O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Mit Wortwitz und Harmonie

HIN UND WEG
(Nicolai Burchartz, Noémi Schröder)

Besuch am
24. November 2023
(Einmalige Aufführung)

 

Bethlehem-Kirche, Meerbusch

Eigentlich wollte sie Opernsängerin werden. Hat ja dann auch erst in Saarbrücken, später in Düsseldorf Gesang studiert und abgeschlossen. Eine Gastrolle an der Deutschen Oper am Rhein schloss sich gleich an. Aber Noémi Schröder gehört zu denjenigen, über die man in Opernkreisen nicht so gern spricht. Sie stellte für sich in der Praxis fest, dass Operngesang nicht alleinseligmachend ist. Und schon gar nicht ein ganzes Leben lang. Einmal im Gesang ausgebildet, wechselte sie in das Musical-Fach. In Berlin absolvierte sie die Musicalausbildung mit Tanz und Schauspiel. 2004 ging es dann los mit den Rollen, die sie bis 2011 über die Bühnen trieben. Erst mit der Geburt ihrer Tochter war Schluss mit dem, was sie als „Tingelei“ bezeichnet.

Mit ihren künstlerischen Fähigkeiten musste es doch möglich sein, eine „kleine“, eine eigene Karriere aufzubauen. Wer sich für diesen Weg entscheidet, kann soziale Absicherung, regelmäßiges Einkommen und work life balance erst mal aus seinem Vokabular streichen. Eiserner Wille, Durchhaltevermögen, Selbstdisziplin und möglichst feine Antennen für Kooperationen, Netzwerke und künstlerische Nischen werden lebensbeherrschend. Als Sängerin wird man nicht gesucht, sondern muss sich Gehör verschaffen. Schröder gründete das Duo Rosenpfeffer im Gespann mit einem Gitarristen. Ungewöhnliche akustische Arrangements von Cover Songs. Die Konzerttermine kamen, aber der Gitarrist ging. Und wenn du denkst, es geht nichts mehr … man muss nicht an Binsenweisheiten glauben, Hauptsache, sie funktionieren. Sängerkollegin Julia Hagemann vermittelte die Bekanntschaft mit ihrem Gesangsschüler Nicolai Buchartz. Der hatte kein Interesse daran, anderer Leute Lieder nachzusingen, sondern wollte eigene Lieder schreiben. Die Chemie stimmte auf Anhieb. Die neue Idee war, Bühnenprogramme mit eigenen Liedern zu entwickeln. Schröder musste sich die Programme überlegen, Burchartz wollte komponieren und Texte schreiben. Die Termine von Rosenpfeffer konnten gehalten werden, mehr noch. Marlies Kade sorgte dafür, dass die beiden ein Engagement an der Düsselbühne bekamen. Jeden Monat ein neues Programm! Was als ungeheurer Glücksfall schien, artete in einen kreativen Ausverkauf aus. Nach zwölf Monaten, also zwölf neuen Bühnenprogrammen in Folge – andere Künstler brauchen für so etwas zwölf Jahre oder mehr – war die Luft raus. 2015 erschien ihr erstes gemeinsames Album Dein Herz hört zu. Aber die Sängerin wollte sich mehr ihrer Leidenschaft für den französischen Chanson widmen und der Gitarrist mehr Freiheit, um die Lieder zu schreiben, die er bislang nicht schreiben konnte.

Noémi Schröder – Foto © O-Ton

In den folgenden sieben Jahren gründete Schröder verschiedene erfolgreiche Ensembles, während Burchartz eine Solo-Karriere aufbaute. Nach solch langer Zeit kann man auch mal wieder miteinander telefonieren. Schröder dachte sehnsüchtig an die gemeinsamen Küchenproben zurück, wollte Songs schreiben und „an irgendetwas eigenem feilen“, Burchartz hatte es satt, sich als Solo-Songwriter über die Bühnen zu treiben. Wer wen anrief, ist nicht überliefert, aber es passierte das, was man von guten Freunden kennt. Es war, als habe man gestern zum letzten Mal miteinander gesprochen. Schnell stand der Entschluss fest, das Duo Rosenpfeffer wiederauferstehen zu lassen.

