialisten näherbringen. Das klingt vielversprechend – auch für Menschen, die mit klassischer Musik nicht so viel am Hut haben. Am 22. Juni wird das zweite Konzert in der Reihe stattfinden.
Michael S. Zerban