So kommt es, dass sich an diesem Abend eine Menge Menschen in der Bethlehem-Kirche versammeln. Die hat von dem Revival erfahren und das Duo gleich eingeladen, den Meerbuscher Stadtteil Büderich mit Plakaten überklebt. Schließlich ist Burchartz ein Sohn der Stadt, und für Künstler, die in Büderich aufgewachsen sind, hat die evangelische Kirche ein besonderes Faible. Der ursprüngliche Plan, das Duo im kircheneigenen Café auftreten zu lassen, wurde aufgrund der Vorverkaufszahlen geändert und der Auftritt in die Kirche verlagert. Mit den üblichen Schwierigkeiten. Das Licht ist gruselig, die Akustik für eine elektronisch verstärkte Musikaufführung hanebüchen. Aber das Künstlerpaar strahlt von Anfang an eine Harmonie aus, die sich schlagartig auf das Publikum überträgt. Da kann überhaupt nichts mehr schiefgehen, auch wenn es beim Start geschauspielert ein wenig ruckelt. Schließlich will das Lied Es könnte so leicht sein, das die beiden geschrieben haben, richtig eingeleitet sein. Mit Nature Man von Burchartz geht es in die Natur, die dann doch nicht so allerfüllend ist wie ursprünglich beschworen. Mit dem Liebeslied von Matthias Haß gibt es noch ein Cover, dann aber sind die beiden ganz bei sich. Während Burchartz sich ganz auf die Gitarre konzentriert, die er als „Grundinstrument“ versteht, hat Schröder auch Kazoo, Melodika und Glockenspiel mitgebracht, die sie immer wieder ergänzend einsetzt. Mit Lady Gaga frönt Burchartz seiner Hundeliebe. Und nach Zwei Gespräche, zu denen auch Schröder ihren textlichen Teil beigetragen hat, und Das war’s schon wieder gelingt den beiden mit Größe 36 ein echter Höhepunkt, der die Frage nach der Kleidergröße bei Rollenbesetzungen humorvoll anprangert. Mit Dein Herz hört zu geht der erste Teil zu Ende, von dem niemand bemerkt hat, dass er tatsächlich eine Dreiviertelstunde gedauert hat.

Nicolai Burchartz – Foto © O-Ton

Die Geschichte vom Bauern und der Prinzessin erzählt ein Märchen, wie „es wirklich ist“. Köstlich. Nach Still stehen und Was gestern war gelingt dem Duo abermals mit Restgefühl ein schlagerverdächtiges Lied, das einen im Herzen angreift. Dieses verdammte Restgefühl, das, was bleibt, wenn die Beziehung doch eigentlich längst vorüber und verarbeitet ist, macht einem das restliche Leben madig und sehnsüchtig. Schön, wenn man dem Verflossenen das zurückgeben kann. Biografisches wird bei Schröder nicht nachgefragt, obwohl sie wesentlichen Anteil an dem Lied hat und sie dazu sicher einiges zu sagen hätte.

Braucht es an einem solchen Abend einen Kritiker, der dazu schlaue Worte findet? Burchartz sagt ganz klar nein. Und hat ja so recht. Schließlich weiß der Musiker doch so viel genauer, wo es hapert und hakt. Mit Mein innerer Kritiker spricht Burchartz nicht nur die Wahrheit, sondern versucht auch, das Publikum zum Mitsprechen zu bewegen. Das funktioniert halbwegs. Das große Thema des Abends heißt Nähe und Distanz. Dass es dabei nicht nur um persönliche Beziehungen, sondern auch um das gesellschaftliche Miteinander geht, zeigen die beiden mit Cokukukiridoo, einem Kinderlied, das auf einem Bauernhof spielt und veranschaulicht, dass es mit ein bisschen guten Willen auch mit der internationalen Verständigung funktionieren kann. Der Drache, der sich umarmen lässt führt wieder in die eher poetisch-nachdenklichen Gefilde, ehe es mit Holland Thailand augenzwinkernd um den ganz alltäglichen Beziehungsstress geht. Da weiß auch Schröder noch ein Wörtchen mitzuschreiben. Mit Augen auf und durch findet ein umfangreiches Programm über zwei Stunden ein zuversichtliches Ende, das mit der Zugabe von Calm After the Storm von Common Linnets abgerundet wird.

Unauffällige Überleitungen, originelle Texte und ein Musikerpaar, das eine unglaubliche Harmonie ausstrahlt – so sehen die Zutaten für einen ganz besonderen Konzertabend aus, den man nicht alle Tage erlebt. Hochzufrieden verlässt das Publikum die Kirche in der gemeinsamen Überzeugung, dass es im Café noch mal so schön gewesen wäre.

Michael S. Zerban

Das Album Dein Herz hört zu wird hier vorgestellt.